Amadeus Ulrich

Journalist, Frankfurt am Main

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Artikel

In Gottes Namen

Radikale Christen wie Scott Lively beeinflussen weltweit Parlamente und fordern eine Welt ohne Homosexualität. Lively steht derzeit in Amerika vor Gericht, weil er das homophobe Gesetz in Uganda unterstützt haben soll. Auch in Russland ist sein Einfluss nicht unerheblich. Ein Portrait

16.11. - Der amerikanische Pastor schreitet über eine Bühne in Russland und predigt den Krieg. Der 57-jährige Scott Lively trägt Anzug und Krawatte. Ein Dolmetscher übersetzt seine Rede ins Russische. Gerade spuckt er ins Mikro, dass dieser Krieg die Welt erfasse; dass der Feind jede Nische infiltriere in den USA und in Europa; dass der Feind die Gesellschaft umwälzen werde. „Ihr habt nur ein bisschen davon mitbekommen", sagt Lively, „weil der Kommunismus all das von euch ferngehalten hat."

Sieben Jahre ist diese Rede nun her, Scott Livelys Botschaft aber hat sich nicht verändert. Er konstruiert einen globalen Krieg, in dem klar ist, gegen welchen Feind ein bibeltreuer Christ aktiv vorgehen müsse. Ungläubige? Terroristen? Islamisten? Mitnichten. Er meint Homosexuelle.

Lively gehört zu einer Allianz radikaler Evangelikaler, die weltweit versuchen, Einfluss auf Gesellschaften und deren Parlamente auszuüben. Er hält homophobe Reden überall dort, wo sie gerne gehört werden. Wie in Russland, in das er 2006 gereist ist, um in rund 50 Städten seine Überzeugungen zu proklamieren.

Bis dato war Lively in über 40 Ländern. Dutzende Artikel, Blogbeiträge und fünf Bücher hat er publiziert. In einem davon, „The pink Swastika", veröffentlicht in 1995, heißt es, Homosexuelle seien keine Opfer des Nationalsozialismus in Deutschland - sondern unter den Tätern gewesen.

In Uganda wurde vor nunmehr drei Jahren eines der schärfsten anti-Homosexuellen-Gesetze der Welt ins Parlament eingebracht; noch heute wird darüber debattiert. Homosexuellen droht darin die Todesstrafe. Menschenrechtsaktivisten waren empört - und kritisierten auch Scott Lively. Denn der Pastor soll einer der Architekten dieses Gesetzesvorschlags sein.

Im März 2009, berichtet die New York Times, seien drei amerikanische Evangelikale nach Kampala gekommen, um in einem Seminar über die homosexuelle Bedrohung zu sprechen - und wie die Regierung dagegen vorgehen könne.

Lively streitet heute ab, dieses Gesetz intendiert zu haben. Dem Guardian sagte er, es sei „zu harsch und strafend". Bekannt ist, dass er sich zuvor mit ugandischen Parlamentariern und Anwälten getroffen hat.

Seine Worte verwundern kaum, schließlich steht er inzwischen vor Gericht in seinem Heimatort Springfield, Massachusetts. Vor nunmehr einem Jahr hat die Non-Profit-Organisation Center for Constitutional Rights (CCR) Scott Lively im Namen von Sexual Minorities Uganda verklagt. Das ist eine NGO, die sich für die Rechte von Homosexuellen einsetzt. Sie macht Lively für die massiven Menschenrechtsverletzungen an Schwulen in Uganda verantwortlich. Die Folgen seines Einflusses seien unbestritten.

Worin aber liegt dieser Hass auf Homosexuelle begründet? Scott Lively kommt in Shelburne Falls in Massachusetts zur Welt. Er wächst mit fünf Geschwistern auf. Sein Vater ist psychisch krank, die Beziehung leidet darunter. Mit 12 fängt Lively zu trinken an, um mit der Familiensituation fertig zu werden, wird Alkoholiker. So schildert er es in einer Autobiografie. Sein Vater landet, als Lively 16 Jahre alt ist, in der Psychiatrie, und verlässt sie nie wieder.

