1 Abo und 0 Abonnenten

So ist er halt

Der SSV Jahn Regensburg schrieb lange peinliche Schlagzeilen. Mit neuem Personal kam er zurück in Liga 2 und sucht seither seine Rolle zwischen Tradition und Professionalität. Ein Besuch.

Als das neue Stadion da war, hat er sich ein Büro eingerichtet, hier oben im zweiten Stock, nahe an den Logen und den Männern mit der Macht. Irgendjemand hat den Flur gewischt, das Parkett, erdnussgelb, glänzt noch nass. Christian Keller tritt hinaus auf den Balkon der Loge, er stemmt die Arme auf die Balustrade, das Stadion ist leer. Keller streckt sich, es ist 15 Uhr, er gähnt. Lange Zeit hatte der SSV Jahn Regensburg viele Probleme auf einmal, heute beginnt die neue Leichtigkeit in Loge 2.

Bundesautobahn 3, Ausfahrt Universität Regensburg, Stadtteil Oberisling. Oberisling lebte lange von der Landwirtschaft – und dann von Gott. Papst Benedikt hat den Stadtteil bekannt gemacht, 230 000 Menschen saßen hier vor gut zehn Jahren auf einer Wiese, um zu beten, ein haushohes Kreuz erzählt davon. Inzwischen hat die Stadt bauen lassen, wegen der Nähe zur Stadt, zum Klinikum, zur Industrie die A3 hinunter. Quadratmeterpreise schossen hoch, eine Pferdekoppel blieb. Der Jahn zog aus der Stadt an den Rand in die Continental Arena.

Christian Keller tritt wieder hinein, es zieht auf dem Balkon von Loge 2. Er, 39 Jahre alt, etwa zwei Meter groß, Doktor der Betriebswirtschaft, hat die Geschäfte beim Jahn vor fünf Jahren übernommen. Heute ist der Verein erfolgreicher denn je. Er, dicke Uhr, Dauerlächeln, das Sakko bleibt während des Interviews an, sagt: „Ich kann Ihnen mal ein paar Zahlen nennen.“ In fünf Jahren hat der Verein seinen Jahresumsatz vervierfacht, aus 60 Sponsoren wurden 260, aus 500 Dauerkartenbesitzer 4200. Man stieg noch einmal ab, danach: Durchmarsch in Liga 2, Tabellenplatz 6. Regensburg feiert den Jahn.Doch war das lange anders.

Keller kennt die alten Geschichten über den Jahn, peinliche Schlagzeilen, wie jene, als die Spieler monatelang auf ihrGehalt warten mussten und nach dem Spiel im Stadion in der Prüfeninger Straße unter kalten Duschen standen. Oder, als ein Stromanbieter im alten Stadion das Licht abstellte, weil der Jahn seine Rechnung nicht bezahlen konnte. Die Stadt hatte sich mit den Peinlichkeiten aus der Prüfeninger Straße abgefunden. Der Verein aber hatte genug. Also holte man Christian Keller, Analyst, Geschäftsmann. Er sagt: „Der Jahn hatte immer Herzblut, aber entscheidende Entwicklungen im Profifußballwurden verschlafen.“

Im zweitenStock der Continental Arena ist das Leben gönnerhaft. Sponsoren federn durch die Räume, wenn der Jahn spielt. Sie schüttelnHände, rauchen auf den Balkonen. Man echauffiert sich inzwischen selten über die Mannschaft, noch seltener wird nur gebrüllt. Während die Arena zu rumoren beginnt, stehen die Männer hier noch bauchige Weingläsern schwenkend an der Bar, wenn unten schon das ganze Leben tobt. Die Menschen in Loge 2 sind wichtig für den Jahn. Sie sind wichtig für Geschäftsmann Keller.

Er hat den Jahn nach unternehmerischen Regeln vermessen, er hat Mitarbeiter entlassen, die seiner Meinung nach nicht zur Mentalität passten und neue eingestellt, er hat den Erfolg durchgerechnet, immer wieder. Am Ende, sagt er, ging es darum, dem Verein das verlorengegangene Image zurückzugeben, die Spielidee der Mannschaft kam später dazu.„Wir wollten wieder glaubwürdig und vertrauenswürdig sein.“ Das bedeutete schließlich: Raus aus dem Chaos, hinein in eine Welt fristgerechter Zinsen und andauernder Wertsteigerung. Deshalb die neue Arena. Deshalb Keller.

Doch die Stadt blieb lange skeptisch. Tradition hat hier Tradition, mehr als anderswo.

