Wohnformen in Nairobi: Nairobi, ein Paralleluniversum: Die Mittelschicht lebt in schmucken Wohnanlagen mit Gemüsegärten, viele andere wohnen in den Slums. Die Unterschiede könnten kaum größer sein und doch liegen die Viertel oft direkt nebeneinander. Eine Reise durch die unterschiedlichen Wohnformen in Kenias Hauptstadt.
Ein Auto fährt am Tor des privaten Wohnbezirks Nyayo Estate Embakasi vor. Einer der vier Männer, die den Eingang bewachen, bittet den Fahrer das Fenster herunterzulassen, um einen Blick auf die Insassen im Wageninneren zu werfen. Die Personalien werden aufgenommen und der Unterboden des Fahrzeugs auf Sprengstoff kontrolliert. Der Wohnbezirk gilt trotz seiner hohen Bevölkerungszahl als einer der saubersten und am besten organsiertesten der Stadt. Die Sicherheit der Bewohner steht im Vordergrund.
Auch Tara Wambugu lebt hier zusammen mit ihrem Ehemann und den beiden Kindern. Sie liebt die Gegend, vor allem aufgrund der kurzen Pendlerstrecke für ihren Mann: „Wenn man in Nairobi lebt ist es am besten, in der Nähe der Arbeit und einer Schule zu wohnen. Der Verkehr in dieser Stadt kann nervtötend sein. Man versucht die Wege möglichst kurz zu halten." Und Wohnqualität gibt es für die Familie hier auch. „Wir haben im Hinterhof ein Gemüsebeet angelegt und vorne gibt es richtig viel Platz für unsere Kinder zum Spielen. In der Nachbarschaft leben ohnehin viele Kinder. Es ist wunderbar, dass sich unsere Mädchen draußen mit den anderen austoben können."
Ein Wehrmutstropfen bleibt jedoch: In den Stoßzeiten hängen die Abgase der angrenzenden Hauptverkehrsader über der Wohngegend. Auch in den besten Wohnvierteln ist man dann den Folgen des Verkehrs ausgeliefert. In der Tat verfügt Nairobi lediglich über ein Drittel der Straßenkapazität, die für die eigentliche Bevölkerungsanzahl notwendig wäre. Zudem hat sich die Anzahl der Fahrzeuge seit 2012 verdoppelt. Der Ausbau der Infrastruktur kann bei dieser rasanten Entwicklung nicht mithalten.
Das städtische Strategiekonzept verspricht jedoch, das Verkehrschaos zu lösen, das stetige Wachstum informeller Siedlungen einzudämmen und eine solide Müllentsorgung einzuführen. Gemessen an Nairobis hohen Standards ist die Wohngegend, für die sich Tara und ihre Familie entschieden haben, nicht wirklich wohlhabend. Sieht man aber vom Verkehr einmal ab, läuft das Leben dort in sehr geregelten Bahnen: Gepflegte Gärten, von Bäumen gesäumte und beleuchtete Straßen, eine müllfreie Umgebung, Spielplätze, gut gepflasterte Gehwege und großzügige Abstände zwischen den einzelnen Häusern verleihen der Wohngegend ein klassisches Vorstadt-Flair. Und das inmitten des hektischen und stressigen Treibens einer Metropole wie Nairobi.
Wachstum, Wachstum, WachstumDie kenianische Hauptstadt muss dringend auf das rasante Bevölkerungswachstum reagieren. Offiziellen Datenerhebungen in Kenia zufolge wohnen in Nairobi etwa 3,5 Millionen Einwohner auf 684 Quadratkilometern. Es wird geschätzt, dass die Bevölkerung bis 2020 auf fünf Millionen anwachsen wird. Beim Hausbau wurde es bislang aber versäumt mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Viele der städtischen Arbeiter pendeln von Trabantenstädten in den Bezirken Kiambu, Kajiado und Machakos, die den äußeren Ballungsraum Nairobis ausmachen.
Villa Care, einer der führenden Immobilienmakler der Stadt, schätzt, dass etwa 200.000 Wohneinheiten pro Jahr benötigt werden, um mit der wachsenden Mittelschicht Schritt zu halten. Statistiken der städtischen Regierung zeigen zudem, dass der Wohnplatzmangel der Stadt bei 80.000 Einheiten pro Jahr liegt, während lediglich 20.000 Einheiten pro Jahr für den Markt freigegeben werden. Gründe dafür sind unter anderem hohe Bau- und Landerwerbskosten, Planungsdefizite in der infrastrukturellen Bauförderung sowie ein riesiger informeller Markt, dessen Wohneinheiten in den Slums liegen.
