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Porträt Dorothy Parker: Virtuosin der direkten Rede


  • Sie war die Symbolfigur der Roaring Twenties in New York - und hielt ihre Erzählungen für misslungen: Vor 50 Jahren, am 7. Juni 1967, starb Dorothy Parker. 

Im Algonquin Hotel in New York gibt es einen Round Table Room, der allerdings mit König Artus nichts zu tun hat. Die Ritter dieser Tafelrunde schwangen keine Schwerter, sondern Reden. Von 1919 bis 1929 trafen sie sich hier täglich zum Lunch: Redakteure und Regisseure, Drehbuch-, Bühnen- und Romanautoren, Produzenten, Rezensenten und Agenten, Komponisten, Kolumnisten, Journalisten. Sie bildeten die Elite der New Yorker Kulturszene, die, wie damals üblich, vorwiegend aus Männern bestand. Und doch ist der Name, den man bis heute am engsten mit dem legendären Ten-Year Lunch verbindet, der einer Frau: Mrs. Dorothy Parker.

Geboren wurde sie als Dorothy Rothschild am 22. August 1893 während einer Sommerfrische ihrer New Yorker Familie in West End, New Jersey. Sie war das jüngste von vier Geschwistern, ihr Vater hatte es mit einer Kleiderfabrik zu Wohlstand gebracht. Ab 1915 formulierte sie Bildunterschriften für Vogue, wechselte aber bald zu Vanity Fair, wo sie ihre Tätigkeit als Kritikerin aufnahm, zu der sie im Lauf ihrer vielseitigen Karriere immer wieder zurückkehren sollte. Den renommiertesten Magazinen wie Esquire oder The New Yorker lieferte sie hunderte Theater- und Buchrezensionen. Sachlichkeit oder gar Milde zählten dabei nicht zu ihren Tugenden. "In the last act [the heroine] is strangled by one of her admirers", schrieb sie etwa über ein Stück. "For me, the murder came too late."

Intensiv und exzessiv 

Dass sie derartige Sarkasmen sogar aus dem Stegreif produzieren konnte, bewies sie nicht zuletzt als Stammgast am Round Table des Algonquin. Aufgefordert, einen Satz um das Wort "horticulture" (Gartenbau) zu bilden, bot sie an: "You can lead a horticulture, but you can't make her think." Als auf einer Party jemand erzählte, eine bestimmte Schauspielerin sei immer nett zu Leuten, die unter ihr stünden, erkundigte sie sich: "Where does she find them?" Und nach einer anderen Party antwortete sie auf die Frage, ob sie sich amüsiert habe: "One more drink and I'd have been under the host." ("Einen Drink mehr, und ich wäre unterm Gastgeber gelegen".)

Womit sie vermutlich nicht einmal übertrieb: Der Lebensstil der jungen Dorothy Parker war genau so intensiv, exzessiv und promiskuitiv, wie man es sich von einer Symbolfigur der Roaring Twenties erwartet. Ihr Konsum von Zigaretten, Alkohol und Liebhabern kannte kein Maß. Drei Eigenschaften verlangte sie von einem Mann: "He must be handsome, ruthless and stupid." ("Er muss hübsch, rücksichtslos und dumm sein".)

Ihre kurzfristigen Affären und langwierigen Amouren mit solchen und anderen Männern ließen sie allerdings zu oft verletzt und verzweifelt zurück. So unternahm sie mit 29 nach einer Abtreibung den ersten ihrer fünf Selbstmordversuche. Zugleich genoss sie es, sich als leidend Liebende zu inszenieren und verarbeitete ihre Enttäuschungen zu Gedichten, deren Buchausgaben zu Bestsellern wurden.

Dreimal war sie verheiratet, wenn auch nur mit zwei Männern. Die Ehe mit dem Börsenmakler Edwin Parker litt unter ihrem literarischen Aufstieg ebenso wie unter den Verheerungen, die der Erste Weltkrieg an Edwin anrichtete: Der verhärtete, morphiumsüchtige Mann, der von Europas Fronten zu Dorothy heimkehrte, war nicht der gleiche, den sie 1917 geheiratet hatte. Jahrelang existierte die Ehe hauptsächlich auf dem Papier, bis sie 1928 geschieden wurde.

1934 heiratete Dorothy den elf Jahre jüngeren Schauspieler und Schriftsteller Alan Campbell. Auch ihn verlor sie gewissermaßen an einen Weltkrieg, diesmal an den Zweiten: Bei seinem Militäreinsatz in London verliebte er sich in eine andere Frau, die ihn wohl nicht, wie seine Ehefrau, ständig verdächtigte, eigentlich schwul zu sein. Er und Dorothy ließen sich 1947 scheiden, um drei Jahre später noch einmal zu heiraten.

Bis in ihre Dreißiger war Dorothy Parker eine larmoyante Egozentrikerin, derart beansprucht von ihren Privatproblemen, dass sie nicht einmal wählen ging. Erst 1927 erwachte am Skandal um Sacco und Vanzetti ihr politisches Bewusstsein. Vergeblich bemühte sie sich um die Freilassung der unschuldig wegen Raubmordes Verurteilten: Sacco und Vanzetti wurden hingerichtet, und Parkers politisches Bewusstsein schlief nie wieder ein.

