Andrea Corinna Schöne

freie Journalistin, Speakerin, Moderatorin, Autorin, Ingolstadt

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Wie es ist, als kleinwüchsige Frau zu reisen

Trip Wie es ist, als kleinwüchsige Frau zu reisen

Ganz egal ob nach Rom, York oder in die jordanische Wüste - Reisen ist meine Leidenschaft. Ich liebe es, von meiner Heimatstadt Ingolstadt aus fremde Kulturen kennenzulernen. Und nichts hält mich davon ab, mit meinem Kleinwuchs die Welt zu entdecken.


Ich bin 23 Jahre alt, 1,10 Meter groß und nutze ein Dreirad, um mich auf längeren Strecken fortzubewegen. Ohne Hilfe kann ich ungefähr 20 Meter gehen. Ich soll keine Treppen steigen, weil es meiner Gesundheit schadet, aber bin immer wieder gezwungen dazu.

Hier erzähle ich, wie sich Reisen für mich anfühlt. Worauf ich mich einstellen muss, was mich frustriert - und was mich richtig glücklich macht.


1. So komme ich hin

Bahnfahren ist für mich sehr schwer - und ohne Hilfe gar nicht möglich. Bisher habe ich noch kein Land bereist, in dem die Bahn barrierefrei ist. In Deutschland und Italien gibt es einen Mobilitätsservice, der Gehbehinderten den Einstieg erleichtern soll. Doch dafür muss ich mindestens 24 Stunden vorher Bescheid geben, wann ich komme. In Italien reicht es immerhin eine Stunde vor der gewünschten Fahrt, die Hilfen anzumelden. In Großbritannien habe ich an Bahnhöfen besonders gute Erfahrungen gemacht. Dort sind die Aufzüge so groß, dass ein Kleinwagen reinpasst.


In Zügen selbst komme ich wiederum nicht alleine klar, weil man in fast allen Züge über Treppen einsteigt. Fliegen ist für mich kein Problem. Da ich ein paar Schritte selbst laufen kann, kann ich auch mal aufstehen, um die Toilette zu benutzen. Die Flugbegleiter fragen immer, ob sie mir helfen können.

Fluglinien sind gesetzlich verpflichtet, Assistenz und einen kostenfreien Transport meines Dreirads zu ermöglichen. Ich hingegen muss mich 48 Stunden vorher bei der Fluggesellschaft melden. Weil es bei all den überfüllten Hotlines oft schwierig ist, jemanden zu erreichen, kümmere ich mich meist schon eine Woche vor Abflug um die Formalitäten. Busfahren klappt gut, weil mir fast alle Fahrer oder Passagiere helfen, die Rampe im Bus auszuklappen. Aber es gab auch schon einen Busfahrer, der meinte, dass er mich mit meinem Dreirad nicht mitnehmen könne. Seine Begründung: Es sei zu groß.


2. So ist es vor Ort

Fast überall sind zu hohe Bürgersteige und Treppen. Nur in Großbritannien und auch Italien sind statt Treppen meist Rampen in Museen angebracht. Jedes noch so kleine Lokal hat eine Behindertentoilette und zu meiner Überraschung Sitzplätze, die für Behinderte besonders gut zugänglich sind und von Nichtbehinderten sofort geräumt werden müssen, wenn sie benötigt werden.


In Deutschland kann die Suche nach einem Lokal mit einer Behindertentoilette sehr lange dauern, oft gibt es vor dem Eingang Treppenstufen.


In Jordanien dagegen finden sich Menschen mit Behinderung noch schlechter zurecht: kein einziger Bürgersteig ist abgesenkt, Aufzüge gibt es sehr selten, Rampen nie.


Generell ist es so: Viele Hotels und Hostels sind nicht auf Gäste mit Behinderung eingestellt. Hotelketten bieten in einigen Fällen barrierefreie Zimmer an - aber die sind dann richtig teuer. Daher dauert die Suche nach einer passenden Unterkunft bei mir oft mehrere Monate.

Leider kann ich mich nicht auf die Filter von Suchmaschinen für Hotels verlassen - die spucken, was die Barrierefreiheit angeht, oft falsche Infos aus. Bei einem Hotel in Mailand war zum Beispiel angegeben, es sei barrierefrei und behindertenfreundlich. Auf die Beschreibung meiner Behinderung hin habe ich dann als Antwort erhalten, dass der Aufzug nur über eine Treppe erreichbar sei und das Personal mir beim Erreichen meines Zimmers leider nicht helfen könnte.


3. Sehenswürdigkeiten gucken = körperliche Grenzen testen

Egal, ob Kolosseum in Italien oder Salzbergwerk in Polen: Wenn man will, ist alles möglich. Und ich möchte alles sehen. Dafür muss ich allerdings manchmal an körperliche Grenzen gehen: Viel Durchhaltevermögen brauchte ich, um mir die Felsenstadt Petra in der jordanischen Wüste anzuschauen. Zunächst führte ein geteerter Weg durch die Schlucht, der im Wüstensand mündet. Da kam ich noch ganz gut klar. Anschließend musste mir aber ein Beduine helfen, er führte mich auf seinem Esel durch die Ruinen. Ohne ihn hätte ich es nicht geschafft. Und du? Wie sozial schätzt du dich ein? Das Kolosseum und das Forum Romanum in Rom habe ich ohne Hilfe besichtigen können. Im Kolosseum gibt es ausgeschilderte Wege für Rollstuhlfahrer und das Personal ist sehr hilfsbereit. In die Anfänge des alten Roms bin ich im Forum Romanum durch einen Aufzug eingetaucht. In Polen war die Standradfahrt, das ist eine Art Bahn auf den Berg Gubałówka im Touristenort Zakopane, auch kein Problem. Es gibt eine Rampe beim Eingang der Standradbahn, die sich automatisch ausfährt - und einen eigenen Eingang für Rollstuhlfahrer.


4. Wie die Menschen mich wahrnehmen

Nicht in jedem Land sind Menschen mit Behinderung ein Teil der Gesellschaft. In manchen Ländern werden Behinderte versteckt, ausgegrenzt und benachteiligt. Neben vielen guten Momenten habe ich auch diese Erfahrung auf meinen Reisen machen müssen.

In Jordanien zum Beispiel: Dort sind Menschen mit Behinderung überhaupt nicht angesehen. Mitreisende, die Arabisch sprechen, erzählten mir, dass manche - nachdem sie mich gesehen hatten - anfingen zu beten, dass in ihre Familie hoffentlich niemals jemand mit einer Behinderung geboren wird, weil ich eine Schande Gottes sei. Mich hat das schockiert, ich fühlte mich nicht wohl.


Bei einer Party im Hotel wollten mich die Betreiber dann nicht reinlassen. Sie dachten, ich würde auf der Tanzfläche erdrückt werden. Nach einigen Diskussionen durfte ich über einen Hintereingang rein. Noch lange Zeit nach der Reise haben mich diese Erfahrungen sehr beschäftigt. In Großbritannien und Italien hingegen reagierten die Menschen auf meine Behinderung viel offener als beispielsweise in Deutschland. Dort wurde ich nicht angestarrt. Auch Menschen mit geistiger Behinderung sind in Großbritannien und Italien viel unabhängiger und ohne Begleitpersonen auf der Straße anzutreffen. Das war für mich ein ganz neues Lebensgefühl. So frei und unbeobachtet habe ich mich noch nie zuvor gefühlt.

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