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Interview

Bonnie und Clyde und rassistische Polizeigewalt: "Queen & Slim"-Regisseurin Melina Matsoukas im NOIZZ-Interview

"Ich wollte, dass alles authentisch ist und wirklich unsere Kultur zeigt – auf eine schöne Weise."

Michael Brown, Walter Scott, Antwon Rose oder Eric Garner – sie alle haben als tödliche Opfer von US-Polizeigewalt weltweit Schlagzeilen gemacht, sind zu traurigen Symbolfiguren der "Black Lives Matter"-Bewegung geworden, und doch wächst die Liste der Opfer unbehelligt weiter. Statistisch gesehen wird etwa einer von 1.000 Schwarzen Männern in den USA von einem Polizisten erschossen. Mit "Queen & Slim" ist seit dem 09. Januar 2020 ein Film im Kino zu sehen, der genau dieses brisante Thema aufgreift.

Das Drama von Regisseurin und zweifacher Grammy-Gewinnerin Melina Matsoukas und Emmy-gekrönter Drehbuchautorin Lena Waithe ("Master of None") – beide Schwarze Frauen – erhielt in den USA, wo es bereits im November 2019 veröffentlicht wurde, große Aufmerksamkeit und sammelt seit der Deutschlandpremiere nun auch hierzulande Lob und Anerkennung. "Queen & Slim" ist ein audiovisuell meisterhaft umgesetztes Rassismus-Drama, in dem Road-Movie und Crime-meets-Love-Story à la Bonnie und Clyde auf brandaktuelle US-amerikanische Gesellschaftskritik treffen. 

Vom missglückten Tinder-Date auf die Flucht vor dem Gesetz

"Queen & Slim" beginnt ganz harmlos mit einem Tinder-Date. Nur ist von Schmetterlingen im Bauch bei Anwältin Angela Johnson aka Queen (Leinwandneuentdeckung Jodie Turner-Smith) und Schuhverkäufer Ernest Hines aka Slim (Oscar-Nominierter Daniel Kaluuya bekannt aus "Get Out") keine Spur. Sie beenden das Date, er fährt sie in seinem Auto nach Hause. Auf dem Weg werden sie aus einem fadenscheinigen Grund von einem weißen Polizisten angehalten. Der kann zwar kein Vergehen feststellen, sucht aber willkürlich immer weiter. Die Situation läuft aus dem Ruder: Queen will die Schikane nicht wortlos über sich ergehen lassen, wegen einer Nichtigkeit zückt der Beamte schließlich seine Waffe. Am Ende liegt der Polizist tot vor seinem Dienstwagen – von Slim aus Notwehr erschossen.

Queen und Slim sind überzeugt: Vor Gericht hätten sie als Schwarze 'Polizistenmörder' keine Chance – und fliehen. Es ist der Beginn eines Roadtrips um Leben und Tod, einer Verfolgungsjagd, während der sich die beiden nicht nur näher kommen, sondern auch zu Symbolfiguren der immer erhitzter werdenden Bewegung gegen Polizeigewalt und Rassismus werden. Der Film bringt nahe, wie der Alltag Schwarzer Menschen in den USA mit Polizei und Justiz aussieht, wie Proteste wie der in Ferguson so aufgeladen werden konnten und gibt einen Einblick in das Leben der Black Communities in den USA.

"Ich wollte die Realität widerspiegeln, kommentieren und kritisieren, wie das Leben Schwarzer Menschen in den USA aussieht."

Mit dem Film feiert Melina Matsoukas ihr Kinodebüt, eine Unbekannte ist sie in Hollywood aber lange nicht: Sie hat sich als mehrfach preisgekrönte Musikvideo-Regisseurin einen Namen gemacht, zählt Beyoncé zu ihren engen Freunden (für das Video zu "Formation" erhielt Matsoukas einen Grammy-Award) und hat mit vielen weiteren Megastars wie Rihanna, Lady Gaga, Whitney Houston und Jennifer Lopez zusammengearbeitet.

"Queen & Slim" ist für Matsoukas aber noch weitaus mehr als nur das Debüt auf der großen Leinwand, es ist ein persönliches Herzensprojekt – das wird im NOIZZ-Interview mit der Regisseurin deutlich. In dem Gespräch hat sie uns außerdem erzählt, wieso die Stimmung am Set schrecklich war, wie auch YouTube in der Vorbereitung eine Rolle spielte und und was sie mit dem Film zeigen möchte.

NOIZZ: Du warst bisher vor allem als Musikvideo-Regisseurin bekannt. Wie kam es nun zu dem Kinodebüt? 

Melina Matsoukas: Ich habe schon lange nach Filmmaterial gesucht, ich hatte bisher nur keines gefunden, das mich angesprochen hat – nicht nur als Filmemacherin, auch als Person. Ich hatte keine Eile, ich habe auf das passende Stück gewartet. Wenn ich an einem Projekt arbeite, gebe ich alles. Für mich muss das Skript das also wert sein. 

NOIZZ: Wie ist die Idee zu "Queen & Slim" entstanden?   

Ich habe mit Lena Waithe für eine Episode von "Master of None" zusammengearbeitet, eine ganz besondere Episode, denn Lena outet sich darin vor ihrer Familie als lesbisch. Wir hatten sofort eine unglaublich magische Beziehung zueinander. Während wir gemeinsam an dieser Episode arbeiteten, schrieb sie ein Skript. Sie sagte: Ich glaube, ich habe deinen ersten Film, du musst dafür einfach Regie führen.