Die Mittelschicht schließt sich einDie wachsende Mittelschicht hat den Bedarf an Familienhäusern enorm gesteigert. Der Immobiliensektor boomt. Durch die zu erwartenden Einnahmen wird vermehrt in umzäunte Wohngebiete (sogenannte „ Gated Communities") investiert. Es entstehen meist riesige Wohnblocks mit Mietwohnungen. Durch die steigenden Grundstückspreise sehen sich viele Bauherren gezwungen, das erworbene Land so effektiv wie möglich zu nutzen. Laut des Immobilienindex, der im Januar veröffentlicht wurde, machen Wohnungen etwa 60 Prozent des gesamten Vermietungsmarktes und sogar 90 Prozent aller entstehenden Bauvorhaben in Nairobi aus. Die durchschnittliche Miete liegt bei 71.000 Schilling (etwa 630 Euro) für 1- bis 3-Zimmer-Appartements.
Mary Mwaura lebt im vorstädtischen Syokimau. Das Schwimmbad um die Ecke, ein Fitness-Studio und die Nähe zu einem der Haupteinkaufszentren der Stadt haben die Gegend so attraktiv für sie gemacht. Außerdem freut sie, dass „die Häuser geräumig und mit großen Fenstern ausgestattet sind. Es gibt eine schnelle Internetverbindung und Satellitenfernsehen."
In Syokimau haben die meisten Hausbesitzer ein Achtel oder ein Viertel Acre (1 Acre = 4047 Quadratmeter) große Parzellen gekauft und im Anschluss zweistöckige Häuser darauf gebaut, die sie an die Bedürfnisse der Familie anpassen können. Spargenossenschaften und Anlegergruppen, auch „ chamas" genannt, sind der einfachste Weg, um ein Grundstück zu erwerben. Diese Initiativen ermöglichen es mehreren Menschen gleichzeitig, ein größeres Grundstück zu kaufen, das im Anschluss auf die einzelnen Parteien verteilt wird. Für die Mittelschicht ist es relativ üblich eigenes Land in Nairobi zu besitzen─ nahezu jeder besitzt ein oder mehrere Grundstücke.
So auch Ciku Muthui und ihr Ehemann. Sie haben sich einen halben Acre Land für ihr Familiendomizil in Syokimau geleistet. Es gibt genug Platz für einen Hinterhof, ein Ziegengehege und einen Gemüsegarten. Der Traum vom eigenen Haus hat sie etwa 80.000 US-Dollar gekostet, finanziert haben sie ihn durch Ersparnisse und eine Hypothek. „Zu bauen war der günstigste Weg. Zudem konnten wir unseren eigenen Stil mitgestalten. Letztlich haben wir ausgerechnet, dass wir das Geld für eine Miete genauso gut in die Hypothek stecken können", sagt sie. In einer neu entstehenden Vorstadt zu leben bedeutet aber auch, dass es an den Bewohnern selbst liegt, gemeinsam Geld in das Abwassersystem, den Zustand der Straßen und die Sicherheit des Viertels zu stecken. „Die untereinander entstandenen Vereinigungen der Bewohner sind sehr hilfreich. Wir treffen uns regelmäßig und versuchen herauszufinden, um welche Angelegenheiten wir uns als Nächstes kümmern müssen", führt Ciku aus.
Und wie wohnt der Rest der Bevölkerung?Der 2014 erschienene Cities Alliance Report hat herausgefunden, dass der durchschnittliche Monatsverdienst der ärmeren Bevölkerungsschicht zwischen 65 bis 90 US-Dollar beträgt. Darüber hinaus leben rund 60 Prozent der Stadtbewohner in unkontrollierten Siedlungen, denen es an einer Grundversorgung wie Kanalisation, Wasser und Elektrizität entweder mangelt oder diese erst gar nicht vorhanden ist. In Nairobi leben etwa 2,5 Millionen Menschen in den 200 verschiedenen Siedlungen der Slums. Das Areal macht jedoch nur sechs Prozent der städtischen Gesamtfläche aus. Kibera, das als eines der größten Slums in Afrika gilt, wird nach UN-Schätzung von circa 700.000 Menschen bewohnt.
