Alice Romas

Freie Journalistin und Texterin, Esslingen

1 Abo und 0 Abonnenten
Buch

Die Hochzeit

Der Schlüssel dreht sich im goldenen Schlüsselloch und der Page setzt mein Gepäck auf der Kofferablage ab, dreht sich um und steht kerzengerade mit ellenlangen knochigen Jungenarmen mitten im Zimmer. Lächelnd blicke ich ihn an, schmeiße Handtasche und Jacke auf das Bett und gebe ein lobendes Kommentar zur Zimmereinrichtung. Er steht immer noch da und hat sich seit seiner schwungvollen und doch steifen Drehung nicht mehr bewegt. Wie konnte ich das nur vergessen, lache ich verlegen, greife in meinen Blazer und gebe ihm die ersten Münzen, die ich in diesem Land erhalten habe. Verlegen und mit einer Härte im Gesicht, wie es nur romanische Männer haben können, marschiert er nun aus meinem Zimmer und überlässt mich endlich meinem Schicksal. Sobald die Tür in die Angel fällt, reiße ich meinen Koffer auf, schmeiße sämtliche Kleidungsstücke aufs Bett und suche meinen Kulturbeutel. Daraufhin stürze ich ins Bad, dass mich durch seine enorme Größe und pompöse Marmorausstattung erschlägt. Nicht nur der ernste Portier, der stumme Page, sondern auch die Räume sind erhaben und eindrucksschindend. Der sozialistische Pomp, mit edler französischer Eleganz gleichen einem kleinen Palastzimmer – nur eben mit einer gewissen Kühle, die nur in ehemals kommunistischen Ländern zu finden ist. Zwischen Kristallkronleuchter und schweren dunkelroten Vorhängen ziehe ich mich aus und werfe mich in einen einfachen, aber stilvollen Nadelstreifenanzug. Wahrscheinlich werde ich mich auf der dörflichen Hochzeit in einem Zweiteiler fehl am Platze fühlen, das ist mir bewusst und bereitet mir Sorge, aber so fühle ich mich zuhause. Wie würde ich auch in einem Minirock mit Pfennigabsatz-High-Heels über die ungepflasterten Gehwege stolzieren – fallen würde ich – und deswegen gehe ich unpassend und nehme stechende Blicke und beißende Kommentare in Kauf. Jahre sind seit meinem letzten Besuch vergangen - Ionen, so scheint es mir. Geboren wurde ich in diesem Land, als eine rassische Mischung eines rumänischen Vaters und einer deutschen Mutter, welche mit mir, als ich noch sehr klein war, in großer Gefahr über die Grenzen flohen, in den goldenen Westen, in das Land der Freiheit, der Bananen, Cola und guter Schokolade. Trotz späteren Besuchen und trotz dem Fall des sozialistischen Regimes, blieb mir als Kind die Kultur derer, die mir als Familie aufgebunden worden war, fremd und eine Fremde blieb ich auch für sie. Jedenfalls bin ich nun hier. Letzter Blick in den Spiegel. Ich zupfe an meiner Dauerwelle, richte ein letztes mal meine weiße Bluse zurecht und streife mit meinen Händen über meine schmalen Hüften, in Gedanken an den Mann, den ich vor 13 Jahren zum letzten Mal gesehen habe und der mir in einer stürmischen Nacht in einem Strohschober, nicht weit von hier die Unschuld genommen hat.


