Maria Kempken spielt auf der Luisenburg die Titelrolle im Familien- Musical "Heidi". Sie ist keine zarte Heldin, sondern eine starke Persönlichkeit.
von Andrea Herdegen
Wunsiedel - Als Maria Kempken das Theater nach den Proben verlässt, wartet ein Verehrer auf sie. Er hat schwarze Haare, dunkle Augen und trägt eine Maske. Ungestüm küsst er die Schauspielerin auf den Mund. Über dieses Verhalten ist sie noch nicht mal empört. Sie mag die stürmische Begrüßung. Obwohl die Hundepfoten schmutzige Abdrücke auf ihrer grauen Jacke hinterlassen.
Merlin heißt der Fan, ein fünf Monate alter Husky-Welpe, der mit der Frankenpost-Autorin in den Wald an der Luisenburg mitgekommen ist. Die Heidi-Darstellerin wollte in die Natur, wollte nach den anstrengenden Proben ein wenig laufen. Gerne mit Hund. Sie und Merlin verstehen sich auf Anhieb, albern miteinander herum. "Huskys sind wunderschön. Eine Herausforderung", sagt Kempken. Und meint die Freiheitsliebe, den Eigensinn, den Bewegungsdrang dieser Rasse. Eigentlich hätte sie gerne selbst einen Hund, doch sie weiß, dass das nicht möglich ist: Zu unstet ist ihr Leben.
Diesen Sommer verbringt sie in Wunsiedel, hat erneut bei den Luisenburg-Festspielen ein Engagement: die Titelrolle im Familien-Musical "Heidi". Sie spielt das Mädchen, das mit seiner Natürlichkeit die Herzen der Menschen berührt. Als Eva-Maria Lerchenberg-Thöny ihr die Rolle anbietet, ist ihr erster Gedanke: Bin ich dafür nicht zu alt? Doch die Regisseurin überzeugt sie: "Es geht ja um den Charakter." Keine zarte Heidi, sondern "einen Wildfang", wollte Lerchenberg-Thöny. Nun spielt Kempken, die im Sommer 34 wird, das sechsjährige Mädchen. Und stellt tatsächlich Parallelen fest.
Das Schild "Serviceannahme" stammt aus der Zeit, als hier noch Autos repariert wurden. Das ist Jahre her. Seit dieser Saison haben die Festspiele in dem ehemaligen Wunsiedler Autohaus, einem modernen Gebäude aus Glas und Stahl, ihre Probenbühne untergebracht. Maria Kempken, zierlich, hellhäutig, mit blond wippendem Pferdeschwanz, springt um einen rothaarigen Mann mit weichen Gesichtszügen. Ein verspielter Tanz zur Musik der niederbayerischen Gruppe Haindling. "Wir müssen tanzen wie die Ziegen, die über eine Wiese hüpfen", sagt sie zu ihrem Partner. Thomas Zigon musste sich für seine Rolle als Geißenpeter den Bart abrasieren. Nun wirkt der Dreißigjährige wie ein Bub.
Das Reisen gehört bei Maria Kempken zum Beruf. Ihr ist es aber wichtig, einen Ort zu haben, der sich wie ein Zuhause anfühlt: "Meine Base." Die hat sie in Berlin. "Dort lebt meine Wohnung", sagt sie lachend. Seit sie 2002 ihr Schauspiel- und Gesangsstudium begann, fühlt sie sich in Berlin heimisch. Auch wenn sie im Moment bei ihrem Freund, einem Schauspielerkollegen, in Hamburg wohnt.
Sie ist in einer Künstlerfamilie großgeworden. Ihr Opa Helmut Kempken war Schauspieler am Staatstheater Nürnberg. Als Kind trat sie zusammen mit ihrer Mutter als Straßenkünstlerin auf. Julia Kempken, Schauspielerin, Entertainerin und Betreiberin einer Nürnberger Tanzschule, brachte der Tochter Stepptanz bei. "Ein richtiges Galaprogramm für Geburtstage und Firmenfeiern. Damit verdiente ich schon als Zehnjährige jeden Monat extra Taschengeld." Die Mutter unterstützt sie noch heute, ist Ratgeberin bei beruflichen Entscheidungen. "Mir wurde schon als Kind vorgelebt, dass man als freiberuflicher Künstler überleben, manchmal sogar gut leben kann." Angst davor, dass die Rollen ausbleiben könnten, hat Kempken nicht: "Es kommt immer irgendetwas." Sie hat gelernt, dass sie in den Pausen dranbleiben muss.
"Mir wurde mitgegeben: Schauspiel ist brotlose Kunst, aber es macht sehr glücklich", sagt sie. Nicht Sorge, sondern Entschlossenheit hat dieser Satz bei ihr ausgelöst. Schon in der Theatergruppe am Gymnasium verspürt sie auf der Bühne ein Glücksgefühl. Zwei Jahre lang überlegt sie, ob die Schauspielerei nur ein Hobby bleiben soll. "Ich bin dann zu dem Schluss gekommen, dass ich mir keinen Beruf vorstellen kann, der mich glücklicher macht."
Gudrun Schade, im Stück das strenge Fräulein Rottenmeier, übt auf der Probenbühne ihren Tanz: große Schritte, vornehm und stolz. In der Ecke der Arena sitzt Maria Kempken im Spagat. Aufrecht. Mit geschlossenen Augen rezitiert sie leise ihren Text. Schade singt: "Und wenn du sprichst mit einem Diener, immer ..." - "Sie?", antwortet die Heidi-Darstellerin wie von selbst quer durch den Raum. Erst fügt sie vorsichtig und leise ihren Part hinzu, dann beherzt: "Sie! Sie! Sie! Sie!"
Die Schauspielerin liebt es, sich in ihre Figuren hineinzufühlen. Von ihrer letztjährigen Rolle auf der Felsenbühne, der Braut aus dem Schauspiel-Tanztheater "Bluthochzeit", hat sie für sich viel mitgenommen. Lange darüber nachgedacht. Es ging um Liebe, die nicht gelebt werden durfte. Um gesellschaftliche Zwänge. Andere Rollen wird sie leicht wieder los, schließt einfach die Tür hinter sich. Fast drei Jahre lang hat sie bei den Daily-Soaps "Alles was zählt" und "Unter uns" mitgewirkt, wird in jener Zeit oft angesprochen: "Sind Sie nicht die Leonie?" Bei den Seifenopern gibt es wenig Zeit zu proben, und noch weniger, um tiefer zu graben. "Es ist ein schnelles Arbeiten, ein Auf-den-Punkt-da-Sein. Die Geschichten, die erzählt werden, sind nun mal sehr leicht", sagt sie heute.
Beim Spaziergang um die Luisenburg findet Merlin im Graben eine leere Chipstüte. "Sehr gut, gleich hier den Müll mitnehmen. Ein Hund für die Umwelt", sagt Maria Kempken und muss lachen, als der Welpe sie mit dem Plastik im Maul anspringt. Jetzt wirkt sie wieder wie die lebenslustige Heidi im Stück.
"Natürlich, ich bin ein Sonnenschein. Aber mal was Hartes zu spielen, wo es um krasse Themen geht, das wäre spannend", sagt sie. So wie im jüngsten Franken-"Tatort", wo sie in einer Nebenrolle mitwirkte - aber die entscheidende Wende herbeiführte. Maria Kempken fände es toll, wenn sie fest im "Tatort" landen könnte. Eine Polizistin würde sie gerne verkörpern. "Agentin wäre auch extrem cool."
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