Violet Mung'anyi lebt seit sieben Jahren im Mukuru Fuata Nyayo Slum. Sie wohnt in einem einzigen Zimmer, das gänzlich aus gewellten Blechplatten und Holz zusammengebaut wurde. Der Raum, der kaum zwölf Quadratmeter groß ist, kostet sie 20 US-Dollar im Monat. Zudem werden Badezimmer und Toilette gemeinschaftlich genutzt, Wasser muss bei einem Kiosk für fünf Schilling (etwa fünf Cent) gekauft werden. Fast niemand im Slum kann oder will sich einen direkten Wasseranschluss leisten. Viele Mieter in diesem Viertel teilen sich die Einzelzimmer mit ihren Kindern und Verwandten. Einige von ihnen schlafen auf der Couch, manche sogar auf dem Fußboden. In manchen Behausungen wohnen bis zu acht Menschen. Vor Violets Haus befindet sich ein Wassergraben; gerade einmal zweijährige Kinder springen geschickt durch die schmutzige Lache ─ scheinbar ohne sich der Gefahr ansteckender Krankheiten bewusst zu sein. „Wir werfen unseren Müll einfach in den Kanaro Fluss (Nairobi River)", sagt Violet dazu kichernd.
Die Slums grenzen in Nairobi oft direkt an wohlhabendere Bezirke oder Industriegebiete. Sie entstehen meistens illegal─ ohne Planung und Regeln. Die städtische Regierung unternimmt nur selten Versuche, um kommunale Leistungen anzubieten. Violet meint: „Wenn irgendwo Feuer ausbricht, dann löschen wir es selbst. Der Stadtrat kommt nicht hier her." Aufgrund der extremen Verdichtung können viele Brandherde mit dem Löschwagen überhaupt nicht erreicht werden. Die Feuerwehrleute können in solchen Fällen nur hilflos zusehen, wie ganze Wohnblocks abbrennen.
Auch die Vermieter kümmern sich selten um ihre Immobilien. „Sie legen nur auf eine Sache wert: Nämlich, dass das Geld am Monatsende auf ihrem Tisch liegt. Es ist ihnen egal, ob die Häuser bei andauerndem Starkregen unter Wasser stehen oder die Kanalisation verstopft ist", sagt die zweifache Mutter. Trotzdem gefällt es Violet in Fuata Nyayo. Durch die unmittelbare Nähe zum Stadtzentrum könne man hier den Herzschlag der Stadt förmlich spüren ─ tags und nachts. Im Erdgeschoß der Behausungen befinden sich meist kleinere belebte Geschäfte. Von der Fleischerei bis hin zu Frisören, Eisenwarenhändlern, Schreinern und Bekleidungsgeschäften ist hier alles vertreten.
Abgesehen von dem vielen Matsch nach dem Regen ist auch Maryanne Kinyanjui mit ihrem Wohnort zufrieden. Sie wohnt im sogenannten „Pipeline-Gebiet". „Die Sicherheit ist gut. Du wirst hier nichts von Überfällen oder Diebställen hören", versichert sie, während sie die Waren ihres kleinen Kiosks zum Verkauf herrichtet. Sie lebt hier nun seit zwei Jahren.
Je nach Größe variieren die Preise für ein Zimmer zwischen 80 und 120 US-Dollar. Die Straßen zwischen den Häuserblocks sind voller Autos: TukTuks, Boda-Boda-Motorräder und Fußgänger kämpfen um jeden Zentimeter. Große Müllhaufen und aufgerissene Abwasserrohre finden sich entlang der maroden Infrastruktur, die durch die steigende Nachfrage immer stärker beansprucht wird. Obwohl das Wasser- und Abwasserwerk Nairobis (im Gegensatz zu den Slums) seine Arbeit verrichtet, kann die angebotene Versorgung nicht mit der großen Nachfrage Schritt halten. Auch hier sind die Bewohner auf private Verkäufer angewiesen, die das wertvolle Gut auf Eselskarren oder in Lastwägen mit großen Wassertanks transportieren.
Obwohl in solchen Gegenden nur sehr wenig Wert auf architektonische Schönheit oder Lebensqualität gelegt wird, so bietet sie doch Millionen von Menschen bezahlbaren Wohnraum in ausreichender Menge. Darüber hinaus entstehen an Orten wie diesem viele kleine Unternehmen, die durchaus eine Familie ernähren können. Gleichzeitig, fast wie in einem Paralleluniversum, konkurrieren Nairobis wohlhabendere Gegenden mit den besten der Welt.
Text: Kageni Muse
Übersetzung & Redaktion: Andreas Boneberg
Erstveröffentlichung: Digital Development Debates: How Nairobi Lives
Zum Original