Nach einem Ermittlungsfehler lernt ein Rumäne in Regensburg das deutsche Rechtssystem besser kennen, als ihm lieb ist.
REGENSBURG.Es ist zwar nur ein kleiner und schmaler Mann, der an diesem Dienstagmittag in Handschellen, flankiert von zwei Polizisten das Regensburger Landgericht betritt. Übersehen kann ihn trotzdem niemand: Er leuchtet nämlich. Unter seiner silbernen Jacke trägt er einen neongrünen Kapuzenpulli, darauf eine neonorangene Aufschrift, und auch seine schwarzen Turnschuhe haben eine neongrelle Sohle. Deutschland, sagt der 28-jährige gebürtige Rumäne, kennt er nur aus einer Perspektive: Aus der Untersuchungshaft. Er wird den Strafprozess ohne seine Dolmetscherin nicht verstehen. Auch seine eigens aus Frankfurt angereiste Verteidigerin spricht fließend Rumänisch.
Schon nach wenigen Minuten im Gerichtssaal wird klar: Die Geschichte, um die es hier geht, spielt in halb Europa. Genau genommen sind es zwei Geschichten. Die Version des Angeklagten trägt sich im Nordwesten Rumäniens und auf einem Roadtrip nach Süditalien zu, in einem Städtchen südlich von Neapel. Die Geschichte, die die Staatsanwaltschaft erzählt, ereignet sich in Willmering im Landkreis Cham. Am Ende gipfeln beide am Frankfurter Flughafen und enden für den Angeklagten in der JVA in Regensburg. Und jetzt also im Gerichtssaal 201 des Regensburger Landgerichts.
Ein Einbruch in Willmering
August 2012, das Bild der Anklage: In einer lauen Freitagnacht hebeln Unbekannte in Willmering das Fester einer Kfz-Firma auf, steigen in die Geschäftsräume und ergaunern Werkzeuge, Autoteile und Bargeld im Wert von über 66 000 Euro. Dann stehlen sie einen Sprinter, in dem sie ihre Beute Richtung Tschechien abtransportieren. Kurz hinter der Grenze lassen sie das Fahrzeug zurück. Es sind Profis.
Von den Dieben fehlt daraufhin jede Spur. Die Ermittler finden am nächsten Tag nur einen Rucksack. Fast wie drapiert liegt er vor dem offenen Werkstattfenster. In ihm ist auch ein alter Hammer, von dem die Farbe bereits abblättert. Doch dieser wird zum entscheidenden Beweisstück: Auf dem Stiel befindet sich eine belastende DNA-Spur.
Bis das bayerische Landeskriminalamt diese Spur aufnimmt, vergehen mehr als zwei Jahre. Da der Abgleich aller gefundenen Profile mit der deutschen DNA-Datenbank kein Ergebnis hervorbringt, weiten die Analytiker die Suche auf ganz Europa aus. Plötzlich gibt es einen Treffer – in Rumänien. Die passende Person muss also in Rumänien einschlägigen Behördenkontakt gehabt haben.
Die Spur führt nach Italien
Ein Regensburger Hauptkommissar übernimmt die Ermittlungen und versucht, die Person ausfindig zu machen. Aber die Kollegen in Rumänien haben keinen Erfolg. Ganze drei Jahre sind seit dem Einbruch mittlerweile vergangen. Dann finden sie den Verdächtigen doch: in Süditalien.
Als der heute Angeklagte, der mit Freundin und kleiner Tochter als Hilfsarbeiter in Eboli lebt, mitbekommt, dass er gesucht wird, meldet er sich selbst bei der Polizei. Er wird festgenommen und ausgeliefert. Wenige Tage vor Weihnachten wird er nach Frankfurt am Main geflogen. Zwei Tage später sitzt er in Regensburg in Untersuchungshaft. Er sagt, es ist sein erstes Mal in Deutschland. Denn seine Sommertage im Jahr 2012 hätten ganz anders ausgesehen.
Anfang August 2012 bucht der Angeklagte ein Ticket von Eboli in seine rumänische Heimatstadt Oradea. Dort will er seinen Personalausweis verlängern und sich die Zähne richten lassen. Er wohnt im Haus eines seiner Brüder, und verrichtet dort auch handwerkliche Tätigkeiten. Möglicherweise, sagt er, habe er dort diesen Hammer in der Hand gehabt. Seine Familie ist zerstritten. Vielleicht, glaubt der Angeklagte, wollte man ihm ein Verbrechen in die Schuhe schieben.
In der Nacht des Einbruchs fährt er angeblich zurück nach Italien, fast 1800 Kilometer, wieder mit demselben Transportunternehmen. Die Fahrt über Ungarn und Slowenien ist anstrengend, sie dauert am Ende 40 Stunden. Niemand kann die Geschichte des Angeklagten genau nachprüfen. Und doch spricht einiges dafür, dass er die Wahrheit sagt.
Ende mit einem Deal
Man habe jedenfalls keine Mobilfunkdaten des Angeklagten in Willmering orten können, meint der Ermittler vor Gericht. Auch Fingerabdrücke von ihm seien nirgends gefunden worden. Und ob dieser Hammer wirklich für den Einbruch verwendet worden sei, sei sowieso fraglich. Eine Forensikerin vom LKA erklärt, rein theoretisch müsste der Angeklagte den Hammer auch nie in der Hand gehabt haben, DNA-Zellen können auch anders darauf fallen. Eine Bestätigung der rumänischen Behörde zeigt schließlich: Der Personalausweis wurde tatsächlich in jenen Tagen verlängert.
Der Rumäne weint jetzt leise auf der Anklagebank. Nach einer kurzen Beratung kommt der Richter zu dem Schluss, dass die Beweise für eine Verurteilung nicht ausreichend sind. Der Richter bietet ihm einen Deal an: Wenn er auf seine Entschädigungsansprüche verzichtet, dann würde er sofort freigesprochen. Sieben Monate saß er in U-Haft. Schluchzend akzeptiert der Angeklagte, er will nur nach Hause. Während des Freispruchs küsst er das Kreuz auf dem Rosenkranz, das er um den Hals trägt.
Als er das Gericht verlässt, schneit es. Er zündet sich eine Zigarette an. „Es fühlt sich an wie ein Horrorfilm, in dem ich niemanden mitspielen lassen möchte“, sagt er. Seine Anwältin leiht ihm ihr Handy. Monatelang durfte er keinen Kontakt zu seiner Familie haben. Er erfährt jetzt, dass seine Tochter schwerkrank mit Lungenentzündung im Krankenhaus liegt. Doch seine Odyssee ist noch nicht vorbei. Die italienischen Carabinieri hatten ihn ohne Ausweis nach Deutschland ausgeliefert. Da steht er nun, frei, aber ohne Papiere. „Dann geh ich halt zu Fuß, ich will nur heim“, sagt er.
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