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"Migrationshintergrund ist ein Unwort"

© Susann Stefanizen / Amnesty

Ihre Lehrer wollten nicht, dass Nuray Demir (33) aufs Gymnasium ging. Später studierte die Tochter türkischer Einwanderer in Hamburg, Wien und Marseille. Heute inszeniert die Künstlerin in der Kulturfabrik Kampnagel in Hamburg und bei den Berliner Tanztagen. Sie kritisiert den naiven Umgang mit Privilegien.

Protokoll: Andreas Koob


Ich finde es ambivalent, wenn ich eingeladen werde, um über Rassismus und Exotismus zu sprechen, weil schon die Einladung für mich Teil des Problems ist. Einerseits ist es wichtig darüber zu sprechen, aber andererseits werden diese Themen nicht an weiße Deutsche herangetragen. Die könnten aus einer privilegierteren Position heraus ja genauso gut über Rassismus sprechen.

Hinzu kommt, dass man mich zu diesem Thema viel öfter anfragt als etwa zu ästhetischen Erfahrungen. Anders gesagt: Die anderen dürfen zu spezifischen Kulturfragen sprechen, während ich den Rassismusdreck beseitigen muss. Selbst wenn mir natürlich klar ist, dass ich biografisches Wissen mitbringe, das sie nicht haben: Ich durfte in den Neunzigern im Sauerland als Kind sogenannter Gastarbeiter nicht aufs Gymnasium. Mein ­Realschullehrer sagte immer vor allen anderen Schülern: "Du machst eine Ausbildung, Nuray." Meine Dreisprachigkeit galt als Defizit, nie als Kompetenz.

1993 dann politisierte mich der Brandanschlag von Solingen - mit der kindlichen Gewissheit, dass es auch meine Familie hätte treffen können. Aber es brannte und brennt weiterhin in Deutschland: Auch an der Kunsthochschule in Hamburg fühlte ich mich total gehässig behandelt und kam mir vor wie ein Fremdkörper.

Auch deshalb sollten alle über Rassismus sprechen - über Diskriminierungen, wie ich sie erlebt habe, oder eben über die Privilegien, die dazu führen, dass andere davon profitieren. In der Kunst gibt es eine inhaltliche, diskursive Öffnung gegenüber dem Thema, während auf der strukturellen Ebene, etwa bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, nicht viel passiert. Das in Betracht zu ziehen, ist enorm wichtig.

Ich habe auch positive Erfahrungen gemacht mit reflektierten Institutionen, die Privilegien in einer Art Powersharing abgeben. Aber meistens herrscht ein naiver, völlig unreflektierter Umgang vor. Es wird eine imaginierte weiße Norm aufrechterhalten, die unangefochten bleibt, während alles andere markiert, exotisiert oder rassifiziert wird - oft als Folklore.

Eigentlich geht es in der Kunst ja um Präsentation und Repräsentation. Aber wenn bestimmte Menschen an diesen Orten gar nicht präsent sind, dann kann eben nur über sie gesprochen werden, nicht mit ihnen. Obwohl Kunstinstitutionen öffentlich finanziert werden, sind sie meist exklusiv und elitär. Auch das Publikum stellt eine homogene Parallelgesellschaft dar. Anstatt sich darüber auszulassen, warum andere Leute nicht ins Theater gehen, müssen wir uns fragen, wer das Programm macht, denn damit ließe sich auch das Publikum erklären.

Was es inzwischen an vielen Theatern gibt, sind Projekte für Jugendliche mit sogenanntem Migrationshintergrund. Sie gehören zwar der dritten Einwanderergeneration an und leben in einer postmigrantischen Gesellschaft, aber trotzdem werden sie immer wieder mit diesem Unwort markiert. Das ist absurd und suggeriert, dass sie auf der Bühne eigentlich nichts zu suchen haben. Das gleiche gilt für Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger oder behinderte Personen. Was vermeintlich gut gemeint ist, ist tatsächlich oft eine Mitleidsperformance. Und kein Mensch ist auf Mitleid angewiesen.

Biografisch bedingt setze ich mich mit Rassismus auseinander, auch künstlerisch. Ich will aber auch andere Themen verfolgen und nicht immer nur passiv auf gewisse Rassismen reagieren, sondern eine Vision aufzeigen, wie Zusammenleben funktionieren kann. Für meine Abschlussarbeit habe ich deshalb ­einen Wohncontainer am Haupteingang der Kunsthochschule in Hamburg aufgestellt, als Installation, als Begegnungsraum - anknüpfend an die ersten Moscheen in Deutschland, die in Containern in Hinterhöfen untergebracht waren. Bei diesem Werk ging es um die Matrix von Peripherie und Zentrum, und da gibt es viel Kontinuität, wenn wir an heute denken.


Dieser Artikel ist in der Ausgabe Februar 2017 des Amnesty Journals erschienen. Zum Original