1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Großbritanniens Liberale


Nach dem für Juli angekündigten Rücktritt von Tim Farron, suchen die britischen Liberalen einen neuen Vorsitzenden. Vom Spitzenpersonal hat keiner so Recht Lust auf den Job, daher scheint alles auf den ehemaligen Minister Vince Cable herauszulaufen. Für die Partei wäre dies ein tragischer Rückschritt.

Bei der Unterhauswahl gab es vermeintlich viele Sieger. Die Liberalen unter Tim Farron gehörten definitiv nicht dazu. Der erhoffte Wiederaufstieg blieb aus, folglich kündigte der Parteivorsitzende Tim Farron an, im Juli seinen Vorsitz aufzugeben.

In seiner Erklärung gab er religiöse Gründe für seinen Abtritt an. Tatsächlich lag der praktizierende evangelikale Christ mit seiner Einstellung zu Abtreibung und Homosexualität oftmals mit der mehrheitlich linksliberalen Basis überquer. Doch es ist nicht zu übersehen, dass er politisch mit seinem Vorhaben gescheitert ist. Er vermochte es nicht, die Partei zu alter Stärke zu führen.

Dabei war die Ausgangssituation denkbar günstig, als er vor zwei Jahren Nick Clegg nach der Schlappe bei den Unterhauswahlen beerbte. Farron kam zu Gute, dass er in der bei Liberalen verhassten Koalitionsregierung kein Regierungsamt innehatte. Ein klarer und glaubhafter Schnitt mit der belastenden, jüngeren Vergangenheit schien möglich.

Liberale verharren in Zwergenrolle

Zudem positionierte er sich deutlicher als jeder andere britische Spitzenpolitiker gegen den Brexit. Bis heute kämpft er vehement und glaubhaft dafür, dass Großbritannien in der EU bleibt. Geholfen hat ihm dies nicht. Die Heerschaare der Brexit-Gegner wählten diesmal nicht die Liberalen. Der Zweikampf zwischen Tories und der Labour Party hat die Liberalen in ihrer Zwergenrolle verharren lassen. Vier Mandate mehr als 2015 ist zu wenig, um glaubhaft im Amt bleiben zu können.

Zudem hat Farron seinen eigenen Wahlkreis mit gerademal 777 Stimmen oder 1,5 Prozentpunkten Vorsprung gehalten. Vor sieben Jahren verfügte er noch über einen komfortablen Vorsprung von 18 Prozentpunkten. Es wird sich gerächt haben, dass er viel Zeit im Land und vergleichsweise wenig im Wahlkreis verbracht hat. Zugute halten kann sich Farron, dass unter ihm die Zahl der Mitglieder von 60.000 auf über 100.000 gestiegen ist. Ein klares Pfund für die Kampagnen-Partei.

Reihenweise verzichten geeignete Kandidaten auf ihre Kandidatur

Im Kampf um seine Nachfolge läuft gerade alles auf Vince Cable heraus. Der Elder Statesman der Liberalen ist der einzige, der bisher seinen Hut in den Ring geworfen hat. Dabei verfügen die Liberalen über eine Reihe von geeigneten Kandidaten, die sich jedoch aus verschiedenen Gründen gegen eine Kandidatur entschieden haben. In der vergangenen Woche hagelte es reihenweise Absagen potentieller Nachfolger von Farron.

Allen voran die 37-jährige Jo Swinson, die bei den britischen Buchmachern auf Platz eins geführt wurde. Die ehemalige Staatssekretärin und größte Hoffnungsträgerin der Parteibasis begnügte sich vorerst mit dem Vizevorsitz, den sie letzte Woche ohne Gegenkandidaten einstimmig erhielt. Alistair Carmichael, der ehemalige Minister für Schottland, begnügte sich wiederum mit dem Posten des Fraktionsgeschäftsführers.

Mit Norman Lamb, dem ehemaligen Gesundheitsminister, der bei der letzten Abstimmung Tim Farron ein hartes Rennen um den Vorsitz geliefert hatte, zog sich ein weiteres Schwergewicht aus dem Rennen.

Ed Davey vergab die letzte Chance, dass es einen spannenden innerparteilichen Wettbewerb und keine Krönungsmesse geben wird. Der ambitionierte ehemalige Energiestaatssekretär verzichtete diese Woche aus Rücksicht auf seine Familie, wie er in den sozialen Medien verkündete. Wie Swinson ließ auch er jedoch eine spätere Kandidatur offen.

Cable hat in der Vergangenheit zwei Mal seine Chance nicht genutzt

So läuft alles auf Vince Cable heraus. Also auf den Mann, der neben dem damaligen Parteivorsitzenden Nick Clegg der Garant dafür war, dass die Koalitionsregierung mit den Konservativen zunächst zustande kam und dann auch über fünf Jahre Bestand hatte. Ein Regierungsintermezzo der Liberalen, das zunächst zwischen 2010 und 2015 durch massenhafte Austritte von Mitgliedern und 2015 an der Urne vom Wähler abgestraft wurde. Die Liberalen verloren damals 49 ihrer 57 Sitze. Insbesondere Cable´s hartes Eintreten für Ausgabenkürzungen in der öffentlichen Hand sind den Wählern in Erinnerung geblieben.

Zwar ist er unbestritten ein Redner, der im Parlament eine gute Performance liefert, ein großer Wahlkämpfer ist er nicht. Zudem haftet ihm das Image eines Zauderers an. Cable hatte bereits zwei Mal die Chance auf den Parteivorsitz. 2006 war er maßgeblich an der Revolte gegen den damaligen Vorsitzenden Charles Kennedy beteiligt gewesen. Nach dessen Abtritt verzichtete er jedoch überraschend auf eine Kandidatur und unterstützte stattdessen den siegreichen Menzies Campbell. Als dieser nur ein Jahr später zurücktrat, war Cable sogar für drei Monate interimistischer Parteivorsitzender. Doch auch damals nutzte er seine Chance nicht, und Nick Clegg übernahm die Führung.

Das wäre so, als würde Herrmann Otto Solms auf Christian Lindner folgen

Sollte es nun im dritten Anlauf klappen, wäre dies allerdings ein Rückschritt für die Liberalen. Mit Cable käme ein erfahrener Parlamentarier an die Parteispitze, bei dem fraglich ist, ob er der Partei seine Kampagnen-und Schlagfertigkeit zurückbringen wird. Mit seinen 74 Jahren ist er zu alt, um seine Partei zu führen, bei der nächsten Parlamentswahl wäre er 79 Jahre alt. Zwar berief er sich in seiner Bewerbung auf den ehemaligen Premierminister William Gladstone, der immerhin 82 Jahre alt war, als er Premierminister wurde. Nur war dies bereits 1892, also im vorletzten Jahrhundert. Zum Vergleich stelle man sich vor, als würde in Deutschland auf Christian Lindner Herrmann Otto Solms an der Spitze der Liberalen folgen.


Zum Original