Das Leben eines Erasmusstudenten wird oft für sehr stereotyp gehalten und am Ende meiner Erasmuszeit muss ich auch zugeben, dass durchaus einige ein sehr eintöniges Leben hier geführt haben. Einen großen Stellenwert bei einigen Erasmusstudenten haben Partys.
Um alle Austauschstudenten ein bisschen in Schutz zu nehmen: Partys waren für mich neben den Vorlesungen eine der besten Möglichkeiten, neue Leute kennenzulernen und Freundschaften zu knüpfen. Daher war es fast schon eine Pflicht, zu erscheinen, bevor sich die Cliquen ohne mich bilden.
Die Auswahl an Partymöglichkeiten ist zur Enttäuschung einiger Studenten in Forlì jedoch sehr klein. Ein- bis zweimal im Monat findet im Club Controsenso eine Party statt. Diese hatten es aber immer in sich. Die ganze Jugend der Stadt feierte bis zum Morgengrauen in insgesamt vier Räumen zu verschiedenen Musikstilen. Da nur ein Raum für mich erreichbar ist, kann ich nicht alle Musikstile beurteilen.
Zusammen mit einigen anderen Austauschstudenten und Freunden verbrachte ich dort schöne Partynächte und lernte die italienische Popmusik kennen und schätzen. Und ich erkannte, dass italienische Longdrinks deutlich mehr Alkohol enthalten als in Deutschland. Um die Zeit ohne öffentliche Partys zu überbrücken, gab es auch immer wieder Hauspartys, wobei sich alle bei Musik unterhalten und etwas getrunken haben.
Der Höhepunkt aller öffentlichen Partys war Halloween. Zusammen mit Freunden ging ich auf das „Halloween Horror Festival", eine große Indoor-Party mit Außenbereich inklusive Imbissstände. Zu dieser Party reisten sogar Gäste aus Rimini, Cesena und Ravenna an. Nicht wie in meiner bayrischen Heimat tanzte ich in Italien sperrstundenfrei. Ansonsten erinnerte mich Halloween mit all den Böllergeräuschen abends in der Stadt eher an Silvester in Deutschland.
In Forlì kommt im wahrsten Sinne des Wortes die ganze Welt zusammen. Um die Kultur des jeweils anderen besser kennenlernen zu können, veranstaltet die Studentenorganisation Koine in einer Bar jeden Donnerstag einen internationalen Aperitiv. Dazu kochen Austauschstudenten aus den jeweiligen Ländern Speisen und bringen diese zum Verzehr mit. Dadurch konnte ich schon Speisen beispielsweise aus der Türkei oder der Slowakei probieren und lernte viele verschiedene Leute kennen.
Ich nahm auch einmal an dem sogenannten Flying Dinner teil. Dabei füllt jeder, der mitmachen will, ein Internetformular aus und wartet, welche Vorspeise, welchen Hauptgang und welche Nachspeise er zusammen mit einem ihm vorher vielleicht nicht bekannten Kochpartner zubereiten soll. Was gekocht wird, entscheiden alle Teilnehmer dabei in ihrer Gruppe zusammen.
Meine Kochpartnerin war am Tag der Veranstaltung leider ganz plötzlich krank, daher musste ich die Käsespätzle dann zusammen mit dem Gastgeber zubereiten. Trotzdem war der Abend sehr schön und ich lernte wieder nette Leute kennen. Gleichzeitig habe ich erfahren, dass Spätzle den Italienern auch nicht unbekannt sind.
Es fanden einige interessante Vorträge und andere Veranstaltungen in Forlì statt. Beispielsweise hörte ich direkt nach den Anschlägen in Paris im November eine Rede des ehemaligen italienischen Außenministers. Da der Vortrag auf Italienisch war, verstand ich nicht alles. Aber auch hier waren die Pariser Anschläge ein diskutiertes Thema und alle klatschten erleichtert, als der Außenminister meinte, dass Forlì sicher kein Ziel für Terroristen ist.
Da ich mich für Menschenrechte interessiere, besuchte ich eine mehrtägige Veranstaltung namens „Human Rights Nights". Am ersten Tag gab es eine Lesung mit ehemaligen Flüchtlingen, die auf Italienisch etwas über Essgewohnheiten ihres Herkunftslandes erzählten. An den anderen Tagen fanden einige Filmvorführungen statt. Zum Abschluss gab es noch ein kleines Konzert von einer arabischsprachigen Band mit einem Aperitiv.
Sexuelle Belästigung geschieht leider häufig und ich hörte immer mehr von anderen Studentinnen mit ähnlichen Erfahrungen. Am „Tag gegen die Gewalt an Frauen" fand in Forlì eine große Univeranstaltung statt. Ich war dort die einzige Austauschstudentin, aber der Saal war komplett voll mit italienischen Studentinnen, die sehr ernst und gebannt auf die Vorträge warteten.
In einem Vortrag ging es um eine Studie darüber, in welcher Weise Italienerinnen belästigt wurden und ob sie diese Erfahrungen gemeldet hatten. Die Ergebnisse waren erschreckend. Danach stellte eine Frau ein Projekt vor, dass jungen Mädchen einen selbstbewussteren Umgang vermitteln sollte, indem sie zu ihrem Recht stehen, ihre Haare so lange wachsen zu lassen wie sie wollen und sich von niemandem Vorschriften zu einem „damenhaften" Benehmen machen lassen sollen.
Am Ende beschwerte sich ein Professor, als ein paar männliche Studenten den Raum betraten, dass sich die Männer viel zu wenig mit dem Thema Gewalt an Frauen auseinandersetzen und diese ruhig zuhören sollen, da es sie betrifft. Da ich aus eigener Erfahrung weiß, wie sich Gewalt anfühlt, die mir nur wegen meinem Geschlecht angetan wird, gebe ich dem Professor umso mehr Recht. Die Herren sollten es als selbstverständlich sehen, für die Rechte der Frauen einzutreten und notfalls ihre Geschlechtsgenossen auch zurechtzuweisen.
Der Film war eine Reportage über den Balkan und wie die Menschen dort dem angestrebten EU-Beitritt ihrer Länder im Balkan gegenüberstehen. Ich wusste vorher nicht viel über den Balkan, aber die Herzlichkeit und der Wortwitz der Menschen haben mich sofort in ihren Bann gezogen.
Bei der Veranstaltung waren ausschließlich Italiener und Austauschstudenten aus dem Balkan. Das finde ich wirklich schade, da dieses Thema alle in Europa angeht und sich gerade auch Studenten wie ich aus anderen Bereichen Europas damit beschäftigen sollten.
In einem Gespräch mit einem der Kameramänner, der extra gekommen ist, habe ich noch weitere interessante Details erfahren und mich langsam auch besser in diesen Kulturkreis hineinversetzen können.