In Städterankings taucht Regensburg für gewöhnlichweit vorne auf. Die Wirtschaft brummt, höchste Kneipendichte, beste Lebensqualität. In den verschnörkelten Altstadtgassenwölben sich die Häuserfassadenwie hervortretende Männerbäuche. Die Stadt ist Weltkulturerbe, wegen des Doms und der Steinernen Brücke, wegen der historischen Altstadt sowieso. Studenten wollen hier studieren. Lehrer lehren. Ingenieure bauen.Unternehmen beraten. Die Sehnsucht nach dem Antlitz einer Großstadt ist riesig. Der Jahn sollte daher scheinen. Also half die Stadt ein wenig nach.

Der damalige OB Hans Schaidinger (CSU) drückte die Fußballarena von Oberisling im Stadtrat durch. Für rund 53 Millionen Euro bekam Regensburg einen neuen Fußballtempel, 15 000 Plätze, zwei VIP-Etagen, zweitligatauglich, die Stadt finanzierte. Dass der Jahn gerade dabei war, in die Regionalliga abzusteigen, Nebensache. Die Regensburger fragten sich, wie es möglich sei, ohne Geld ein neues Stadion zu bauen. Aber beim Jahn blieb man gelassen. Schließlich gab es ja Volker Tretzel, den Vereins-Mäzen, der einsprang, wenn es klamm wurde in den Kassen des Fußballclubs. Über Jahre hatte der Bauunternehmer Geld in den Verein geschossen. Mal waren das vier, mal fünf Nullen. „Ohne die finanzielle Unterstützung von Volker Tretzel gäbe es den Jahn nicht mehr“, sagt Keller. Als Ende 2016 die Regensburger Spendenaffäre aufkam, stand der Jahn dann aber plötzlich mittendrin – und die Leichtigkeit war dahin. Es habe Absprachen gegeben, OB Joachim Wolbergs (SPD), der im Aufsichtsrat beim Jahn saß, habe Tretzel das Areal der Nibelungenkaserne zugeschanzt, im Gegenzug blieb der Baulöwe dem Verein wohlgesonnen. So sagt es die Staatsanwaltschaft. Tretzel kam in Untersuchungshaft, Wolbergs ebenso.Das Gericht prüft.

„Sollte es Absprachen gegeben haben, haben wir davon nichts mitbekommen“, sagt Keller. Erst als die Kriminalpolizei in der Arena in Oberisling anklopft, um unangenehme Fragen zu stellen, habe der Geschäftsführer von den Machenschaften erfahren. Hinzu kam, dass Volker Tretzel dem Jahn gerade 500 000 Euro versprochen hatte.Geld, das eingeplant war, es wurde turbulent. „Der Jahnwurde in der medialen Berichterstattung ein Stück weit zum  Spielball“, sagte Keller damals in die Mikrofone. Der Verein habe dann alles offengelegt. Doch das Image litt. Einer, der den Jahn kennt, sagt: „Die Enttäuschung bei den  Verantwortlichen war riesengroß, auch wenn sie es nicht zugeben.“

Niederlagen verdauen sie in Regensburg am liebsten in eingesessenen Gaststuben. Also raus aus derArena, einmal durch die Stadt, rein in denKneitinger. Damals, als der Jahn noch im alten Stadion in der Prüfeninger Straße spielte, fiel die Gaststätte jeden Sonntag fast auseinander, wegender vielen Fans. Inzwischen sei es weniger geworden, sagt ein Mann. Er sitzt in einer Stube, holzvertäfelte Wände, Tischleuchten aus Hirschgeweihen. Die Stuben, sie heißen Gaststätte, Schaffnerstube oder Braustube und schlängeln sich wie ein  Tunnelsystem durch die Wirtschaft.

Hier saßen, so sagt man, schon Wolbergs und Schaidinger zusammen, um über den Jahn zu reden. Hier sitzen wöchentlich ehemalige Jahn-Präsidenten, um sich gegenseitig auf die Schultern zu klopfen. Franz Preuß saß hier nie. „Alles nicht meine Leute“, sagt der Vorsitzende des Jahn-Fanclubs „Power of the Tower“.

Franz Preuß sitzt im Gang. Hier trinken die Gäste ihr Bier im Stehen, während die Bedienungen in den Stuben Schweinebraten an die Tische karren. Für Preuß ist der Gang so etwas wie die letzte Bastion bürgerlichen Widerstands, die Stube: kapitalistisches Establishment. Der wuchtige Mann trägt eine Uhr, dicker als die von Keller, am kleinen Finger sitzt ein silberner Jahn-Ring, protzig fast. Eine Bedienung blättert in der Zeitung, Teller scheppern in der Küche. Preuß putzt seine Brille. Die Sicht ist trüb.

