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Interview

Col3trane: Ein Multitalent mit futuristischem R'n'B-Sound und großer Zukunft

Im NOIZZ-Interview spricht er über seine Familie, interkulturelle Identität und Tour-Life.

Als ich im Berliner Club "Burg Schnabel" ankomme, wo ich mit dem britischen Soul- und R'n'B-Künstler Col3trane zum Interview verabredet bin, ist der 20-Jährige noch beim Soundcheck. Bis zur ausverkauften Show sind es nur noch wenige Stunden, aufgeregt wirkt Cole Basta, wie der Nordlondoner mit bürgerlichem Namen heißt, aber nicht. Er trägt Camouflage-Hose, einen grauen Balenciaga-Hoodie und eine schwarze Sonnenbrille, die er die gesamte Zeit über aufbehält. Vielleicht ist es am Abend zuvor doch etwas länger geworden. "Wir waren gestern unterwegs. Keine Ahnung, wie der Club hieß, aber es war cool. Komische Musik, aber cool", erzählt er mir in breitem Londoner Slang, der hier und da ins Amerikanische schwenkt.

Trotz der Sonnenbrille wirkt Col3trane ungebrochen zugänglich und herzlich. Vielleicht sogar etwas schüchtern. Ohne ihn vorher schon einmal live gesehen zu haben, kann ich mir sofort gut vorstellen, wie Cole, der wahlweise als der nächste Drake oder Frank Ocean gehandelt wird, mit seiner soften Stimme und den vielschichtigen Songs der neuen "Heroine"-EP sein Publikum um den Finger wickelt. Meine Vermutung bestätigt sich später: Die Stimmung beim Konzert ist so positiv geladen, dass sie nahezu greifbar ist. Viele Fans singen Wort für Wort seiner Texte mit. Es ist eine Party und Col3trane ist der perfekte Gastgeber: Singend, rappend, mit Gitarre und am Piano trägt er sein Publikum durch die Show.

Im NOIZZ-Interview erzählt uns Col3trane, der beim gleichen Label wie auch Ellie Goulding, Dua Lipa und Lana del Rey gesignt ist, was sich im letzten Jahr so bei ihm getan hat, wie sein Leben auf Tour aussieht und welche Rolle London und seine interkulturelle Herkunft für seine Musik und Identität spielen.

NOIZZ: Dein letztes Konzert in Berlin ist fast genau ein Jahr her. 

Col3trane: Shit, stimmt. 

Hast du das Gefühl, dass du dich seit dem letzten Mal stark verändert hast? Bist du heute weniger nervös? 

Col3trane: Es ist verrückt. Ich bin viel älter geworden in dem Jahr. Also, nicht wirklich viel älter, aber irgendwie reifer. Du weißt schon. Man könnte sagen, ich kenne mich selbst mittlerweile besser. Letztes Mal, als ich hier war, hat so viel Spaß gemacht. Dieses Mal und eigentlich schon die ganze Tour lang, fühle ich mich aber einfach viel selbstbewusster.

Gab es ein bestimmtes Erlebnis, das dir geholfen hat, gelassener zu werden?

Col3trane: (überlegt) Ich denke, es waren die Gespräche, die ich geführt habe. Ich habe so ein Glück, dass einige meiner Idole meine Freunde sind. Ich bekomme Ratschläge von Menschen, zu denen ich lange Zeit aufgeschaut habe. Es ist total verrückt. Aber auch extrem cool. Die Gespräche haben mir sehr dabei geholfen, zu der Person zu wachsen, die ich sein will.

Du hast US-amerikanische und ägyptische Wurzeln, bist aber in London aufgewachsen. Wie hat dieser interkulturelle Aspekt deine Identität geprägt? 

Col3trane: Jeder in London ist ein verrückter Mix. Hier [in Berlin] ist es ja ähnlich. Ich sage immer, ich bin in einem amerikanischen Haushalt aufgewachsen. Meine Mutter ist sehr amerikanisch. Also nicht auf die Flagge schwingende Art oder so, aber sie hat das, was ich als amerikanische Familienwerte bezeichnen würde. Das hat natürlich auch die Musik beeinflusst, die ich gehört habe. Ich habe amerikanische Musik gehört. Die Musik, die meine Mutter hörte.

Mein Vater ist zwar Ägypter, aber in die USA gezogen, als er noch ein junger Teenager war. Also eigentlich ist er auch Amerikaner. Ich wurde also weniger von meiner ägyptischen Seite als von meiner amerikanischen Seite beeinflusst. Ich war auch noch nie in Ägypten.

Wo wir aber gerade beim Thema sind: In drei Monaten fliege ich nach Ägypten. Ich bin so aufgeregt.

Das erste Mal überhaupt Ägypten also? Hast du da noch Verwandtschaft?

Col3trane: Ich werde meine gesamte Familie dort kennenlernen. Meine Großeltern, all meine Aunties und Cousinen und Onkels, die ich noch nie getroffen habe.

Wünschst du dir manchmal, du hättest mehr von deiner ägyptischen Seite mitbekommen?

