1 Abo und 0 Abonnenten
Kolumne

Barmania

Dass ich seit ein paar Wochen ein ziemlich
schlechtes Gewissen habe, liegt an Johanna.
Wobei, angefangen hatte das ganze mit
einem Anruf von C. C. gehört zu meinen engsten
Freunden, was unter anderem damit zu tun hat,
dass wir eine gemeinsame Leidenschaft für
Bars hegen. Einmal im Jahr besuchen wir deshalb
eine europäische Stadt, und so wie andere
Menschen Kirchen bestaunen, bestaunen C.
und ich dort hauptsächlich alte Bars, was wir
inzwischen so oft getan haben, dass es nicht
übertrieben wäre, wenn man sagte,
wir hätten jede Bar in Europa gesehen.

In Höchstadt, so versicherte ich C am Telefon,
gebe es keine Bar, woraufhin C. im wärmsten
Bass anmerkte, dass er so etwas nicht für möglich
halte, ich solle das ganze noch einmal überprüfen,
sagte er. Weil ich mich Cs Anweisungen ungern
widersetze, durchmaß ich also an einem lauen
Abend im Frühsommer die Stadt. Ich entdeckte
Annes Pilspub, das bis auf weiteres zuhatte. Ich
lief quer über den Marktplatz zum Bräustüberl,
wo bis vor Kurzem noch ein Italiener servierte,
wegen der hohen Pacht aber, wie eine Passantin
verriet, hingeschmissen hatte und jetzt ein paar
Häuser weiter seine Gäste mit exzellente Pasta
versorge. Kurz überlegte ich, ob der Italiener als
Bar durchginge, doch es fühlte sich falsch an.
Ich schenke mir die Hauptstraße, stieg ins Auto
und fuhr nach Hause, wo ich, ohne mein irre gut
aussehendes lila Velourssofa zu besetzen,
enttäuscht zu Bett ging.

Als ich noch in der Ausbildung steckte, war ich
für ein Jahr in eine niederbayerische Kleinstadt
gezogen, um dort für die lokale Zeitung zu arbeiten.
Ich hatte mich schnell eingelebt, was ich daran
festmachte, dass bereits am dritten Abend ein
Kollege der Konkurrenzzeitung bei mir anrief und
verfügte, man treffe sich in einer halben Stunde
auf ein Helles beim Haberwirt - einer Bar, die an
Anmut und Exklusivität in ganz Niederbayern ihres
gleichen suche, wie er sagte. Ich glaubte jedes
Wort und saß eine Stunde später mit ihm, dem
Wirt und ein paar Einheimischen am Tisch.

Die Bar bestand im wesentlichen aus einem
wohnzimmergroßen Raum, der mit klebrigen
Holztischen, vergilbt-muffigen Leinenvorhängen
und einem zumeist mies gelaunten Wirt
ausstaffiert war. Wer zur Öffnungszeit kam, stand
oft stundenlang vor der Tür, ehe der Wirt maulend
im Bademantel aufsperrte, um kurz darauf ein
mittelmäßiges Bier aufzutischen. Ich brauche
nicht zu erwähnen, dass ich von nun an jeden
Abend vorbeischaute. Als ich C . von der Bar
erzählte, sagte er, er schaue demnächst vorbei.
Tat er aber nie.

Einmal trat dort der fantastische
US-Fusion-Jazz-Schlagzeuger Sean Noonan
auf.Ein anderes mal hielt der örtliche Frauenstammtisch
sein Treffen ab. Immer wehte eine Prise sanfte
Revolution durch die Stube, die mich für den
Nachhauseweg straffte, nachdem uns der Wirt
bei fast vollem Glas auf die Straße gesetzt hatte.
Es war ein erhebendes Gefühl, und als ich die Stadt
ein Jahr später verließ, war ich sicher, nie mehr
eine ähnliche Bar zu finden.

Vor ein paar Wochen zog ich durch Höchstadt.
Ich passierte das Bräustüberl und ließ Annes
Pilspub links liegen. Ich lief die Hauptstraße
hinunter und setzte mich ins Töpfla, wo ich ein
erstklassiges, von einer sehr netten Frau mit
norddeutschem Dialekt serviertes Helles bestellte.
Ich glaube, sie hieß Johanna. „Schmeckt‘s?“, fragte sie.
Ich nickte und trank aus. Dann verabschiedete ich
mich und versprach, von nun an jede Woche
reinzuschauen. Dass ich mein Versprechen gleich
in den ersten Wochen gebrochen habe, plagt mein
Gewissen. Ich gelobe Besserung.

Wenn unser Redakteur nicht gerade mit C unterwegs
ist, sieht er sich gerne auch Kirchen an. Nun fährt er
in den Urlaub an den Tegernsee.

https://www.infranken.de/lk/gem/sommerparadies-art-5049360