In den folgenden Jahren nimmt Lively Drogen, schläft zeitweise unter Brücken. Dann, 1986 während einer Entzugstherapie, entdeckt er das Christentum für sich. Er habe den Heiligen Geist damals in jeder Zelle gespürt, erinnert sich Lively: „Es war ein Wunder." Er geht fortan jeden Sonntag in die Kirche, rührt Alkohol nicht mehr an, gründet eine Familie - und radikalisiert sich, studiert die Bibel, nimmt jedes Wort für bare Münze.

Zunächst ist es das Thema Abtreibung, das ihn empört. Denn er sei, wie er sagt, ein lebensbejahender Christ. 1989 tritt er einer christlichen Interessenvertretung in Oregon bei, avanciert zum Kommunikations-Direktor. 1991 kommt in der Vereinigung unter seiner Leitung zum ersten Mal Homosexualität zur Sprache. Schnell habe er erkannt: „Homosexualität zerstört die Gesellschaft noch viel stärker als Abtreibungen." Sie sei unnatürlich, von Gott ungewollt, ein amoralischer Lebensstil. Das zeige sich bereits in Genesis, dem Beginn der Bibel, der Geschichte von Adam und Eva, der Schaffung von Mann und Frau - die einzig moralische Verbindung.

So beginnt er, gegen Homosexuelle zu agitieren, veröffentlicht Artikel mit Titeln wie „Why and How to Defeat the Gay Movement", in dem er zu einem aktiven Konservatismus ausruft. In wenigen Jahren wird er zu einem der bekanntesten Vertreter der globalen anti-Schwulen-Bewegung, gründet Abiding Truth Ministries und beginnt seine Missionierungs-Reisen in ferne Länder.

War Lively in Russland Architekt des Gesetzes gegen „homosexuelle Propaganda"?

Diese führen ihn vor allem nach Russland, in dem Lively, wie in Uganda, massiv gegen Schwule gehetzt hat. Das Land stand erst jüngst international in der Kritik wegen eines Gesetzes, das positive Äußerungen über Homosexualität verbietet. Hatte Lively auch diesmal seine Finger im Spiel? Pamela Spees, Anwältin des CCR, sagt, sie sei bereits für eine zweite Anklage vorbereitet - denn es gebe Beweise, dass Lively auch in Russland einer der „Architekten des Verfolgungs-Programms" gewesen sei.

In einem Brief von ihm an „das russische Volk" aus dem Jahre 2007, der siegessäule.de vorliegt, bezeichnet er Homosexualität als einen in der Gesellschaft „schnell wachsenden Tumor", warnt die russische Gesellschaft vor dieser „politischen Bewegung" und weist daraufhin, dass er durch das Land reise, um seine „familienfreundlichen Werte" zu verkünden. Das war vor dem Gesetz.

Im September dieses Jahres veröffentlicht Lively einen Blogbeitrag: „Praise For Putin". Lob für Putin. Darin feiert er den Präsidenten als „Helden der Familien-Werte" und „Verteidiger der christlichen Zivilisation". Lively ist so begeistert, dass er Putin einen offenen Brief schreibt. Das Gesetz, das die russische Regierung verabschiedet hat, habe Lively bereits 2006 während seiner 50-Städte-Tour vorgeschwebt, schreibt er. Der Präsident illustriere, was eine moralische Führung ausmache. Doch Lively warnt ihn: „Der Kampf um den Schutz Ihrer Gesellschaft vor Homosexualität hat gerade erst begonnen."

Vor zwei Monaten hat Scott Lively in einer Pressemitteilung verkündet, er wolle Gouverneur von Massachusetts werden. Die Menschen dürste es nach einem Kandidaten, der ohne Angst und ohne Kompromisse die Werte der Bibel hochhalte, einen Kandidaten, der laut Lively jene „simple Wahrheit" überall auf der Welt verkündet: dass Gott Homosexualität verdammt.

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