Als ich das Skript gelesen habe, merkte ich: Das ist wirklich genau das, wonach ich für meinen ersten Film gesucht habe. Nicht nur als Filmemacherin, auch als Person. Er ist provokativ, hat etwas zu sagen, fordert den Status Quo heraus und ist gleichzeitig eine sehr schöne Liebesstory, unterhaltsam – ein immens starkes Stück Kino.

NOIZZ: Wie lief die Zusammenarbeit mit Lena Waithe? 

Wir haben sehr eng zusammengearbeitet. Wir haben uns mit Produzenten und Finanziers getroffen und gemeinsam entschieden, mit wem wir zusammenarbeiten. Wir sind auf jeden Fall ein Duo, was "Queen & Slim" angeht. Während des gesamten Filmprozesses haben wir einander unterstützt. 

NOIZZ: Wie habt ihr euch für den Cast entschieden? 

Daniel [Kaluuya] hatte sich bereits mit Lena getroffen, da hatte er noch einen früheren Entwurf des Skripts gelesen. Er hat sofort die Rolle von Slim für sich beansprucht. (lacht) Lena hat mich gefragt, ob ich ihn in der Rolle von Slim sehe und ich habe zugestimmt. Er ist außerordentlich auf jede Art und Weise. Ich habe mich sehr auf die Zusammenarbeit mit ihm gefreut. 

Nachdem wir bereits Daniel hatten, wollten Lena und ich die Chance nutzen, um einer neuen Schauspielerin eine Chance zu geben, um mehr Diversität in die Industrie zu bringen, was bitter nötig ist. Also haben wir gesucht und – Lob an unsere Casting-Direktoren – Jodie [Turner-Smith] war in der ersten Runde unserer Audition-Tapes. Ich wusste sofort: Sie ist es. Sie hat dieses Selbstbewusstsein, eine Verletzbarkeit und Royalty. Sie verkörpert die Rolle natürlich und elegant. 

NOIZZ: In deinen Musikvideos verwandelst du häufig schmerzhafte Dinge in etwas Schönes. War das auch ein Gedanke bei "Queen & Slim"? 

Ich wollte die Realität widerspiegeln, kommentieren und kritisieren, wie das Leben Schwarzer Menschen in den USA aussieht. Ich glaube, Schwarze Menschen haben einen Weg gefunden, die schönen Dinge zu feiern und sich zu lieben, auch in schweren und dramatischen Zeiten. Ich wollte, dass alles authentisch ist und wirklich unsere Kultur zeigt – auf eine schöne Weise. Wir sind fähig, uns zu wehren und nicht Opfer der Unterdrückung zu werden, die wir jeden Tag erleben. 

NOIZZ: Rassismus, Polizeigewalt, Liebe, Black Lives in den USA – der Film ist thematisch sehr vielschichtig. Was war dein Ansatz, was sollen die Zuschauer von dem Film mitnehmen? 

Das hat mich an diesem Skript so angezogen: Er spiegelt wider, wie wir durch das Leben gehen: Wir leben nicht immer nur in einer Liebeskomödie, manchmal ist das Leben ein richtiger Horrorfilm. Ich liebe die unterschiedlichen Interpretationen des Films. Ich glaube, es gibt für jeden etwas, das er mitnehmen kann: politisch, Empathie oder eine Verbindung zu der Love-Story. Es gibt absichtlich sehr viele verschiedene Perspektiven im Film. 

NOIZZ: Wie war die Stimmung am Set? 

Sie war fürchterlich. (lacht) Es war eine große Herausforderung. Wir arbeiteten an etwas sehr Ernstem und haben es auch sehr ernst genommen. 

In der ersten Shooting-Woche sind wir nach Cleveland. Zu der Zeit war da gerade ein Polarwirbel. Es war extrem kalt. Wir mussten alle 15 Minuten Pause machen, damit es nicht zu Erfrierungen kommt. Danach sind wir nach New Orleans. Das war toll, aber jeden Tag gab es eine Challenge in der Produktion – etwa ein Regensturm. Einmal kamen wir am Set an und sie meinten, unser Set wird in drei Stunden unter Wasser sein, weil wir mitten in einem Sumpf stehen. (lacht) 

Es gab viele Herausforderungen, aber wir sind zu einer Familie zusammengewachsen, um uns gegenseitig zu unterstützen und uns durchzuarbeiten.  

NOIZZ: Gab es Vorbilder für den Film? Wovon hast du dich inspirieren lassen? 

So viele! Den größten Einfluss auf den Film hatte Hype Williams. Er hat einen Film namens "Belly" gemacht. Er ist ein großartiger Musikvideo-Regisseur. Er hat meinen Ansatz zum Filmen und Fotografieren von Schwarzen Menschen und unserer Kultur beeinflusst.

Dann "In the Mood for Love" von Wong Kar-Wai – ich liebe diesen Film. Da ist so viel Storytelling in den Details des Films. Daran habe ich denken müssen, als ich über meine liebsten Love-Stories nachdachte.

"Y Tu Mamá También" [von Alfonso Cuarón], ein weiterer unglaublicher Film, an den ich denken musste, als ich über Road-Movies nachdachte. Wie die Auto-Szenen gefilmt sind, da ist Progression dabei. Bei "Queen & Slim" ist es genauso: Manchmal ist die Kamera im Auto, wie ein Beifahrer, manchmal außen wie ein Augenzeuge. 

Was mich noch beeinflusst hat, war das echte Leben. Ich habe auch viele YouTube-Videos angeschaut von Menschen, die von der Polizei angehalten wurden. Viele meiner Entscheidungen basieren auf Authentizität und dem, was wirklich passiert ist, dem wahren Leben in Black Amerika.