In dem kleinen Dorf angekommen, parke ich mein Mietauto neben einem Graben, den ich in der Dunkelheit fast nicht gesehen hätte, greife nach meinem Geschenk und meiner Tasche und stöckele in Richtung Licht. Voller Mut und ein bisschen Unbehagen trete ich ein und werde von einem grellen Lichtschwall, herunterhängenden Girlanden und schreienden Weibern in Empfang genommen. Nach etwa 20 Umarmungen, unzähligen fettigen und feuchten Küssen, Kommentaren zu meinem unpassenden Outfit, Vorwürfen zu meinem jahrelangen Nichterscheinen und wundervollen Komplimenten, wie „Du bist aber dick geworden“, was hier wirklich ein Kompliment ist, finde ich mich mit hochrotem Kopf und einem spiritusähnlichen Schnaps auf einem Stuhl wieder. Nach dem ersten Schluck nehme ich endlich die Umgebung war und lächle vor Vergnügen. Weiße Tischdecken bedecken ellenlange Tische, verziert mit hunderten Plastikblumen, gesäumt von großen Schüsseln mit fettigem Fleisch und Kartoffeln, Schnaps- und Weinflaschen und unzähligen Gläsern und Tellern erzeugen ein loderndes Bild. Grelles Neonlicht und rote Kurzhaardauerwellen, Plastikstühle und Kleider aus den 80gern, obwohl wir nun die 90ger schreiben, Schnapsgeruch und gut angetrunkene Damen sowie betrunkene Herren erzeugen einen kleinen Kulturschock. Nachdem mir ein Teller nach dem anderen vor die Nase gesetzt wird und ich den Schnaps nun wirklich brauche, komme ich endlich zur Ruhe und halte nach dem Brautpaar Ausschau. Auf einem Podest sehe ich meine Cousine am Ende des Dorfsaals, erhoben, wie auf einer Tribüne. Steif und klein sitzt sie neben ihrem Mann, der wie alle Männer hier harte Augen und kantige Gesichtszüge besitzt und sich mit ernstem Blick der tanzenden Menge zuwendet. Stocksteif sitzen sie da, schauen sich weder an, noch scheinen sie sich wirklich zu kennen. Ihr weißes Kleid ist sichtlich zu groß, ihr Gesicht mit Glitzerschminke und blauem Lidschatten verunstaltet und ihr Blick reicht in die Ferne, an der hüpfenden Hochzeitsgesellschaft vorbei, in ein nicht enden wollendes Nichts. Glücklich sehen die beiden nicht aus. Fremd und irgendwie traurig. Ich wurde an den Tisch der Ausländer gesetzt und bemerke gegenüber von mir eine etwas rundliche Dame, die, wie mir gesagt wird aus Amerika kommt, aus der großen Freiheit. Um die 47, mit fülligen Oberarmen und fast heraushängenden Brüsten wird sie von zwei jungen Rumänen umgarnt und flirtet mal mit dem einen, mal mit dem anderen. Die jungen Männer blicken immer wieder zu mir und die Peinlichkeit, der die laute Dame ausgesetzt ist, scheint diese nicht zu bemerken. Ich nehme eine der kitschig blauen Plastikblumen in die Hand, damit ich etwas zum Spielen habe. Etwas weiter rechts sitzt ein entfernter Onkel, den es auch vor Jahren nach Deutschland zog. Mit einem charmeörhaften Lächeln tostet er mir zu. Gleich darauf spüre ich den stechenden Blick einer wunderschönen blutjungen Rumänin, die mit weißer Haut und pechschwarzem wunderschönem Haar ihre schmalen Hüften an seinen Rücken drückt. Ohne sich zurückzuhalten lässt er seinen Blick sichtlich über ihre nackten langen Beine gleiten, die noch nicht an Form, aber an Länge gewonnen haben. Laut spricht er von den Errungenschaften, die er sich, als großer Mann von Welt, der auch einmal aus diesen kleinen Lehmhütten gekrabbelt sei, erschaffen habe. Ein Haus, ein Auto, die Marke muss genannt werden. Wichtigtuerisch setzt er das junge Küken auf seinen Schoß und erzählt, stark gestikulierend von seinen Erfolgen - laut genug, damit es alle hören und Lob und Bewunderung zeigen können. Schmunzelnd wende ich nun meinen Blick ab, was mir schwer fällt, denn ich stelle mir den Wichtigtuer und Frauenhelden, in seiner kleinen 3 Zimmerwohnung in Deutschland vor, kleinkariert und umsorgt von seiner Frau. Fast spucke ich den sauren Wein zurück in das kleine Glas, halte mich aber noch rechtzeitig zurück und lache über meine böse Phantasie. Vor einigen Stunden noch, saßen alle brav und erhaben in der kleinen orthodoxen Kirche, wurden von den mahnenden Worten des Pfarrers zurecht gerückt und von Weihrauch und Gesang in einen Trance versetzt. In einem Eck nahe des Podiums, wo Braut und Bräutigam immer noch wie angenagelt sitzen, befindet sich der Tisch der alten Damen. In schwarzer Kleidung und noch schwärzeren Kopftüchern kichern sie der tanzenden und springenden Jungend auf der Tanzfläche entgegen, die Toten vergessen und der Erinnerung der eigenen Frische ergeben. Der starre Blick meiner Cousine bringt eine kühle Frische in meine Gedanken. Sie ist die einzige in der Familie, die mir sehr ans Herz gewachsen ist und deren Vermählung mit einem dörflichen, sechs Jahre älteren Mann, der seine Abende in der Dorfkneipe ertrinkt und seine blutjunge 18 Jahre alte Frau im Haus der Schwiegereltern alleine lassen wird, stellen mir die Nackenhaare auf. Mir wurde gesagt, dass sie den gelben Verlobungsring in den Staub vor ihr Familienhaus geworfen, sich auf der Ferse umgedreht und das rostige Törchen mit Wucht zugeworfen habe, so dass dieses aus der Angel gefallen sei, und dass sie für zwei Tage wie vom Erzboden verschwand. Eine Schande wurde mir am Telefon mitgeteilt, nicht nur für die Eltern, die Schwiegereltern und die Nachbarn, sondern für das ganze Dorf. Die pinkfarbene Röte und massig wackelnde Fülle meines Gegenübers blockiert mein Blickfeld. Ihre nassen Schläfen und der laute Tenor, der von hohem Gequitsche, bis zu tiefen Lachen reicht, malen ein seltsames Bild. Das Kleid hängt ihr schon von der Schulter und bezirzt von den hübschen jungen Männern und gut beschwipst, kann sie nun ihren Triumph und vor allem ihre zügellose Ralligkeit nicht mehr unterdrücken. Ich halte Ausschau nach meinem Adonis, so kam er mir damals vor. Ein David mit fast rämischen Gesichtszügen, starken Wangenknochen, schmalem Körperbau und pechschwarzem Haar. Mein Blick wandert von der fülligen Lust über die polkatanzenden Menschen in die Gesichter und Augen von ungefähr zweihundert Menschen. Ob das Brautpaar all diese Gäste kennt, stelle ich in Frage. Suchend streife ich an alten Damen mit Kopftüchern vorbei, mittelalterlichen Männern mit Schnapsgläsern und hübschen jungen Mädchen, die in Gruppen die verglasten Augen der männlichen Geschlechter verklären. Sich ihrer Schönheit bewusst, heben sie das Kinn noch etwas höher und stolzieren neckisch auf und ab. Fragen kann ich nicht nach ihm, wen auch. Da, auf einmal entdecke ich ihn und es fährt mir durch Mark und Bein. Erstarrt blicke ich in seine Richtung. Die letzten 15 Jahre haben ihn verunschönt, was noch wenig gesagt ist. Das markante Gesicht ist nun rund und aufgequollen, die einst blitzend schwarzen Augen sind nun müde und hart und obwohl ich so oft an diesen Mann dachte und von ihm träumte bin ich froh, dass ich damals zu jung war. Traurig bin ich nicht. Ich bin froh gesehen zu haben, was nötig war und das gefühlt zu haben, was ich nun fühle um nicht Schmerz, sondern Erleichterung durch meinen Geist dringen zu lassen.