Man kennt Preuß im Kneitinger, sagt aber „Preiß“, weil das leichter von der Zunge geht.
„Warst schon lange nicht mehr da, Franz“, sagt der Wirt. „Mei, der Jahn spielt halt jetzt
oben in der Arena“, sagte Preuß. „Und, bist’ zufrieden?“ „Eigentlich kann man sich
nicht beschweren.“ Preuß meint tatsächlich: eigentlich.

Denn Preuß (63) gehört zu jenen, diemit demneuen Jahn so ihre Probleme haben, weil das Gefühl zurückging, weil Professionalität nun über allem stehe. Seit 45 Jahren ist er im Verein, früher war er Fanbeauftragter, wo sie ihn,wie er sagt, grundlos entlassen haben, wegrationalisiert, sagt er. Auch die damalige Geschäftsführerin, die monatelang umsonst für den Jahn arbeitete, habe gehen müssen. „Die Art, wie Leute gefeuert wurden, war unmöglich. Wer für den Jahn nicht brauchbar ist,wird abgesägt.“

Bei Preuß ist der Jahn vor allem Gefühl. Er hat das erlebt, die Sonntage, an denen kaum jemand im alten Stadion in der Prüfeninger Straße saß,weil die Bayernliga niemanden interessierte. Und später, als es wieder hochging und dieLeute zurückkamen.Und heute? „Ich hänge am alten Stadion“, sagt er. Er schmollt, sein Blick fällt ins Bierglas. Wie ein Stich ins Herz sei das damals gewesen, als klar war, dass der Jahn ein neues Stadion bekommt. Inzwischen habe er verstanden, dass die Arena viel für den Verein bedeutet. Noch mehr für die Stadt.

Wer wissen will, was uns ausmacht, muss sich fragen, was uns nicht genommen werden darf. Dass der Jahn nun nicht mehr in der Stadt, sondern am Stadtrand spielt, bedeutet für Preuß eben auch, dass die Nähe zur Mannschaft abgenommen hat. Alles sei anonymer und effizienter, die Terminkalender der Spieler seien sowieso immer voll, auch wenn sie leer sind, sagt Preuß. Gemeinsame Essen habe es früher nach jedem Spiel gegeben. Und einmal, kurz vor Weihnachten, da saß der ganze Jahn in Preuß’ Hobbykeller, um zu feiern. „Alles vorbei“, sagt er. Natürlich freue er sich über die vielen neuen Fans, darüber, dass der Jahn nun ein Botschafter Ostbayerns ist, wie es im Foyer der neuen Arena steht. Aber was ändere das schon am Gefühl?

Er sei altmodisch. Wenn der Jahnspielt, nur zum Beispiel, trägt er immer den gleichen Hut, er könne sich schwer von solchen Dingen trennen, sagt er. Ist das schlimm? Es gehe ihm  darum, dass Menschen den alten Jahn nicht vergessen. Dass sie wissen, es gab mal einen anderen Jahn, vor der Arena, ja, auch vor Christian Keller und der Professionalität. Schließlich sei nicht alles schlecht gewesen im gefühligen, alten Jahn. Und wo käme man schon hin, ohne Tradition, ohne das Gefühl. Preuß würde sagen: Nirgendwohin. Die Arbeit von Christian Keller lobt er trotzdem.

Auf dem Gelände des alten Jahnstadions in der Prüfeninger Straße baut die Stadt gerade eine Schule. Verloren steht er da, der Turm, der einmal den Spielstand anzeigte und nach dem Preuß seinen Fanclub benannte, Tower, Turm. Der Turmist alles, was vom alten Stadion übrig ist, alles was Preuß blieb vom alten Jahn. Was mit dem Tower passiert? Preuß weiß es nicht. Er hat den Verein gebeten, den Turm originalgetreu nach Oberisling umzusetzen. Der Verein lehnte ab, sagt er. „So ist er halt, der Jahn.“

„Der Jahn hatmich so in seinen Bann gezogen, ich weiß gar nicht warum, eigentlich kann ich ihn  garnicht leiden“, sagt FranzPreuß und lacht. Mei, so ist er halt, der Preuß.


http://plus.pnp.de/ueberregional/sport/2839109_So-ist-er-halt.html