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Mord im Paradies

Ein Anlageberater aus Salzburg akquiriert Millionen, um in eine Trauminsel in Brasilien zu investieren. Jetzt ist der 36-Jährige tot. Warum musste er sterben? Einblicke in dubiose Geschäfte in Übersee


Polizisten mit Maschinenpistolen und dick gepolsterten Schutzwesten patrouillieren vor einem schwarzen Auto. Der brasilianische Fernsehsender Jornal da Record zeigt die Szene. Ein Schotterweg in der Pampa, 50 Kilometer außerhalb von Rio de Janeiro, im Südosten Brasiliens. Unter Palmen steht dieser schwarze Kia Cerato, alle Türen sperrangelweit offen. Ein Polizist schaut ins Innere des Wagens und macht sich akribisch Notizen, seine Kollegen befragen Anwohner. Der Journalist des Senders kommentiert mit trockener Stimme: "Die Militärpolizei hat durch Zufall ein Verbrechen aufgedeckt."

Am 22. Mai habe die Polizei diesen Wagen mit zwei Männern am Steuer im Zuge einer Verkehrskontrolle gestoppt. Als die Beamten das Fahrzeug inspizieren, entdecken sie Blutspuren auf der Rückbank. Sie suchen weiter und finden einen deutschen Reisepass und eine Kreditkarte. Beide Dokumente sind blutverschmiert. Dazu fünf Patronenhülsen des Kalibers 38 und 4.400 brasilianische Reals, umgerechnet etwa 1.200 Euro. Die Beamten nehmen Fahrer und Beifahrer noch vor Ort fest.

Die Ausweispapiere gehören einem gewissen Christoph H., der nicht im Auto ist.

Laut Papieren handelt es sich um einen deutschen Staatsbürger. Vielleicht tippen die Polizisten seinen Namen in die Google-Suche, vielleicht finden sie dieses von ihm selbst produzierte Video, in dem sich der Namensträger in Anzug und Krawatte präsentiert. Im Hintergrund ein See und Berge. Seine schwarzen Haare sind kurz, er ist ordentlich rasiert. Mit seiner aufrechten Körperhaltung und den gefalteten Händen vor sich erinnert er fast an einen Pfarrer. Hin und wieder öffnet er die Arme, damit will er seinen Worten Nachdruck verleihen. "Finanzielle Freiheit bedeutet für mich, dass man die Freiheit hat, bestimmte Dinge tun und lassen zu können, ohne dass man überlegen muss, ob man sie sich finanziell leisten kann", sagt Christoph H. in dem Video. Es ist keine Predigt, sondern das Werbefilmchen eines Anlageberaters.

Was haben H.s Papiere auf der Rückbank dieses schwarzen Wagens zu suchen? Zu wem gehören die Blutspuren? Ist Christoph H. etwas zugestoßen? Haben seine Geschäfte etwas damit zu tun? Und wer ist diese Person eigentlich?

Spuren nach Österreich

Möglicherweise ermittelt die brasilianische Polizei bei ihrer Suche nach dem Besitzer der Papiere, dass Christoph H. 2011 ein Unternehmen als Finanzexperte gründete -in Österreich. Vielleicht finden sie auch seine früheren Wohnsitze in Salzburg und Wien. Oder dass H. immer wieder und zuletzt im November 2016 nach Brasilien flog. Wir wissen es nicht, in den brasilianischen Medien läuft die Personalie Christoph H. als Randfigur und unter "deutscher Tourist". Dabei steckt hinter ihm ein Konstrukt aus Menschen, Firmen und Orten, die bisher scheinbar noch niemand in Zusammenhang gebracht hat.

