Die Frauenorganisation Maendeleo Ya Wanawake (MYWO) ist aus Kenias Geschichte nicht wegzudenken. Auch mit 60 Jahren will sie noch längst nicht in den Ruhestand treten. Ein Porträt. Behutsam streicht Joyce Rugara über das filigrane, schwarz-weiße Muster eines Schals. Sie hat ihn selbst entworfen, die gesponnene Baumwolle dafür selbst eingekauft, eine Angestellte hat ihn auf Joyce's eigenem Webstuhl manuell hergestellt. Vielleicht wird bald eine Frau wie Joyce Rugara, die allein als Witwe vier Kinder aufgezogen hat, sich mit dem Schal am Abend vor der Kühle Nairobis schützen. Der 56-Jährigen würde das gefallen. „Der Webstuhl hat mein Leben verändert", sagt sie.
Als Joyce Rugara vor acht Jahren, damals noch angestellt bei der kenianischen Frauenorganisation Maendeleo Ya Wanawake (Kisuaheli für „Frauen für Entwicklung"), ein Projekt koordinieren sollte, durch das Frauen das Weben mit Handwebstühlen erlernen sollten, entdeckte sie ihre Passion. Den Frauen sollte durch das Training ein Weg aus der Armut geboten werden, aber die wahrscheinlich ehrgeizigste Studentin war Joyce Rugara selbst. Heute besitzt sie drei Webstühle in ihrer Werkstatt in Nairobis Stadtteil Umoja, hat feste Kunden und stellt Schals, Läufer, Hemden, Überwürfe und Vorleger aus ausschließlich kenianischer Wolle und Baumwolle her. Wenn der Webstuhl ihr Leben verändert hat, dann hat Maendeleo Ya Wanawake (MYWO) den Anstoß zu der Veränderung gegeben.
Maendeleo für Millionen von KenianerinnenMit vier Millionen Mitgliedern in 25.000 Selbsthilfegruppen ist die Organisation heute der größte Frauenverband der ostafrikanischen Wirtschaftsmacht Kenia und die einzige, die landesweit agiert. Nach eigenen Angaben hat MYWO Mitglieder in jedem Distrikt des Landes. Joyce Rugara ist eines von ihnen. Die meisten dieser Frauen sind 35 Jahre alt oder älter, und 80 Prozent leben auf dem Land, schätzt Alice Kirambi, die Geschäftsführerin.
Ende November 2012 feierte die Organisation ihr 60-jähriges Bestehen, das durchaus auch von Kontroversen geprägt war. In Bezug auf die Vision von Maendeleo Ya Wanawake zog Schirmherrin Jane Kiano, in den 1970er Jahren selbst Vorsitzende des Verbandes, im Rahmen der Feierlichkeiten Bilanz: „Die Organisation wird immer stärker, vor allem jetzt, da die neue Verfassung den Geist der Gleichberechtigung und der Menschenrechte eingefangen hat." Präsident Mwai Kibaki forderte die Hunderte von anwesenden Frauen in Nairobi auf, bei den nächsten Wahlen im März 2013 für politische Positionen zu kandidieren.
1952 und damit noch vor der Unabhängigkeit Kenias von weißen Siedlerfrauen gegründet, sollte der Verband Kenianerinnen zunächst darin unterweisen, wie sie sich um ihre Familien zu kümmern hatten. Dazu gehörten das Kochen Lernen ebenso wie die Aufklärung über Hygiene und die Fähigkeiten zu lesen und zu schreiben. Eine Schulbildung für Frauen und Mädchen galt in der Kolonialzeit, aber auch noch lange darüber hinaus weitgehend als unnötig. Die Frauen organisierten sich in Klubs und lernten, sich gegenseitig zu helfen. Bis heute wird MYWO der Verdienst zugeschrieben, die Rolle der Frau in der Gesellschaft gestärkt zu haben.
MYWO und die neue Verfassung KeniasIn der als „Goldene Ära" bezeichneten Periode vom Ende der 1970er Jahre an richtete der Frauenverband seine Aktivitäten mithilfe internationaler Geldgeber landesweit auf Familienplanung und -ernährung, Wasser und Hygiene, Bäume pflanzen, Bodenschutz, Energiesparen und einkommensgenerierende Projekte aus - ein eher ausuferndes Spektrum, das die heutige Geschäftsführung nicht mehr verfolgt. Das im Dezember 2006 neu formierte Team konzentriert sich laut Alice Kirambi auf drei Kernthemen: die wirtschaftliche Stärkung von Frauen, die Förderung von Frauen in politischen Entscheidungsprozessen und den Kampf gegen schädliche kulturelle Praktiken wie die weibliche Beschneidung. Auch die Tage der „Dunklen Ära" in den 1980er Jahren, als sich MYWO zum Instrument des damaligen Präsidenten Daniel arap Moi machen ließ und für ihn auf Stimmenfang ging, sind laut Alice Kirambi vorbei. „Heute ist Maendeleo Ya Wanawake eine Nichtregierungsorganisation, die die kenianische Regierung lediglich als Entwicklungspartner betrachtet. Wir sind unabhängig, aber wo wir zusammenarbeiten können, werden wir das tun."
Die neue Verfassung von 2010 hält MYWO für einen Meilenstein in der Anerkennung der Rolle von Frauen in Kenia - mit 87 Mitgliedern, einer Frau aus jedem Distrikt sowie der gesamten Führungsspitze, war der Verband bei den Gesprächen von Bomas zum Verfassungsentwurf vertreten. Nach eigenen Angaben stellte MYWO hierbei sicher, dass der Grundrechtekatalog Passagen zur reproduktiven Gesundheit und doppelten Staatsbürgerschaft enthält - beides Belange, die vor allem Frauen betreffen. Gemeinsam mit den Parlamentarierinnen unterstützte die Organisation das 2011 verabschiedete Gesetz, das weibliche Beschneidung erstmals unter Strafe stellt. Durch die Geschlechterkommission schließlich, so Alice Kirambi, spielte Maendeleo eine Schlüsselrolle in der Zwei-Drittel-Geschlechterverteilung im Parlament, die nun nach einem Urteil des Obersten Gerichts fortschreitend bis 2015 umgesetzt werden soll. „Dass unsere Anliegen nun Gesetzescharakter haben, ist unsere größte Errungenschaft", erklärt die Geschäftsführerin.
Joyce Rugara hat für ihre Leidenschaft, die Handwebstühle, ihre feste Stellung als Administratorin bei Maendeleo Ya Wanawake aufgegeben. Ihren ersten Webstuhl kaufte sie 2009 für 250 Euro, später konnte sie sich einen noch größeren Webstuhl leisten und investierte weitere 570 Euro. Ihr Geschäft wachse, erzählt sie überzeugt. Sie denkt über einen strategischen Plan nach, über das Färben des Rohstoffs und darüber, wie sie schneller auf die wechselhaften Wünsche ihrer Kunden reagieren kann. Die Webstühle haben ihr Leben verändert. Auch Maendeleo ist aus diesem Leben nicht wegzudenken.