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Kolumne

Doppelgänger

Als ich meine Ausbildung bei einer Zeitung
im südöstlichsten Bayern absolvierte, kam
es beinahe täglich vor, dass ich mit
einem sehr bekannten Politiker verwechselt
wurde. Ich kann nicht mehr sagen, wann das
Ganze genau angefangen hatte; jedenfalls
hatte sich eine Routine eingeschlichen,
und ich sah es als weitgehend zwecklos an,
mich gegen jene - freilich falsche - Behauptung
zur Wehr zu setzen, besagte Person sei ich.
Um überhaupt irgendetwas in der Sache zu tun,
versah ich das Klingelschild meiner
damaligen Wohnung mit dem Namen meines
Doppelgängers, was sich vorübergehend so
anfühlte, als hätte ich einen Sieg im Kampf
gegen die Obrigkeit davongetragen.

Dazu muss man wissen, dass mir besagte
Person nicht im mindesten ähnlich sieht.
Würde man uns nebeneinander platzieren,
sagen wir zum Zwecke einer
Gegenüberstellung, niemandem käme
ernsthaft der Gedanken, besagte Person
ähnele mir. Nein, die Ähnlichkeit besteht
lediglich darin, dass wir beinahe haargenau
den gleichen Namen besitzen. Und da
besagte Person zu allem Überfluss aus jener
südostbayerischen Stadt stammte, in der ich
volontierte, war die Sache durch.

Nun gibt es bekanntermaßen
Verwechslungen, die eine Person feinsinnig
und klug, ja bisweilen schmeichelhaft beschreiben.
Jemand, der mich
nicht gut kennt, hat mich zum Beispiel einmal
mit dem sagenhaft guten Gitarristen David
Gilmour verglichen. Jemand anderes,
der mich wiederum ziemlich gut kennt,
sagte, meine Frisur erinnere ihn an den
amerikanischen Präsidenten Donald Trump.
Ich brauche nicht zu erwähnen, dass ich die
Anrufe letzterer Person in der Folge
wochenlang ignorierte.

Die Verwechslung mit besagter Person
jedenfalls fing an, mir auf die Nerven zu gehen,
weshalb ich, meldete ich mich am Telefon,
von nun an den Zusatz „ja, wie der Minister,
nur mit einem `er´ mehr“ gebrauchte.
Damit fuhr ich so gut, dass ich die
Ausbildung ohne größere Zwischenfälle
überstand und zurück nach Bamberg zog,
um nie, wirklich nie wieder auch nur einen
einzigen Gedanken an besagte Person
verschwenden zu müssen.

Doch es kam anders. Ich habe bereits
erwähnt, dass ich, bevor ich beim FT anfing,
in Bamberg neben meinem irre
gut aussehenden lila Velourssofa einen Job
mit überschaubarer Arbeitszeit gefunden hatte.
In jenem Job also bekam ich eines Morgens
einen Brief zugestellt. In der Adressatenzeile
las ich über meinem Namen: „An den sehr
geehrten Herrn Minister“. Verdutzt schaute ich aus
dem Fenster, der Verkehr glitt unbeeindruckt
durch die Straßen. Ich betrachtete den Vorfall
als einmalige Sache, ließ die Arbeit an jenem
Tag aber vorsichtshalber trotzdem ruhen.

Wegen eines Artikels habe ich in der
ersten Woche in meiner neuen Stelle in
Höchstadt mit einer sehr netten Frau telefoniert.
Ich wollte ihren Mann sprechen, weshalb sie
den Hörer nach kurzer, aber freundlicher
Begrüßung flugs an ihn
weiterreichte. Bei der Hörerübergabe hörte ich,
wie sie mich ankündigte. „Ein Mann von der
Zeitung ist dran, ein Herr Steuerle oder so.“
Ich führte das Gespräch mit ihrem Mann
anschließend mit sagenhafter Leichtigkeit zu Ende.
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Manchmal wünscht sich unser neuer
Mitarbeiter einen anderen Namen.
A.scheuerer@infranken.de

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