Christoph H. gründet im Laufe der vergangenen sechs Jahre vier Unternehmen. Drei mit Sitz in Manchester. Die Adresse führt zu einem heruntergekommenen Eckhaus mit Copyshop und Reklame für ein Etablissement namens "Passions". Sein jüngstes Unternehmen registriert er zusammen mit einem Geschäftspartner in London, dessen Name auf deutsche Wurzeln schließen lässt. Auffällig: Dieser hat einen brasilianischen Pass. Es geht um Immobilien und Hotelbeteiligungen an der Copacabana. Die Österreichische Finanzmarktaufsicht warnt bereits im Jahr 2015 vor dieser Immobiliengruppe. Ihr fehle die Berechtigung, fremde Gelder zur Verwaltung in Österreich entgegenzunehmen.

Vieles spricht dafür, dass Christoph H. Geld von österreichischen Investoren sammelte, um damit seine Projekte in Brasilien zu finanzieren. Vor einem Jahr verschickt der Anlageberater mehreren Freunden eine Facebook-Nachricht: "Herzliche Grüße von Brasilien von meinem aktuellen Projekt!" Dazu ein Foto von der Insel Ilha Pelada Grande. Die habe er mit seinem brasilianischen Geschäftspartner gekauft. Zehn Hektar Fläche, weiße Strände, eingebettet in den Ozean. Jetzt suche er Investoren, die sich beteiligen wollen. Er lockt mit 200 Prozent des Investitionsbetrages nach einer Laufzeit von zwölf Monaten.

Das Insel-Versprechen

Diese Insel gibt es wirklich. Sie wird im Internet von einem deutschen Inselmakler mit Sitz in Hamburg zum Kauf angeboten: für etwas mehr als zwei Millionen Euro. Dafür erhält der Kunde laut Inserat vier Privatstrände, mehrere Heilquellen und die Möglichkeit, 21 Einfamilienhäuser oder Villen darauf zu bauen -um sie anschließend an Privatleute verkaufen zu können.

Fraglich ist, ob die Ilha Pelada Grande schon länger oder erst seit Kurzem wieder zum Verkauf steht. Und ob sie Christoph H. und seinem brasilianischen Business- Kumpanen überhaupt jemals gehört hat. Aus seinem Familienkreis heißt es, dass er nie eine Insel besessen habe.

Von diesem Wohnbauprojekt wissen jedoch die Investoren nichts, die dem Anlageberater Geld dafür geben. Die finden ihn zum Beispiel im "Stadtblatt Salzburg", wo er Geldanlage-Tipps gibt, oder im Mai 2015 in der "Barbara Karlich Show" auf ORF 2. Auch dort fungiert er als Finanzexperte, der Themenschwerpunkt dieser Sendung lautet: "Desinformation und Missbrauch im Internet". Die Zuseher wiederum ahnen nichts von seinen Umtrieben in ebenjenem Internet, vor dem er vor der Kamera warnt.

Funktioniert denn so etwas? Gibt es Menschen, die nach einer Facebook-Nachricht aus Brasilien Geld in eine Insel stecken, in der Hoffnung, das Doppelte zurückzubekommen? Es gibt sie. Zum Beispiel einen Salzburger, der 25.000 Euro in das Insel-Projekt investierte und in diesem Magazin anonym bleiben möchte. Im vergangenen Juni unterschreibt er einen sogenannten Nachrang-Darlehensvertrag. Also eine Abmachung, bei der im Falle einer Insolvenz erst andere Gläubiger bedient werden, bevor er selbst sein Geld zurückbekommt. "Dass es ein Hochrisiko-Investment ist, war mir immer klar", sagt er, "aber er war ein Freund, und Zwischenfinanzierungen bei Immobilien gibt es ja wirklich." Am 12. April fragt er via WhatsApp bei Christoph H. nach: "Soweit beim Projekt alles auf Kurs?" Der antwortet prompt: "Bis jetzt schon, ja! (Smiley)" Am 2. Mai teilt H. ihm mit: "Ich rechne derzeit mit einem Rückfluss in circa vier bis acht Wochen." Von seinen 25.000 Euro hat der Salzburger bis heute nichts gesehen.