Col3trane: (überlegt kurz) Ich weiß nicht, wieso ich das überhaupt erzähle, aber mein Vater wollte nie wirklich zurückgehen, weil es ziemlich gefährlich ist. Ich wollte schon immer hingehen. Ich habe früher nie verstanden, wieso er es nicht wollte. Jetzt wo ich älter bin, verstehe ich natürlich: Es ist nicht der sicherste Platz auf dieser Welt. Nicht gerade der Ort, wo man unbedingt seine Kinder hinbringen will. Ich will aber immer noch unbedingt hin, also mache ich es jetzt einfach.

Gab es Momente während des Aufwachsens, wo du das Gefühl hattest, dass du nicht richtig hineinpasst oder dazugehörst?

Col3trane: (überlegt) Natürlich ein kleines bisschen hier und da. Menschen sind einfach ignorant und dumm. Größtenteils habe ich aber nie irgendetwas in der Art erfahren. Ich habe das Gefühl, dass es in London – auch wenn die Stadt natürlich ihre Probleme hat – nichts von all dem gibt. Zumindest in den Gegenden, in denen ich mich aufhalte und mit den Leuten, mit denen ich abhänge. 

Wirklich? Auch in deinem Freundeskreis gab es gar keine Diskriminierungserfahrungen?

Col3trane: Nein, gar nichts. Und ich habe Freunde, die sind thai, jamaikanisch, israelisch, taiwanesisch ... In London gibt es einfach einen verrückten Mix an Kulturen.

Hast du das Gefühl, dass sich das seit dem Brexit und auch mit Boris Johnson geändert hat? Ich meine, das ist ein Trend, der sich überall in Europa, auch in Deutschland, abzeichnet. Hast du da eine Veränderung mitbekommen?

Col3trane: Dieses ganze Brexit-Zeug ist so verdammt komisch. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen in London das alles nicht verstehen. Ich komme aus London, lebe in London, verbringe viel Zeit in London. Ich halte mich kaum außerhalb auf. Ich brauche das nicht. Wenn ich mit meinen Freunden über den Brexit rede, sagen alle: "Das ist so verrückt. Wie können Menschen nur so denken." Wenn man aber dann mal aus London raus geht und sich umhört, sind auf einmal alle pro Brexit. In London lebt man wirklich in einer Bubble.

Nach dem Brexit habe ich viel Diskriminierung mitbekommen. Nicht hautnah, aber ich habe viel davon in den Nachrichten gesehen. Es ist so traurig. Wieso können wir uns nicht einfach alle lieben, man.

Würdest du sagen, du bist mehr Londoner als Engländer oder Amerikaner? Oder interessieren dich diese Labels gar nicht?

Col3trane: Ich bin ein Kind mit vielen Stempeln im Pass. Weißt du, was ich meine? Ich identifiziere mich nicht so krass über mein Englischsein. Mir ist das einfach nicht so wichtig. Ich identifiziere mich aber auf jeden Fall mit London und auch mit meinen amerikanischen Wurzeln. Ich reise einfach auch sehr viel.

Würdest du jemals aus London wegziehen? Du warst doch auch viel in Los Angeles.

Col3trane: Mittlerweile verbringe ich die Hälfte meiner Zeit zwischen London und L.A.. Deshalb habe ich nicht unbedingt das Gefühl, mich entscheiden zu müssen. Ich verbringe aber wirklich sehr gerne Zeit in L.A.. Ich liebe es aber auch, Zeit in London zu verbringen. Also werde ich das weiterhin tun.

Du samplest dieses virale "Disgustang"-Video auf "Heroine".

Col3trane: (lacht) Das ist so witzig. Ich liebe es.

Ist Internet- beziehungsweise Popkultur etwas, das Teil deiner Identität ist?

Col3trane: Ja und nein. Ich würde niemals nur einen Internet-Trend aufnehmen, nur um meine Musik zu pushen. Ich habe es gesamplet, einfach weil ich es witzig fand. Das ganze Internet-Ding ist irgendwie separat. Ich bin im Internet, damit ich meine Musik promoten kann und damit Leute sich meine Musik anhören können, aber bei so effekthascherischem Zeug bin ich raus.

Wie kommst du mit dem Druck während der Tour zurecht? Ist das überhaupt ein Thema – fühlst du dich manchmal gestresst?

Col3trane: (überlegt kurz) Ich weiß nicht so richtig. Nein, eigentlich nicht. Das ist wahrscheinlich etwas, dass mich in fünf Jahren einholen wird. Jetzt gerade setze ich mich damit nicht wirklich auseinander. Ich lebe einfach so weiter und mache einfach alles so gut, wie ich es kann und arbeite hart. Das könnte mich später vielleicht noch einholen, aber jetzt gerade läuft alles super.

Wie ist es so auf Tour zu sein? Gibt es irgendwelche Schwierigkeiten?

Col3trane: Viel, viel, viel, viel reisen.

