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Alle hassen mich, weil ich als Veganer bei McDonald's esse

Wieso gönnt mir keiner mein "Big Vegan TS"-Menü?

Mit gesenktem Blick trete ich in den tristen Raum, die viel zu grelle Glühbirne gibt ein monotones Summen von sich, es riecht nach kaltem Zigarettenrauch. Als ich endlich den Kopf anhebe, sehe ich Wände voll billiger Kunst und unbequeme Holzstühle, aufgestellt in einem Kreis. "Setz dich" – ich nicke und nehme auf dem letzten freien Stuhl platz. Die anderen lächeln mir mit verständnisvollem Blick zu, also nehme ich all meinen Mut zusammen, räuspere mich schüchtern und stelle mich vor: "Hallo, mein Name ist Alisha, ich lebe vegan und liebe McDonald's." – "Hallo, Alisha!", schallt es von meinen Mitleidenden zurück. Ich fühle mich sofort willkommen bei den "Anonymen McDonald's-Veganern".

Im echten Leben gibt es ein solches Pendant zu den "Anonymen Alkoholikern" für Veganer, die bei McDonald's essen, nicht. Wenn es aber eines gäbe, stelle ich mir meine erste Sitzung genau so vor. Wir würden viel darüber reden, weshalb McDonald's schlecht ist, weshalb der "Big Vegan TS" nicht mit dem Veganismus vereinbar ist, wie wir mit dem Gang durch die Tür unter dem goldenen "M" eine zerstörerische Industrie unterstützen und damit die Umwelt, die Tiere und schlussendlich uns selbst sowie alle veganen Brüder und Schwestern verraten. Das stelle ich mir vor.

Ich stelle mir außerdem vor, wie ich mir all das anhören, verständnisvoll nicken, am Ende durch die Tür gehen, in die S-Bahn steigen, beim Alexanderplatz raus- und in die McDonald's-Filiale reingehen würde. Da würde ich mir dann das "Big Vegan TS"-Menü kaufen und genießen – komplett ohne schlechtes Gewissen. Denn um ehrlich zu sein: Ich sehe das Problem nicht – und mache mich damit zum Hassobjekt von Veganern und Fleischessern gleichzeitig.

Die veganen Hater werfen mir vor: "Wer bei McDonald's isst, unterstützt Massentierhaltung." Die fleischessenden Hater schimpfen: "Es bleibt alles so wie's ist: Burger ist mit Fleisch. Wieso das Original imitieren, wenn Veganismus doch so toll ist?" Beiden Seiten würde ich eigentlich gerne sagen: Chillt mal. Da das aber niemanden überzeugen wird, folgt meine Meinung jetzt noch einmal ausführlicher.

Von heute auf morgen alle vegan? Utopisch

Es ist komplett utopisch, dass alle Menschen von heute auf morgen vegan werden oder alle Unternehmen über Nacht Umwelt- und Tierschutz auf die oberste Stelle ihrer Agenda schreiben. Deshalb ist jeder Schritt zu begrüßen, der in diese Richtung geht. Wenn Fast-Food-Riesen wie McDonald's und seit neustem auch KFC auf die steigende Nachfrage mit veganen Alternativen reagieren, halte ich das für unterstützenswert.

Dabei ist es erst einmal auch nebensächlich, ob die Entwicklung von Seiten der Konzerne aus ideellen oder ökonomischen Gründen passiert. Denn so oder so – es setzt ein Zeichen und inspiriert so vielleicht den ein oder anderen Veganismus eine Chance zu geben. Die Plattform ist riesig: Die McDonald's Corporation hat weltweit über 37.000 Restaurants – wenn die veganen Produkte in den Länder, wo sie gerade getestet werden, gut ankommen, ist es wahrscheinlich, dass die Produktauswahl wächst und auf weitere Länder ausgebreitet wird.

Blinder Aktionismus hat noch niemandem geholfen

Blinder Aktionismus und das Festhalten an Prinzipien, nur um der Prinzipien willen, hat noch niemandem geholfen. Ich halte es für wichtiger, die größeren Zusammenhänge im Blick zu behalten und realistisch abzuwägen: Ist es wirklich die bessere Entscheidung McDonald's und Co. kategorisch auszuschließen? Sind vegane Alternativen bei "Fleisch-Konzernen" nicht vielmehr ein Etappengewinn? Und andersherum gefragt: Was ist denn die Alternative? Sollen wir darauf warten, dass rein-pflanzliche Konkurrenten es irgendwann mit den bestehenden Riesen-Konzernen aufnehmen? Wie lange würde das dauern – ja, ist das denn überhaupt realistisch? Spätestens seit Greta Thunberg wissen wir: Dazu haben wir keine Zeit.

Es ist vegan und schmeckt gut, goddamnit

Die wenigsten entscheiden sich, vegan zu leben, weil sie den Geschmack von Fleisch nicht mögen. Bevor ich vegan wurde, habe ich fast jeden Tag Fleisch gegessen. Ich liebte Burger, Salami-Pizza, Schnitzel und bayrische Rolladen. Verdammt, ich habe sogar die Blutwurst von meinem Opa gegessen. Nach fast zehn Jahren veganer Ernährung vermisse ich den Fleischgeschmack nicht – wirklich nicht. Trotzdem schmeckt mir ein pflanzlicher Burger ab und an – und macht mir und vielen anderen Veganern das Leben einfacher. Denn in Großstädten wie Berlin ist es zwar längst keine Schwierigkeit mehr leckere, vegane Alternativen zu finden – in dörflichen Gegenden oder alleine schon an Autobahnraststätten wird einem auf Nachfrage im Extremfall aber immer noch ein trockenes Brötchen angeboten.

Außerdem ist es gar nicht möglich immer alles hundert Prozent ethisch richtig zu machen. Hinter vielen Marken stecken Konzerne, die auf irgendeine Art und Weise nicht gerade "vegan" auf ihrem Aushängeschild stehen haben. Für mich geht es beim Veganismus, um den Versuch so gut wie möglich Leid zu vermeiden, auf die Umwelt und meine eigene Gesundheit zu achten – nicht darum mich selbst zu kasteien und einzuschränken, um eines Prinzips willen. Was wäre das auch für ein Zeichen an alle anderen, die so den Eindruck bekommen, vegane Ernährung sei kompliziert, restriktiv und spaßbefreit?

Also: Ich ernähre mich überwiegend gesund mit nur wenig "Ersatzprodukten". Zu McDonald's gehe ich maximal ein-, vielleicht zweimal im Monat – und das werde ich auch beibehalten. Wenn ich Lust habe, gehe ich öfter. Wenn ich Lust habe, werde ich auch regelmäßig den neuen veganen Chickenburger von KFC essen. Und wenn ich Lust habe, werde ich es für alle anderen Fast-Food-Riesen, die vegane Produkte herausbringen, genauso halten. Wie bitte, wie war das? Sorry, kann nicht diskutieren, ich hab' "Big Vegan TS" im Mund.