Keine Abos und 1 Abonnent
Artikel

Die Tendenz zum Außenseiter

Iman Burhan, Gründer der Filmagentur Eastleighwood, will mit seinen Produktionen das Bild der somalischen Community in Kenia in ein besseres Licht rücken. Foto: Lydia Matata

Eastleighwood: Der Stadtteil Eastleigh in Nairobi gilt als ‚Klein Mogadischu‘. Durch Terror und Piraterie stehen die dort lebenden Somalier zunehmend unter Generalverdacht. Mit Filmen kämpft die Organisation Eastleighwood dagegen an – stößt aber auch in der eigenen Gemeinde auf große Widerstände.

Man kann die blecherne Musik aus einem Smartphone kaum verstehen, zu der vier Mitglieder der Gruppe Eastleighwood einen klassischen somalischen Tanz aufführen. Ein Stromausfall hat das Filmstudio ins Dunkel getaucht - nur das Licht einer Kamera fällt auf die Szene. Zwei Frauen in Burkas stehen ihren beiden männlichen Tanzpartnern am anderen Ende der Bühne gegenüber. Sie schütteln ihre Handgelenke rhythmisch im Takt zur Musik. Das Studio liegt direkt in einer großen Shopping-Mall an einer hektischen Straße in Eastleigh, einem Teil von Nairobi, der vor allem durch Marktstände und Einkaufscentren geprägt ist.

Viele der Mitglieder von Eastleighwood haben somalische Wurzeln. Sie alle teilen das Schicksal, in einer Gesellschaft zu leben, die dazu tendiert, Somalier als Außenseiter zu charakterisieren - sogar diejenigen, die in Kenia geboren und aufgewachsen sind. Der Gründer und Co-Leiter von Eastleighwood, Iman Burhan, hatte von Anfang ein Ziel: jungen Menschen einen Ort zu bieten, an dem sie sich zuhause fühlen. Mit eigens produzierten Filmen und TV-Shows versucht er, dem weit verbreiteten negativen Image von Somaliern in den kenianischen Medien zu begegnen. Darüber hinaus bietet die Organisation jungen Menschen in den ärmeren Gegenden von Eastleigh kostenlose Medientrainings und weitere jugendgeführte Unterstützerprogramme an.

Die Gegend trägt nicht umsonst den Beinamen ‚Klein Mogadischu'. Folgt man einem Bericht des Rift Valley Instituts, lebt in Eastleigh die größte somalische Bevölkerungsgruppe außerhalb Somalias. Neben in Kenia geborenen Somaliern, sind aufgrund des Konflikts in der Heimat viele somalische Flüchtlinge in den letzten Jahren hinzugekommen.

Somalier haben ein sehr negatives Bild in den Mainstream-Medien. Darum erzählen wir unsere eigenen Geschichten

Als sich die Organisation im Jahr 2011 bildete, begann das kenianische Militär gerade eine Offensive in Somalia. Zudem erschütterten zahlreiche Terroranschläge das Land. Urplötzlich stand Eastleigh im medialen Fadenkreuz als Brutstätte für Terror und Piraterie.

In dieser Zeit wurde Burhan, der selbst in Nairobi aufwuchs, im eigenen Land zum Außenseiter: „Die Politiker haben es versäumt, zwischen Terroristen und normalen Bürgern zu unterscheiden. Das hat uns eine harte Zeit beschert - Stereotypisierung und Diskriminierung waren an der Tagesordnung. Bist du Somalier oder klingst auch nur nach einem, bist du sofort ein Mitglied von Al-Shabaab. Viele meiner Freunde sind in Kenia aufgewachsen, aber auf einmal fühlten sie sich nicht mehr zuhause."

Burhan selbst hat keine Vorerfahrung im Filmen. Vor der Gründung von Eastleighwood führte er ein Internet-Café. Nach den Vorkommnissen im Jahr 2011 fasste er gemeinsam mit einigen Freunden den Entschluss, dem negativen Bild entgegenzuwirken. Sie starteten das Magazin Wabeeri (Neuer Tag), das in englischer und somalischer Sprache erschien. Sie wollten damit Menschen auf der ganzen Welt erreichen und auf ihre Situation aufmerksam machen.

Er merkte aber schnell, dass er noch kreativer werden müsse, um das zu erreichen: „Als ich meine Freunde über meine Pläne zu Eastleighwood informierte, hielten sie es für eine gute Idee. Manche schlugen aber vor, die Organisation Somaliwood zu nennen. Ich wollte jedoch, dass das Projekt nicht nur Somaliern zugänglich sein solle, sondern ein zentrales Medien- und Kunstforum für alle wird."

Zu den letzten Produktionen von Eastleighwood zählt unter anderem der Actionfilm Mistaken, der die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die von einer Gang in Nairobi gekidnappt wird. Jüngst erschien auch die auf Volkserzählungen basierende Serie Arawelo, die über das Leben der gleichnamigen Königin berichtet. Sie herrschte der Sage nach einst über Somalia.