Touren ist so dope. Jeden Tag in einer anderen Stadt aufwachen, verschiedenes Essen, Sprachen, Kulturen, Menschen. Ich liebe es! Aber 14 Stunden am Tag in einem kleinen Bus zu fahren, macht keinen Spaß. Echt nicht. Ich habe meine AirPods ganz am Anfang verloren. Ich hatte noch keine Zeit, neue zu kaufen. Ich konnte also überhaupt keine Musik hören. Ich bin echt verrückt geworden. Ich muss mir dringend neue holen. Das Reisen kann schon echt anstrengend werden. Ich weiß nicht, wie andere das machen. Bisher waren es nur eineinhalb Wochen. Freunde von mir touren für Monate, Jahre.

Was machst du dann normalerweise während der ganzen Zeit im Bus?

Col3trane: Manchmal sitzen wir einfach nur da und haben die verrücktesten Unterhaltungen. Ich habe eine tolle Truppe, mit der ich unterwegs bin. Wenn das nicht so wäre und es gäbe irgendwie bad vibes, dann wäre das echt hart. Aber ich habe Glück: Jeder, der mit mir unterwegs war die letzten anderthalb, zwei Wochen war unglaublich.

Du hast Miraa May als deinen Support Act mit auf Tour genommen. Wie habt ihr euch kennengelernt?

Col3trane: Das ist so eine witzige Story. Ich war 2018 auf einer Silvesterparty in London. Ich hatte gerade "Tsarina" veröffentlicht. Ich war in diesem Club in London und dieses Mädchen kommt auf mich zu – Miraa, aber da kannte ich sie noch nicht – und sie tippt mir auf die Schulter und spricht zu mir. Aber ich kann sie nicht verstehen, weil die Musik so laut ist. Sie machte irgendwelche Handzeichen und deutete an: "Schreib deine Nummer in mein Handy." Ich habe direkt gemerkt, dass sie nicht versucht, mit mir zu flirten. Es ging wirklich nur um meine Nummer. Und ich war nur so: Ok. Und habe es einfach gemacht.

Sie hat mir dann am nächsten Tag geschrieben. Dann habe ich mir ihre Musik angehört und dachte mir: Wow, das ist wirklich richtig gut. Seitdem bin ich ein Fan. Sie ist wirklich seit langer Zeit eine der aufregendsten R'n'B-Sängerinnen aus der UK. Ich bin total sauer, dass sie heute nicht hier sein kann. Wegen irgendeinem dummen Visa-Scheiss. Love her.

Was hast du für die Zukunft geplant?

Col3trane: Ich werde bald ein neues Video machen. Das letzte hat mir wirklich sehr viel Spaß gemacht. Und es gibt ein paar Songs, die ich rausbringen will. Vielleicht noch in diesem Jahr, wahrscheinlicher aber eher im Frühjahr. Im Januar gehe ich außerdem in Australien auf Tour. Das wird dope. Mehr Musik, mehr Shows, mehr Videos, mehr Touring. Mehr von allem! Mehr Liebe, mehr Leben, mehr Happiness, mehr Blessings.

Ich habe gehört, dass Stormzy dich auf Instagram blockiert hat. Hat er dich entblockt? Hast du herausgefunden, was passiert ist?

Col3trane: Hat er nicht. Ich habe mit seiner Ex-Freundin gesprochen, die ich mal kurz getroffen habe, als sie noch zusammen waren. Sie hat zu mir gesagt, dass sie es für mich herausfinden wird, aber das hat sie offensichtlich nicht.

Ich habe ihn immer noch nicht getroffen. Wenn ich ihn mal treffe, dann werden wir ein paar Wörtchen wechseln müssen. Aber er ist ungefähr zwei Meter groß, also werden es wahrscheinlich sehr höfliche Worte sein. Man, ich weiß wirklich nicht, was da los ist. Stormzy, wenn du dieses Interview liest: Hit me up, man! Ich bin ein netter Typ.

Worauf freust du dich am meisten vor einem Konzert? Hast du einen Lieblingssong oder -moment?

Col3trane: Es gibt einige Momente, während des Sets, die ich wirklich wirklich liebe. Ich liebe es, selbst zu spielen, Gitarre und Piano. In diesem Set spiele ich auch viel mehr als vorher. Es ist jede Nacht anders, denn manche Lieder haben unterschiedliche Reaktionen an unterschiedlichen Orten. Ich weiß auch, dass ich einige echte "Ride or Die"-Supporter in Berlin habe. Ich freue mich sehr darauf, sie zu treffen.

Wenn das mit der Musik nicht geklappt hätte - was würdest du jetzt tun?

Col3trane: (überlegt lange) Ich weiß es nicht. Eine Zeit lange wollte ich Lehrer werden. Dann habe ich gesehen, wie genervt und deprimiert Lehrer die ganze Zeit sind. Danach wollte ich Journalist werden. Dann dachte ich mir: F*ck that.

Keine Ahnung, was ich machen würde. Wahrscheinlich wäre ich einfach nur traurig. Depressiv und traurig. Ich würde trotzdem Musik machen. Egal was kommt, auch wenn ich nicht das machen würde, was ich jetzt gerade tue – in Berlin sein, Shows spielen, mit dir hier reden – ich würde immer in meinem Zimmer Musik machen, verstehst du.