Kurz vor Mitternacht und kurz nach dem Brauttanz und mitten in einer hemmungslosen Odyssee kommen Schreie und Gelächter auf. Die Braut ist weg und nirgends auffindbar. Nach ein paar erschreckten Blicken schreit der Trauzeuge „Die Braut ist entführt!“ und alle stoßen lachend an. Zu jeder Hochzeit gehört die Entführung der Braut, der Bräutigam macht sich dann auf die Suche, boxt sein Ego bis über den Kopf und geht besitzergreifend auf die Suche nach dem versteckten Eigentum. Auch ich lache und jauchze vor mich hin und stoße vergnügt mit dem Mann von Welt an. Das Fest geht weiter, das Gelage wird bunter und die Röcke irgendwie kürzer. Csardas und Schnaps lullen alle ein. Rage, Plastik, bunter Kitsch scheinen wunderschön. Die Hora, ein Gruppentanz im Kreis reißt nun auch mich auf die Tanzfläche und fliegende Haare, weit aufgerissene lachende Gesichter, stampfende Beine, Gerüche nach Knoblauch und Alkohol und die unerträgliche kochende Hitze im Raum geben ein Bild wie aus einem Bilderbuch wider. Ich entschuldige mich von meinen schweißgebadenen Tanzpartnern und trete aus dem hüpfenden Kreis, nach draußen. Fast wie ein junges Mädchen, dass etwas Verbotenes tut, zünde ich mir zwischen der offenen Tür, die zur provisorischen Küche führt und den im Staub gepaarten Autos eine Zigarette an. Erst dann bemerke ich die besorgten Gesichter der Familienmitglieder. Sie scheinen in großer Sorge zu sein und mit allwissenden wiegenden Köpfen sitzen die alten Damen vor dem Kücheneingang. Aus der Dunkelheit stürzt der jung gebackene Ehemann ins Geschehen, gefolgt von einer Bande kantiger, wilder und sehr schöner Männer. Sein Blick ist wie im Wahn und verschlingend, die Adern an seinen Schläfen sind dem Platzen nahe, sein Gesicht rot und sein Körper in Rage. In diesem Augenblick wird mir bewusst, dass die Braut nicht zu sehen ist. Das kleine Spiel der Brautentführung liegt schon 3 Stunden zurück und in der euphorischen Gesellschaft ist niemandem das Fehlen der wichtigsten Person aufgefallen. Der junge Mann stürzt wie im Wahn in den Tanzsaal, die Musik stoppt, die Gäste erstarren aufgrund des einnehmenden und ermahnenden Blickes des jungen Mannes. Die Augen schwarz und blitzend. Die erste Flasche, die ihm in die Hände kommt, wirft er fluchend und schreiend auf den Tanzboden. Familienmitglieder eilen ihm zu Hilfe, alle schreien, manche weinen, andere stürzen sich in die wuterfüllte Aufruhr. Noch in der selben Nacht suchen die Männer nach der jungen Frau. Jede dunkle Straße, jedes Haus, jeder Stall, jedes Auto werden in Augenschein genommen und später ziehen sie in Gruppen auf die Felder. Stunden vergehen. Die Frauen bleiben zurück, fangen an zu tuscheln und zu tratschen. Sie hätten es gewusst, dass so etwas passiert und nach dem Verschwinden aufgrund der Verlobung, ist es eindeutig, dass die junge Braut undankbar und unzüchtig sei.