Das Dokument, das News vorliegt, wirkt schon für einen Laien unseriös. Rechtschreibfehler, ein unscharfes Passfoto des Geschäftsführers im Briefkopf. Im Vertrag heißt es, dass die Immobiliengruppe sich dazu verpflichtet, mit dem "anvertrauten Geld wie ein sorgsamer Kaufmann umzugehen" und es "werthaltig in das brasilianische Inselprojekt zu investieren". Namentlich genannt werden Christoph H. und sein brasilianischer Geschäftsführer.

Die Leiche im Fluss

Vergangene Woche meldete die brasilianische Zeitung "O Estadão", dass der Fahrer des schwarzen Autos mit den Blutspuren auf der Rückbank einen Mord gestanden hat. Er führt die Ermittler zu einem Bachbett, nahe der Avenida Brasil, der Stadtautobahn von Rio de Janeiro, in dem er die Leiche abgelegt hat. Die Identität kann noch nicht geklärt werden. Doch es gibt Indizien, die eine Verbindung zu Christoph H. herstellen könnten: Der Tote trägt Gürtel und Schuhe aus deutscher Fabrikation. Und H. gilt inzwischen als vermisst. Das letzte Mal online bei WhatsApp war er am 22. Mai um 22.57 Uhr österreichischer Zeit. Kurz nach der Festnahme allerdings ändert der Verdächtige ein Detail seiner polizeilichen Aussage: Ja, er habe diesen Mann aus dem Bach umgebracht. Weil er dazu gezwungen worden sei.

Auftragsmorde kennt man aus Filmen, immer geht es um Geld. Um viel Geld. Aus dem näheren Umfeld von H. wird eine Schätzung genannt, wie viel er für seine angebliche Insel akquiriert haben könnte. Nämlich 1,5 Millionen Euro. Könnte sich Christoph H. verspekuliert haben? Ist er ein gnadenloser Investor, der seine Geldgeber mit dubiosen Anlagemodellen betrogen hat? Wollte sich jemand rächen?

Der Klosterschüler

News versucht ein weiteres Mal, seinen Spuren in Österreich zu folgen. Christoph H. hat Freunde aus der Zeit in Salzburg. Sie beschreiben ihn als Sinnsuchenden, der ursprünglich Theologie studiert, zeitweise sogar im Kloster lebt und Mönch werden will. Irgendwann bricht er mit diesem Wunsch. Eigentlich sei er jemand, "der an das Gute im Menschen glaube". Sicher, manchmal vielleicht etwas zu leichtfertig, schildern die Freunde. Hat ihn seine Naivität und die Suche nach einem tieferen Sinn in die Arme eines brasilianischen Geschäftspartners getrieben, der ihn instrumentalisierte? Dieser Sozius könnte den Ermittlern in Rio tatsächlich wichtige Antworten liefern. Er soll untergetaucht sein.

Christoph H. hat sich noch ein anderes Denkmal im österreichischen Fernsehen gebaut. Eine Kuppelshow auf Puls 4 machte ihn 2012 zum Gespött der Leute. Als Kandidat trat er in "Messer, Gabel, Herz" auf, ein Nebenbuhler schimpft ihn während des Dates einen "Schlamphans". Schüchtern lächelte der damals 30-jährige Dauersingle seinen Traum in die Kamera: "Mit 35 Jahren will ich ein Haus und vielleicht sogar eine Familie." Und er fasst beherzt einen Plan: "Vielleicht muss ich dafür ein bisschen risikofreudiger werden."

48 Stunden, bevor seine Papiere blutbeschmiert in jenem schwarzen Wagen auftauchten, feierte Christoph H. in seinen 36. Geburtstag hinein. Sein letzter. Inzwischen bestätigt auch das Deutsche Konsulat in Rio de Janeiro, dass Christoph H. der Mann aus dem Bachbett ist. Die Gerichtsmediziner zählten Einschusslöcher im Oberkörper, den Händen und im Kopf. Wer hat ihn umgebracht? Gab es einen Auftrag? In den brasilianischen Medien ist die Geschichte längst in der Versenkung gelandet.

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