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Kolumne

Kein Café

Neulich klingelte mein Telefon. Die
Zentralredaktion des Fränkischen Tags
war dran und beschied, man habe eine
Stelle in Höchstadt zu vergeben, die unter
bestimmten Umständen etwas für mich sei.
Da ich als künftiger Mitarbeiter einen
mustergültigen Eindruck hinterlassen wollte,
ich aber noch nie zuvor in Höchstadt gewesen war,
bat ich um Bedenkzeit. Ich erhob mich
aus dem lila Velourssofa meiner bescheidenen
Dachgeschosswohnung im Bamberger
Stadtgebiet, stieg ins Auto und stand exakt
siebenundzwanzig Minuten später in
der Fußgängerzone von Höchstadt.

Zwei Jahre hatte ich nicht mehr für eine
Zeitung geschrieben, was zum einen
daran lag, dass ich vor allen Dingen damit
beschäftigt war, meiner Tochter beim
Aufwachsen zuzuschauen. Zum anderen
hatte ich eine kleine Stelle in Bamberg
gefunden, die Bezahlung war okay und die
Arbeitszeit so überschaubar, dass
nebenher sogar noch ein klitzekleines
bisschen Zeit blieb, um sich über Gott
und die Welt Gedanken zu machen.
Kurz, ich lebte einigermaßen glücklich in
Bamberg, als mich mein Freund G. auf freie
Stellen beim FT aufmerksam machte.

G. arbeitet selbst für eine Zeitung. Ich
vertraue seinem Urteil und nachdem er
die Gelegenheit für günstig hielt, setzte
ich eine Bewerbung auf. Ich kenne G.
aus dem Sport, genauer gesagt,
habe ich ihn vor Jahren beim Fußball- und
später noch einmal beim
Basketballspielen kennengelernt. Das
Erstaunliche daran ist, dass G. mir im
Basketball um exakt jene Klasse
überlegen war, welche ihm wiederum im
Fußball zu mir fehlte. Gäbe es eine Liga,
in der beide Sportarten hintereinander gespielt
würden, G. und ich würden diese zweifelsohne
mühelos dominieren. Aber da es so etwas nicht
gibt, ist der Gedanke natürlich Unsinn.

Jedenfalls war ich nach Höchstadt
gefahren. Und wann immer ich eine Stadt
zum ersten Mal besuche, verfahre ich so:
Dort angekommen setze ich mich ins
erstbeste Café, da Cafés
bekanntermaßen viel, ja, wenn nicht gar
alles über eine Stadt erzählen. Ich bestelle
ein ortsübliches Getränk und tausche über
Tische hinweg zaghafte Höflichkeiten mit
Einheimischen aus. Weil aber wegen des
Coronavirus an jenem Tag kein Café
offen hatte, bestellte ich kein Getränk.
Ich sprach mit niemandem und schlenderte
stattdessen still durch die Marktstraße.
Der Himmel über Höchstadt zeigte ein
sanftes Blau und schließlich blieb ich
vor einem Bücherregal stehen, das mitten
in der Fußgängerzone aufgebaut war.
Im untersten Fach trug das Regal das Buch
"Der Vater" von August Strindberg.
Ich blätterte ein wenig in dem Buch, las, dachte
an meine Tochter und ans Café und ließ
das ganze auf mich wirken. Dann zog ich mein
Handy aus der Tasche, wählte die Nummer
der Zentralredaktion und sagte die Stelle
mit einigermaßen fester Stimme zu.
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Ohne seine lila Couch sagt unsere neuer
Redakteur in seiner Kolumne gar nichts.
A.scheuerer@infranken.de

https://www.infranken.de/regional/artikel_fuer_gemeinden/kein-cafe;art154303,5007769

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