Genau wie das berühmte nigerianische Filmzentrum Nollywood, versucht Burhan mit seinen Produktionen die reiche Geschichte und Kultur seiner Gemeinde zu repräsentieren. Ungeachtet dessen sei es jedoch sehr vermessen sich mit Nollywood zu vergleichen. Seiner Organisation fehle es vor allem an Geld und Ausrüstung. Zudem sei man auch gesellschaftlich in Nigeria einen Schritt weiter. Dort stünde man Medien und Technologie weitaus liberaler gegenüber als es die eher konservative somalische Gemeinschaft tut.

Mehr als Entertainment

Mohammed Amin Abdullahi ist Schauspieler und Model. Er stammt aus Mandera im Nordosten Kenias. Als er im Jahr 2013 einen Bericht über Eastleighwood im Nachrichtensender Al Jazeera sah, packte er seine Sachen und reiste Richtung Nairobi. „Als ich dort ankam, kannte ich niemanden. Aber das Team hat mir schnell ein Gefühl von Heimat gegeben", erzählt Abdullahi.

Mittlerweile hat Abdullahi in der erwähnten Serie Arawelo mitgespielt und ist als Helfer im Rahmen des Unterstützerprogramms „Sustained Dialogue" für Jugendliche tätig, das die Organisation zusammen mit dem Life and Peace Institut auf die Beine gestellt hat. Das Programm bringt Jugendliche aus dem Gebiet der Eastlands zusammen, um über Arbeitslosigkeit, Drogenmissbrauch, Korruption und ähnliches zu diskutieren.

Eastleighwood will den jungen Menschen positive Alternativen bieten - vor allen Dingen jenen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit und Armut den terroristischen Gruppen in die Arme zu fallen drohen.

Farhiya Farah stammt aus Busia im Westen Kenias. Sie ist seit Beginn des Jahres eine der Tänzerinnen in der somalischen Traditionstanzgruppe: „Die Organisation tut wirklich sehr viel, um der Radikalisierung Jugendlicher entgegenzuwirken. Positiv ist auch, dass sie Menschen mit verschiedenen Glaubensrichtungen zusammenbringt."

Verbotenes Business

Trotz des Engagements fallen die Reaktionen auf die Arbeit der Gruppe in Eastleigh gemischt aus. In den Augen der vorrangig muslimischen Bevölkerung wird Show-Business als haram, etwas Verbotenes, erachtet.

Folgt man der Schauspielerin, Photographin und Verwalterin der Organisation, Rahma Mohamed Ileye, dann sei es vor allem für Frauen schwierig. Sie erklärt: „Es gibt ein somalisches Sprichwort: Ganz egal, ob eine Frau zur Universität geht oder nicht - am Ende landet sie sowieso in der Küche. Die Gemeinde ist sehr konservativ. Frauen, die außerhalb der eigenen vier Wände arbeiten, werden kritisch beäugt - und das gilt nicht nur für das Show-Business. Jedes Mal, wenn ich mit der Kamera auf einer Veranstaltung bin, werden mir erst einmal zehn Fragen gestellt. Die meisten haben schlicht noch nie eine Frau mit einer Kamera in der Hand gesehen." Sie fügt hinzu, dass sie es seltsam finde, dass es Somalier zwar in Ordnung fänden, sich Filme anzusehen, aber es gleichzeitig verboten wäre, darin mitzuspielen.

Die Organisation hat zahllose Programme zur Sensibilisierung der Gemeinde gestartet, um den Menschen zu zeigen, dass es nichts Schlimmes mit der Beschäftigung der Jugendlichen auf sich hat. Trotz vieler positiver Rückmeldungen, erhält Burhan auch immer noch Drohungen mit der Forderung Eastleighwood zu schließen. „Mir wurde sogar Geld angeboten, um etwas anderes zu tun. Ich habe aber abgelehnt. Das hier ist meine Leidenschaft. Danach erhielt ich Morddrohungen." Den Tod fürchte er jedenfalls nicht, da er wisse, dass die Organisation auch ohne ihn weiter bestünde.

Das Filmstudio steht für die Träume und Hoffnungen vieler junger Menschen. Der Dichter Abdi Nour und der Komiker Abdullahi Mohamed wünschen sich ein friedliches Somalia. Sie alle haben ein großes Ziel: sie wollen aus der kleinen Organisationen das ostafrikanische Hollywood machen. „Wir versuchen zu wachsen. Wir wollen nicht, dass nur der Westen weiterhin unsere Geschichten erzählt", erklärt Burhan. Die Organisation möchte ausgegrenzten Menschen das Zuhause geben, welches ihnen von Gesellschaft und Politik nicht zugestanden wird. Eastleighwood ist viel mehr als pures Entertainment.


Text: Lydia Matata
Übersetzung & Redaktion: Andreas Boneberg


Zum Original