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Lebensprinzip Mitmensch: die Unbeirrbare - DIE FURCHE 47/2014

Maria Loley, die Grande Dame der Flüchtlingshilfe in Österreich, feiert am Samstag ihren 90. Geburtstag. Die UNO-Preisträgerin blickt zurück auf ein bewegtes Leben.

 

„Ich bin zu den Stammtischen gegangen und hab den Leuten geschildert, was Flucht, Besitzlosigkeit und Fremde bedeuten, ich hab sie motiviert zu helfen.“ Herausfordernd ist Maria Loleys Blick, wenn sie erzählt. In einfachen Weinviertler Wirtshäusern mag sie gestanden haben – der Boden, auf dem sie sich bewegte, war hochpolitisch. Es ist diese natürliche Einfachheit, die die österreichische Flüchtlingshelferin ausmacht. Am Samstag wird sie 90 Jahre alt. Die FURCHE hat sie zu diesem Anlass im niederösterreichischen Laa an der Thaya besucht.

Eines steht fest: Maria Loley ist widerstandsfähig. Ihr ganzes Leben opferte sie den Schwachen und Verfolgten, mehrmals stand sie selbst an der Schwelle zum Tod. Erst vor wenigen Tagen musste sie ins Krankenhaus. Ihr Herz ist schwach, ihre kämpferische Art aber hat sie nicht verloren. Die zierliche Frau spricht laut und mit fester Stimme. Dazu gestikuliert sie lebhaft.

Ihr Engagement für die Geringgeschätzten prägt sie schon in ihrer Kindheit. Immer wieder ist die Familie auf die Hilfe anderer angewiesen. Als Jugendliche erlebt sie die Not des Krieges. Eigentlich will sie Ärztin werden. Doch studieren darf sie nicht – aus politischen Gründen, denn die Eltern gelten als Gegner des NS-Regimes. Maria Loley ist 21 Jahre alt, als sie 1945 in Poysdorf Südmährischen Flüchtlingen und Überlebenden des „Brünner Todesmarsches“ hilft. Sie sieht das Elend, packt mit an, pflegt Kranke und Ausgehungerte. Das Wetter ist schwül, rasend schnell breiten sich Epidemien aus. Sie steckt sich mit Ruhr, Tuberkulose und Typhus an. Ärzte und Medikamente gibt es nicht, nur Schnaps zur Desinfektion, und Tierimpfstoffe. Sie überlebt.

Nach dem Krieg will sie Ordensschwester werden und tritt den Karmeliterinnen bei. Doch schon nach wenigen Monaten muss sie den Orden verlassen. Ihre Gesundheit ist noch zu schwach. Sie ist so kraftlos, dass sie herausgetragen werden muss. „Aber hinter allem, besonders dem Überleben, stand ein eisernes ‚Muss‘“, sagt sie. Nachdem sie wieder zu Kräften gelangt ist, macht sie eine Ausbildung zur Fürsorgerin. Die Kranken, Schwachen und Chancenlosen werden zu ihrem Lebensinhalt. Sie arbeitet in einem Flüchtlingslager in der Steiermark und baut den Psychosozialen Dienst im Weinviertel mit auf.

Flüchtlingshilfe Poysdorf

Anfang der Achtzigerjahre geht sie in Pension. Für sie ist es erst der Anfang. Sie startet ihre ersten eigenen Projekte, organisiert Hilfstransporte nach Polen und adoptiert den 18-jährigen Thaddäus. Als 1992 die Jugoslawienkriege beginnen und viele Bosnier ins Weinviertel kommen, beginnt sie, ein Hilfsnetz für Kriegsflüchtlinge aufzubauen. Es entsteht das Projekt „Flüchtlingshilfe Poysdorf“, für das ihr später der UNHCR-Weltpreis überreicht wird. Die 5500-Seelen-Gemeinde wird eingespannt, etwa 150 Familien aus den Kriegsregionen des ehemaligen Jugoslawiens, aus der Türkei, Ägypten und China im Ort zu integrieren. Der Preis des UNO-Hochkommissariats ist mit 100.000 Schilling dotiert. Sie nimmt das Geld für Notleidende. Es sei „keine funktionierende Flüchtlingsmaschinerie“ gewesen, sondern „nur Menschen, die Solidarität zeigten“, so Loley. Den Bruno-Kreisky-Preis bekommt sie für ihren Einsatz für Menschenrechte.

