Birgit Mathon ist Psychotherapeutin, Librettistin und Dirigentin - die letzten zwei Jahre arbeitete die 46-Jährige in Peking, zuletzt an einer internationalen Klinik. Den Beginn der Corona-Pandemie erlebte sie hautnah mit. Erst vor wenigen Wochen kehrte sie zurück nach Österreich. Hier erzählt sie über die gespenstische Anfangsphase des Virus in China, aufkeimenden Rassismus, plötzliche Armut - und was gegen Einsamkeit im Home-Office hilft.
Birgit Mathon lebte als Psychologin und Musikerin in Peking, kehrte vor einigen Wochen nach Wien zurück - von der Isolation in die Isolation.
Birgit Mathon sitzt in ihrer Wiener Mietwohnung, die sie während ihrer Zeit als Psychologin und Musikerin in Peking behalten hat, weil sie so günstig ist. Ein Glück, denn vor ein paar Wochen, gerade als sich das gefährliche Virus aus China über die ganze Welt verstreute, wurde ihr Arbeitsvisum aufgelöst - sie musste Hals über Kopf zurück nach Österreich. Wenn sie spricht, fährt sie sich manchmal durch ihre langen lockigen Haare. Und immer wieder fällt ihr Blick auf eine Zimmerpflanze. Warum, wird sich in unserem Gespräch noch herausstellen. „Hast du eh Zeit?", fragt sie, und dann beginnt die Psychotherapeutin zu erzählen.
Von Peking nach WienBirgit Mathon, Psychotherapeutin und Musikerin
Hier entstanden zu Beginn dieser weltweiten Pandemie - als es in Österreich noch keinen bestätigten Fall gab - sehr rasch Ressentiments gegen Chinesen. Chinesische Restaurants wurden gemieden, teilweise wurden asiatisch aussehende Menschen im öffentlichen Raum verbal angegriffen.Auch in China lässt Corona den Rassismus noch viel sichtbarer werden. Asiaten sind genauso rassistisch wie Weiße. Was jetzt passiert: Es werden Schuldige für das Virus gesucht - das richtet sich in erster Linie gegen die Amerikaner, aber auch gegen Afrikaner. Schwarze in China sind häufig Akademiker, die oft schon fürs Studium nach China kommen. Die haben es dort im Moment wirklich schlecht, teilweise können sie nicht einmal mehr einkaufen gehen. Ich hatte in Peking sehr viele afrikanische Bekannte - alle wollen weg. Aber Afrika hat die Grenzen geschlossen.
Von Gelassenheit zu AggressionWelche Unterschiede siehst du zwischen China und Österreich beim Umgang mit dem Virus? Es war prinzipiell viel weniger arg in China. Was mir in Wien sofort aufgefallen ist: Die Leute hier sind unglaublich aggressiv mit dem Virus und den neuen Regelungen. Sie regen sich durchgehend auf. In China ist das anders. Da sagt der Staat „bleibt zuhause", und dann machen sie es so. Die Leute bleiben gelassen, und sie halten viel mehr zusammen. Man darf ja auch nicht vergessen, China hat Erfahrung: Die hatten SARS, die hatten MERS, die hatten Schweinegrippe, die hatten Vogelgrippe. Gleichzeitig haben uns in China die Ärzte aber auch - anders als in Österreich - von Anfang an gesagt: Geht jeden Tag spazieren an die frische Luft fürs Lungensystem.
Das bedeutet, du lebst also nun seit beinahe Anfang des Jahres in dieser Quarantäne-Situation. In Woche 17, als Selbstständige, allein in der Wohnung, ja. Nicht nur für mich ist es wirtschaftlich schwer, viele Bekannte und Freund*innen verlieren gerade ihre Jobs. Ich glaub, das ist auch eine Erkenntnis der letzten Wochen: Dass vieles, das einem immer Sicherheit gegeben hat, sehr schnell weg sein kann. Auch Jobs in vermeintlich „sicheren" Branchen sind nicht mehr sicher. Ich hatte fünf Job-Angebote, als ich nach Wien zurückgekommen bin, durch den Lockdown habe ich an einem Tag fünf Absagen bekommen. Anspruch auf Mindestsicherung hab ich aufgrund des langen Auslandsaufenthalts keinen. Jetzt arbeite ich vorübergehend als Nanny mit Kindern, um mich finanziell über Wasser zu halten. Das rettet mich wirklich.
Von Isolation zu IsolationDazu muss man sich erst einmal aufraffen, überhaupt raus zu gehen... Diese Antriebslosigkeit und Trägheit kenne ich auch. Doch auch wenn ich mir an einzelnen Tagen denke: Nein, ich mag nicht rausgehen - raus in die Natur ist die einzige Medizin, die hilft. Das würde ich jedem raten.
Also sollten sich alle, die jetzt noch immer Zwangs-Homeoffice verbringen, eine Pflanze auf den Schreibtisch stellen? Ich würde es empfehlen. (lacht) Es ist ja auch kein Wunder, dass sich die Leute gerade alle Haustiere anschaffen. Ich habe gelesen, die Tierheime sind mittlerweile leer.
Welche Rolle spielen Ängste in der Bevölkerung? Du spürst im Moment die Angst des Kollektivs vor dem Virus und seinen Folgen - also nicht nur deine eigene, sondern auch die anderen.Dazu kommt: Es wurde uns nicht gesagt, wie lange das dauern wird. Und ob die Regelungen nicht wieder strenger werden könnten. Es gibt Menschen, die können mit der harten Realität besser umgehen, die wollen wissen: So sehen die nächsten zwei Jahre aus. Andere aber brauchen kurze Etappen, die sagen sich: Ich halte das jetzt zwei Wochen aus, dann noch einmal zwei, usw. Was nicht gut ist: Dass die Regierung absichtlich Angst verbreitet, oder dass die Miliz einberufen wird, ohne dass uns genau erklärt wird, wozu eigentlich. Menschen brauchen Erklärungen für solche harten Maßnahmen.
Wo wird das hinführen? Ich bin gespannt, wie hoch der Andrang auf Entzugsklinken wird. Und auch der Bedarf an Psychotherapien wird steigen, was für das Gesundheitssystem bedeutet: Es braucht Geld. Reformiert endlich das Wartelistensystem auf Kassen-Therapieplätze! Allen, die unter der Corona-Einsamkeit und der Krise leiden, kann ich nur das sagen: Die Situation annehmen, wie sie ist, keinen inneren Widerstand leisten, bei sich selbst sein, und das Beste daraus machen.