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Reportage

Die Essensretter - Unterwegs mit Frankfurter Foodsavern

Die Tür des Verkaufraumes wurde mit einem Besen verkeilt - es ist Feierabend in der Filiale einer großen Bäckereikette in Sachsenhausen. Auf dem Boden vor der Theke stehen kistenweise Brezeln, Brötchen und Brotlaibe. An einem Tisch sitzen die beiden jungen Frauen Sabrina und Anne, die ihre Nachnamen nicht in der Zeitung lesen wollen. Eine Verkäuferin packt Süßgebäck in Tupperdosen.

"Bevor wir die Lebensmittel ins Auto laden, muss ich dich noch über einige Punkte aufklären", eröffnet Anne M. das Gespräch. Sie ist Frankfurt-Botschafterin der deutschlandweiten Foodsharing-Plattform Lebensmittelretten.de. Die Lebensmittelretter wollen einen Beitrag zur Ressourcenschonung leisten: "Das Ziel von Foodsaven ist, dass Lebenmittel nicht im Müll landen", erklärt Anne nüchtern. Rund 400 Foodsaver alleine in Frankfurt besuchen daher allabendlich nach Ladenschluss inhabergeführte Betriebe im Stadtgebiet. Sie sortieren den verdorbenen Teil an Lebensmitteln aus und nehmen mit, was noch essbar ist. Den Rest entsorgen sie. Insgesamt 93 000 Tonnen Nahrungsmittel haben die Foodsaver Stand Oktober 2015 in Frankfurt bereits gerettet. Sie kooperieren mit 25 Betrieben. Darunter sind neben Bäckereien auch Supermarktketten, Obst- und Gemüsehändler, Wochenmärkte, Kantinen, Tagesstätten für Kinder, Cafés und Cateringservices. Saisonweise arbeiten die Lebensmittelretter auch mit Bauernhöfen zusammen.

Märkte sparen Entsorgungskosten

Für Sabrina ist es an diesem Abend die dritte Tour durch die Bäckereien und Supermarktketten der Stadt. Die 27-jährige Studentin möchte auch Foodsaverin werden. "Ein Drittel der weggeworfenen Lebensmittel werden aus ästhetischen Normengründen aussortiert", erklärt Sabrina. Das Gemüse zum Beispiel sei meist noch gut, eigne sich aber nicht mehr als Blickfang auf den grell beleuchteten Gemüsetheken. "Ich möchte damit lieber die hungrigen Mäuler in meiner Siebener-WG stopfen", lacht Sabrina. Bevor es so weit ist, muss sie drei Probeabholungen mit einem Foodsave- Botschafter wie Anne durchstehen.

"Wir arbeiten eigenverantwortlich", sagt die Botschafterin, als die beiden den Kleintransporter mit kistenweise Backwaren beladen. Mit jedem Kooperationspartner unterzeichnen Foodsaver eine Rechtsvereinbarung. Sie verzehren die vom Markt abgeholten Nahrungsmittel auf eigene Gefahr, womit der Betreiber im Falle einer Lebensmittelvergiftung von der Haftung entbunden ist. "90 Prozent unserer Kooperationspartner fahren wir täglich an", erklärt Anne. Das Programm ist straff. Es folgt eine Nachtfahrt zu Sachsenhausener Straßencafés und Supermarktketten. Und der Höhepunkt der heutigen Route ist eine große Biosupermarktkette.

Die Märkte werden in der Regel vertraulich behandelt. So sollen Trittbrettfahrer vermieden werden. "Nicht jeder Supermarkt möchte mit uns kooperieren", sagt Anne. Hat eine Kette einer Zusammenarbeit zugestimmt, ist es Sache des Filialleiters. "Viele Ketten sparen sich dank Foodsaving hohe Entsorgungskosten", erklärt Anne die Motivation der Märkte.

Offen und keine Konkurrenz zur Tafel

Der Kleinwagen wird im Hinterhof des Biosupermarktes geparkt. Als Sabrina und Anne auf die Laderampe treten, schlägt der Bewegungsmelder an, und Anne klopft geduldig an eine silberne Metalltüre. Die beiden werden bereits von einem Mitarbeiter erwartet. In einem Lagerraum stehen Kisten voll Obst, Pilzen, Salat und anderem Gemüse bereit. Mit Gummihandschuhen machen sich die beiden ans Sortieren. Die Ausbeute ist gut - ohne Auto wäre es den beiden nicht möglich, die Lebensmittel zu transportieren. Bei solchen Mengen mache es "als Fußgänger" Sinn, über die Foodsaving-Homepage einen Hilferuf an andere Foodsaver zu starten, um motorisierte Unterstützung anzufordern.

Diese offene Struktur unterscheide Foodsaving von der Tafel. "Wir Foodsaver sind Privatpersonen" erklärt Anne. Bei Tafeln handle es sich hingegen um öffentliche Träger. Die einzelnen Foodsaver entscheiden selbst, was sie mit dem geretteten Essen machen wollen. Sie stammten aus allen Altersklassen und Schichten. Vielen erspart Foodsaving den Gang zur Tafel. Einige lebten in Sozialwohnungen und verteilten die geretteten Lebensmittel dort weiter. Andere, wie Anne, verteilen einen guten Teil der Lebensmittel an Seniorenheime und Schulen.

"Wir stehen allerdings nicht in Konkurrenz zu sozialen Einrichtung", stellt Anne klar. Es gebe auch einen Supermarkt, der an einem Tag in der Woche Lebensmittel an einen sozialen Träger weitergibt. An diesem Tag werde der Betrieb daher auch von den Foodsavern nicht abgeklappert.

Sabrina hat sich derweil entschieden, wie die geretteten Lebensmittel verarbeitet werden sollen: zu einem salzigen Eintopf in ihrer siebenköpfigen Wohngemeinschaft im Gallusviertel.