Langsam mache ich mich lautlos auf den Weg, setze mich in meinen Mietwagen und fahre in der Dunkelheit und in tief melancholischer Stimmung in mein prunkvolles sozialistisches Palastzimmer. Dort lasse ich Schritt für Schritt meine Kleider auf den Boden fallen, bis sie ein drapiertes Netz von der Tür zum Bett bilden und setze mich in meiner Unterwäsche und mit einer Zigarette auf die große Matratze. Mein angespanntes Gesicht kann nun die Maske fallen lassen, meine Stirn zieht sich zurück und ein Lächeln gleitet langsam über meine Lippen. Sie hat es angenommen. Sie hat es getan. Den Umschlag, den ich ihr zitternd beim Gratulieren inmitten von Gelächter und Geschrei in ihre dünne Hand gedrückt habe, nicht wissend, ob sie mich mit ihrem milchigen Blick wahrnimmt. Sie hat ihn geöffnet und alles stehen und liegen lassen. Ich weiß nicht ob sie je hierher zurückkommen kann oder will, ob ich je von ihr hören werde und ob sie je ein angenehmes sorgenfreies Leben führen wird. Das weiß ich nicht. Im Umschlag war nicht viel, eine kleine Notiz, die ich noch schnell im Auto mit zitternder und zögernder Schrift geschrieben habe, Geld und ein Flugticket. „Wenn Du nicht willst, dann musst Du nicht. Es steht dir frei.“ Zwei kurze Sätze - ein neuer Weg - eine Flucht.