Fortan engagierte sie sich als Drehbuchautorin für die Gründung einer Hollywood Anti-Nazi League und die Anerkennung der Screen Writers Guild als offizielle Gewerkschaft. Während des Spanischen Bürgerkriegs unterstützte sie mit Vorträgen und Spendensammlungen die Gegner und Opfer von Francos Faschismus. Durch ihre neu entdeckten Sympathien für den Kommunismus geriet sie schließlich ins Visier des FBI und des berüchtigten Komitees von Senator McCarthy.

Kunst der Aussparung 

Neben ihren Rezensionen und Gedichten arbeitete Parker an den Drehbüchern mehrerer Hollywoodfilme mit, darunter Alfred Hitchcocks Saboteur (1942), und wurde zweimal für den Oscar nominiert. Ebenfalls in Kooperation verfasste sie die Bühnenstücke Close Harmony (1924), The Coast of Illyria (1949) und The Ladies of the Corridor (1953).

Doch ihr Traum vom großen Broadway-Hit erfüllte sich ebenso wenig wie jener vom großen Roman. "I wish to God I could do one", meinte sie 1956 in einem Interview, "but I haven’t got the nerve." Nach der Motivation ihres Schreibens befragt, antwortete sie: "Need of money, dear." Was kaum glaubhaft wirkt, angesichts der unökonomischen Sorgfalt, die sie in ihren ökonomischen Stil investierte: "It takes me six months to do a story. [. . .] I can’t write five words but that I change seven." Die Bilanz, die sie nach all diesen Bemühungen zog, klingt ernüchternd: "I want so much to write well, though I know I don’t, and that I didn’t make it."

Nichts widerlegt diese Aussage unwiderlegbarer als die Kurzgeschichten und Erzählungen der Dorothy Parker. Wie etwa die von den Frischvermählten, die keinesfalls enden wollen wie all die zänkischen Paare, einander aber schon auf der Hochzeitsreise mit kleinlichen Sticheleien auf die Nerven gehen (Here we are, 1931). Oder die von den langjährigen Eheleuten, deren harmonische Beziehung zerbricht, weil sie buchstäblich nicht mehr wissen, worüber sie reden sollen (Too Bad, 1923). Oder die unwiderstehliche Farce über diese anderen Eheleute, die vom pathetischen Geschwafel ihres Hausdieners an die Grenze ihrer Belastbarkeit getrieben werden (Mrs. Hofstadter on Josephine Street, 1934).

Parker war eine Virtuosin der direkten Rede und der Kunst, das Wesentliche auszusparen, um es lediglich in unseren Köpfen entstehen zu lassen. Stilistisch verdeutlicht diese Methode eine Passage der im Spanischen Bürgerkrieg angesiedelten Kurzgeschichte Soldiers of the Republic (1938): "Their village was next that one where the old men and the sick men and the women and children had gone, on a holiday, to the bullring; and the planes had come over and dropped bombs on the bullring, and the old men and the sick men and the women and the children were more than two hundred."

("Ihr Dorf lag neben dem, wohin die alten Männer und die kranken Männer und die Frauen und Kinder gegangen waren, an einem Feiertag, in die Stierkampfarena; und die Flugzeuge waren herübergekommen und hatten Bomben auf die Stierkampfarena geworfen, und die alten Männer und die kranken Männer und die Frauen und die Kinder zählten über zweihundert." Übersetzt von Pieke Biermann und Ursula-Maria Mössner, Verlag Kein & Aber)

Obwohl ihr Tod mit keinem Wort erwähnt wird, begreifen wir diese "more than two hundred" als Opfer der Bomben, allein durch die Nennung der Zahl.

In dramaturgischer Hinsicht zeigt sich die Suggestivkraft der Aussparung im Meisterwerk Horsie (1932): Das junge Ehepaar Gerald und Camilla beschäftigt das Kindermädchen Miss Wilmarth, dessen Gesicht bis zur Peinlichkeit an ein Pferd erinnert. Während die beiden sich insgeheim über Miss Wilmarth lustig machen, ist diese von deren eleganter Lebensart ganz hingerissen.

Dem Konzept der Aussparung entsprechend schildert der Text ausführlich die Gedanken und Gefühle Geralds, verweigert uns jedoch den Einblick in das Innenleben der Miss Wilmarth: Was in ihr vorgeht, ob sie in gewissen Momenten womöglich den Spott ihrer Dienstgeber ahnt, können wir aus ihrem äußeren Verhalten nicht zweifelsfrei schließen. Und empfinden dadurch ihre Erniedrigung umso schmerzhafter.

Die letzte Farce

Die Substanz und Komplexität eines Romans erreicht am ehesten die Erzählung Big Blonde (1929). Auf den ersten Blick erscheint sie wie die Tragödie einer Blondine, die am quälenden Verschleiß ihrer Jugend, ihrer Liebschaften und ihrer Daseinsfreude zur Säuferin und Selbstmordkandidatin verkommt. Auf den zweiten wie die Tragödie einer gesamten Frauengeneration, für welche die materielle Abhängigkeit von einem Mann der Normalzustand war.

Dorothy Parker starb am 7. Juni 1967 an einem Herzinfarkt. Und lieferte postum ein letztes Engagement und eine letzte Farce. Sie vermachte die Rechte an ihren Werken Martin Luther King, dessen Organisation bis heute davon profitiert. Dafür wollte keiner ihre Urne haben. Sechs Jahre stand sie im Krematorium, 15 Jahre im Büro ihres Anwalts. Erst 1988 wurde sie ebenfalls Kings Organisation übergeben. In deren Hauptquartier ruht sie seitdem im Dorothy Parker Memorial Garden. Die Übergabe hatte im Round Table Room des Algonquin stattgefunden ...

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