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Gefühlsmacher

Im Tanzsaal der Dorfwirtschaft probt Paul Zauner jeden Morgen vier Stunden  Foto ScheuererDer österreichische Posaunist Paul Zauner hat den Jazz nach Passau geholt – Ein Porträt


Bei der ersten Verabredung hat man Mühe, die Hausnummer 10 in Vornbach zu finden und landet schließlich im Hinterhof einer alten, vergessenen Gaststätte. Da steht Paul Zauner auf einem blumenverhangenen Holzbalkon, winkt, und lässig schleudert er ein leises "Servas" in den Innenhof, das vorne abhebt und klingt, als habe man gerade ein Wiener Kaffeehaus betreten. Dann bittet der wuchtige Mann die Stufen hinauf und durch ein Kindergitter hinein in eine kleine Stube mit Eckbank und Kachelofen.


Ginge es um die Suche nach dem ach so geronnenen Heimatgefühl, man müsste haltmachen, hier auf Zauners Eckbank in Vornbach. Doch es geht um ihn, um das Leben des Posaunisten, der das Jazzfest nach Passau geholt hat, der lange zuvor das schräge Inntöne-Festivals auf einem Bauernhof im Nirgendwo in Österreich erdacht hat, das die vergangenen Jahre große Namen wie Mansur Scott, Pharoah Sanders oder Bobby West anzog. Zauner setzt sich in dunklen Wollsocken an den Tisch, ein türkisfarbener Latz rutscht vom Kinderstuhl, "Bitteschön".


Ein paar Kilometer entfernt im oberösterreichischen Diersbach wurde Paul Zauner am 3. Dezember 1959 als eines von zwei Kindern in einen Bauernhof hineingeboren. Die ältere Schwester Maria hatte, so wollte es der Vater, früh damit begonnen, Klavier und Akkordeon zu spielen. Für Paul hatte der Vater, der ein paar hundert Mastschweine im Stall versorgen musste und Lichtjahre entfernt vom Sohnemann dachte, andere Pläne. "Ich sollte den Hof übernehmen. Musik war für mich nie vorgesehen."


Es hat gedauert, bis der Mann mit den zerzausten schwarzgrauen Haaren und den kräftigen Händen zur Musik fand. Da war die landwirtschaftliche Schule, auf die ihn der Vater schickte, damit der Sohn das Handwerk lernt, was er nie bereute, was ihm aber nicht reichte. Er holte die Matura nach. Er begann ein Studium der Veterinärmedizin, 1980, in Wien, einer Stadt, in der sich die Kunst und die Musik so eingenistet haben wie ein Vogel in einer Baumkrone. Also nahm er ein Zweitstudium am Franz Schubert Konservatorium auf, Klavier und Posaune, das er 1986 abschloss. Er sagt: "Ich habe immer gewusst, dass ich mit Musik mein Geld verdienen kann." Nie dachte er, er könne scheitern. Und so stand er am Ende auf den großen Bühnen in London, Indien, Brasilien mit Gregory Porter, Kirk Lightsey oder Leon Thomas.


Hier in der 10 in Vornbach, einem Örtchen mit Maibaum und Bäckercafé, nicht weit von der österreichischen Grenze entfernt, hier in der 10 hat sich Paul Zauner ein Leben eingerichtet, das ihn nicht abheben lässt. Vor drei Jahren hat er eine kluge Frau geheiratet, die zwanzig Jahre jünger ist als der 57 Jahre alte Posaunist, vor 17 Monaten bekam das Paar eine kleine Tochter, Luise. Zauner sagt: "Wir fühlen uns hier sehr wohl." Er habe das nicht geplant, die netten Nachbarn, das Glück. Kann man Glück planen?


Es mögen die Nachbarn sein, die einen Menschen wie Paul Zauner an solchen Orten zur Ruhe kommen lassen. Seine Mutter Maria, 85, sagt, das liegt daran, dass "der Paule selber immer auch ein sozialer Mensch war". Wenn er nicht gerade vor dem Radio in seinem Zimmer saß, half er der Mutter in der Küche. Er nahm englische Musiker auf der Durchreise bei sich auf. Und er wurde selbst aufgenommen, als er zu Konzerten reiste, nach Nürnberg, Zeppelinfeld, 1978, wo er Eric Clapton und Bob Dylan erlebte, "dieses Gefühl, dieses Herz, unfassbar". Oder sein erstes Jazzkonzert, ein Jahr später in London mit dem großen Joe Pass.


Man lernt auf diesen Reisen, was es heißt, ein Weltbürger zu sein – und wird ganz automatisch selbst zu einem.


Auf Zauners Eckbank liegen die Süddeutsche Zeitung und Die Zeit. Musikkritiken liest er selten, sagt seine Frau. Er halte dadurch Distanz zu Kritikern. Er sagt: "Kritiker schreiben oft über Dinge, die sie nicht verstehen." Sie würden vergessen, worauf es ankäme: aufs Gefühl. 


Wer Paul Zauner verstehen will, wer das Gefühl miterleben möchte, von dem er spricht, der muss ihn hören. Zum Beispiel morgens um 5 Uhr, wenn er die Treppen seiner Wohnung hinunterschleicht, um in dem prunkvollen Saal der Dorfwirtschaft nebenan für Proben drei bis vier Stunden mit seiner Posaune zu verschwinden. Bei Zauner braucht es nur ein paar Töne aus den dick aufgeblasenen Wangen, die das Gefühl in dem Raum mit den antiken Kronleuchtern und den luftigen Holztüren einfangen, ihn atmosphärisch abdichten. Wenn er absetzt und sagt, "so in etwa", bekommt seine österreichische Bescheidenheit eine neue Dimension.


Noch besser wird es nur bei seinen Konzerten. Gerade kommt er von einer Tour mit dem amerikanischen Saxofonisten David Murray. Sie traten in Clubs in London und Österreich auf, in engen, dunstverhangenen Musikschuppen, wo die Zuschauer sofort spüren, wenn Musiker es Ernst meinen. Es gehe darum, alles reinzulegen, "sich eine lossen", nennt Zauner das. "Die kleine Bühnen, die mog i gern."


Deshalb hat er vor 17 Jahren das Jazzfest im Café Museum ins Leben gerufen, er als künstlerischer Leiter, sein Partner, Jürgen Waldner organisiert das Café. Manchmal treten hier Musiker auf, die Zauner nicht überzeugen, sagt er. "Manche sind technisch exzellent, aber ihr Herz und ihr Hirn haben die Musik noch nicht verarbeitet." Musikschulen bilden oft zu schnell aus, weil Zeit eben Geld ist. Mentoren, Menschen, die einen fördern, auch wenn es nicht läuft, seien selten. Das sei ein gesellschaftliches Problem, alles müsse immer schneller gehen.


Erst vor ein paar Tagen hat er beim Jazzfest einen dieser Auftritte miterlebt, wo technisch alles fein war, aber das Gefühl eben fehlte. Wenn er am Morgen vier Stunden geprobt hat und ihn der Saal im Dorfwirt wieder ausspuckt, denkt er oft darüber nach, wie es wäre, das Gefühl zu verlieren. Er steigt dann die Stufen hoch in sein Leben in der 10, klappt das Kindertürchen hinter sich zu, und die Angst verschwindet.