Es ist das Jahr 1995, Maria Loley kann zahlreiche in- und ausländische Preise verzeichnen. Vielen Österreichern ist sie noch immer unbekannt. Dies sollte sich schlagartig ändern, als sie selbst zum Opfer wird. Die Flüchtlingsaktion in Poysdorf polarisiert und trifft nicht bei allen auf Verständnis. Die Ablehnung in der Bevölkerung nimmt zu, auch die Fremdenfeindlichkeit im Ort. Am 16. Oktober öffnet Maria Loley einen Brief, der eine Bombe enthält. Sie wird schwer verletzt, verliert einen Finger. Es entspinnt sich einer der kompliziertesten Kriminalfälle der österreichischen Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Terrorist Franz Fuchs verübt, angetrieben unter dem Pseudonym „Bajuwarische Befreiungsarmee“, rassistisch motivierte Anschläge durch Brief- und Rohrbomben. Er tötet vier Menschen und verletzt 15 teils schwer.

Briefbombenattentat

Während die Regierung an ein verschärftes Fahndungsgesetz arbeitet, die Medien Einzel- und Gruppentätertheorien wälzen, entscheidet Loley beim Aufwachen aus der Narkose, ihrem Attentäter zu vergeben: „Ich kann den Hass nicht durchbrechen, wenn ich nicht verzeihe“, sagt sie und nimmt sich ein Stück „Schutzengelschokolade“.

Die Briefbombe hat ihr auch etwas Gutes gebracht: Aufmerksamkeit. Aus dem Flüchtlingsprojekt entsteht die „Bewegung Mitmensch“, eine Beratungsstelle für Bedürftige in Krisensituationen und Soforthilfe, in der sie sich bis weit ins hohe Alter engagiert.

Maria Loley ist eine, die einfach gemacht hat. Sie steht für ein Handeln, das kein Zaudern braucht. Und für Menschenwürde. Sie sagt, sie wollte „einfach nur“ Mitmenschlichkeit zeigen: „Es sind Menschen, wie ich einer bin.“ Sie habe auch nie ein Sparbuch besessen, denn: „Es geht nicht darum, vom Überfluss etwas abzugeben, sondern das zu teilen, was ich habe.“ Nicht auf die großen Gesten käme es an, sondern auf die kleinen, unscheinbaren. Ihre Arbeit bestand vor allem im Zuhören, im Lächeln und Grüßen. „Den Mitmenschen wahrnehmen“, nennt sie es. Mit dieser beständigen Haltung in den kleinen Dingen hat sie sich für andere eingesetzt. 2012 empfängt sie die Jungfrauenweihe. Es war ein lang gehegter Wunsch: „Ich lebe, weil Gott es will. Wie kann ich ihm danken? Mein Leben soll restlos ihm dienen.“ Die Nächstenliebe ist ihr Leitprinzip: „Es kommt darauf an, sich selbst an die zweite Stelle zu setzen.“ Und im selben Atemzug warnt sie vor der um sich greifenden Unberührbarkeit und dem fehlenden Verantwortungsgefühl in der Gesellschaft: „Die Menschen erschrecken nicht mehr, das eigene Ego unterdrückt die Fähigkeit zur Betroffenheit“, sagt sie, „es ist eine Tragik, Gespürlosigkeit und Kälte bedeuten den Tod.“

Ihr Handy klingelt, sie wird gebraucht. Maria Loley verabschiedet sich mit einem Satz, der ihr viel bedeutet: „Wenn viele kleine Menschen an vielen kleinen Orten viele kleine Schritte tun, verändert sich die Welt.“