Sie sind überall! An den unpassendsten Orten, in verschiedenster Ausstattung, von mitleiderregend angetrocknet bis über die Maßen hochgedüngt oder als schäbige Kleinstausgabe auf den Seitenaltar gestellt - alles habe ich schon gesehen. Einmal entdeckt, wird man sie nie mehr los: Die Rede ist von Palmen in Kirchen. Gerne findet man sie in Tabernakelnähe, in kleinen Hauskapellen auch gerne mal direkt darunter oder - für mich die schlimmste Variante - sogar davor.
Ausgerechnet auf einer Reise durch Kirchen im sonst katholisch so geordneten Polen ist mir diese grüne Invasion zum ersten Mal aufgefallen. Vereinzelte Palmenfotos wuchsen zu einer gleichförmigen Reihe. Anfänglich war das ein großer Spaß, doch irgendwann gesellte sich Verzweiflung dazu, weil dieses Gewächs selbst erhabenste Kirchen befallen hat. Und auch in Deutschland findet man sie allerorts: von der romanischen Kirche über den gotischen Dom bis zum barocken Kleinod. Mittlerweile kann ich schon gar nicht mehr anders, als jeden Kirchenraum nach ihnen abzusuchen, und amüsiere Freunde und Familie mit diesem Tick. Keiner konnte mir dabei bisher erklären, warum ausgerechnet diese Pflanze für sakrale Räume so beliebt ist. Für mich gehören Yucca, Drachenbaum und Elefantenfuß jedenfalls nicht dorthin - meinetwegen noch ins Pfarrbüro.
Als einzige Ausnahme lasse ich das barocke Münster von Zwiefalten gelten. Dort zieren modellierte Palmen aus Stuck einen offenen Beichtstuhl, der dadurch an eine Oase erinnert. Der biblische Anklang, der Bezug zum Heiligen Land, wird hier wenigstens deutlich - die Palme als Topfpflanze schafft das nicht und verschandelt so manchen Altarraum.
Dabei spielen Palmen im Christentum eigentlich ja tatsächlich eine wichtige Rolle. Wer sich in der christlichen Ikonografie auskennt, identifiziert am Palmzweig den Märtyrer. Er ist eines seiner Attribute. Die Palme ist hier ein Siegeszeichen. Und natürlich darf auch der Hinweis auf den Einzug Jesu nach Jerusalem nicht fehlen, bei dem die Menschen "Zweige von den Bäumen" schnitten und auf den Weg legten (Mt 21,8). Natürlich waren auch das Palmen. Im Heiligen Land schießen sie ja nur so aus dem Boden. Ich erinnere mich an eine Reise in die Wüste, wo haushohe Exemplare schon von Weitem eine Ausgrabungsstätte anzeigen, weil frühere Archäologen Datteln gegessen und die Kerne achtlos weggeworfen haben. Ja, die Palme gehört zu Israel - und natürlich auch zum Judentum, das erlebt man besonders eindrücklich beim Laubhüttenfest.
In europäische Kirchen passt sie, außerhalb von Ikonografie und Kunst, aber einfach nicht. Vielleicht ist es oft auch ein "gut gemeint", das sie im Altarraum am Leben erhält, weil die Pflanze so robust ist und wenig Pflege benötigt. Ich weiß es nicht. An ein Sinnbild des Sieges erinnern mich die meist kümmerlichen Exemplare jedenfalls nicht, eher an ausgesetzte Büropflanzen - bitte bringt sie doch dahin zurück.