Viele Kitas bleiben einen Tag lang geschlossen. Der Streik in Stuttgart aus ganz unterschiedlichen Perspektiven.
Stuttgart - Es ist still am Montagmorgen vor den meisten Kitas in Stuttgart. Rote Schilder verkünden warum: Warnstreik. Zu diesem hat die Gewerkschaft Verdi alle Erzieherinnen und Sozialpädagogen von Betreuungseinrichtungen städtischer Träger sowie erstmals auch der Jugendhausgesellschaften aufgerufen. Für viele Eltern kommt dieser Streik nach der vorangegangenen Corona-Belastung zur Unzeit. Für einen Tag heißt also wieder, eine Notfallbetreuung zu organisieren. Dabei zeigen Untersuchungen des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), dass insbesondere Eltern mit Kindern unter sechs Jahren an Lebenszufriedenheit zuletzt eingebüßt haben.
Die Haltung der Eltern schwankt zwischen Gelassenheit und Anspannung. „Klar ist es ärgerlich“, sagt die Mutter eines 3-jährigen Sohnes aus Stuttgart-Vaihingen. Dort bleibt die Kita in der Robert-Koch-Straße geschlossen. „Es ist schon wieder was, was geregelt werden muss.“ Im Bekanntenkreis habe nun eine Mutter frei genommen und die Betreuung von vier Kindern übernommen. Derzeit seien aber viele Eltern vorbereitet, sagt die Vaihingerin. Sie hätten schon länger besprochen, wie man im Winter bei eventuellen Schließzeiten und Quarantäne-Fällen die Betreuung der Kinder abwechselnd aufteilen könnte. „Zudem sind wir schon Anfang vergangener Woche von unserer Kita informiert worden über den Streikaufruf – wir hatten also Vorlauf, um uns etwas zu überlegen“, sagt die Mutter.
Mehr finanzielle Anerkennung wird gefordert
„Erst systemrelevant – jetzt vom System verbrannt“, steht auf einem Plakat. Hunderte von Demonstrierenden rufen durch die Stuttgarter Innenstadt: „Wir sind hier. Wir sind laut. Weil ihr uns die Kohle klaut.“ Die Pädagogen, die auf die Straße gehen, wollen mehr Geld für ihre Arbeit. „Vom Klatschen kann ich keine Miete zahlen“, hat André Lengning auf sein Schild geschrieben. Der 27-Jährige macht eine Ausbildung in einer städtischen Krippe: „Wir haben von Anfang an an der Front gearbeitet und uns krassen Gefahren ausgesetzt. Klatschen alleine reicht da nicht mehr.“
Die über 2000 als streikend gemeldeten Pädagogen fordern mehr finanzielle Anerkennung für ihre Arbeit. Während des eintägigen Warnstreiks in Stuttgart blieben deshalb von 181 städtischen Kitas 119 ganz geschlossen. Außerdem bleiben auch einige Schülerhäuser und Ganztagsschulbetreuungen zu.
Hunderte von Menschen laufen an diesem Tag begleitet von Trommeln und einem Lautsprecherwagen vom Gewerkschaftshaus zum Schillerplatz. Eine von ihnen ist Sylvia Stöffler. Sie bemängelt die Kompromisslosigkeit der Arbeitgeber bei den letzten zwei Verhandlungsrunden. „Es fühlt sich wie eine schallende Ohrfeige an, dass die letzten zwei Male nicht mal ein Angebot vorgelegt wurde“, sagt die 64-jährige Erzieherin. Dennoch sei die Stadt kein schlechter Arbeitgeber. Stöffler ist dankbar, dass sie streiken kann: „Unser Recht drauf ist ein Privileg – wir kämpfen hier auch für alle anderen.“ Schließlich profitierten auch nicht-städtische Angestellte von den Tarifverhandlungen.
Elke Bruns setzt sich an diesem Protesttag auch für die Belange der Auszubildenden ein. Die 46-Jährige arbeitet schon seit 20 Jahren als Erzieherin, seit einem Jahr im Schülerhaus Stuttgart-Büsnau und findet: „Wir verheizen jetzt schon unsere Azubis.“ Auch sie selbst habe schon Knieprobleme und einen Tinnitus. „Körperlich und psychisch schafft man es nicht bis zur Rente“, sagt Bruns.
Über eine Alternative zu seiner Ausbildung im Kindergarten denkt Joachim Kalitowski bereits jetzt nach. Deshalb holt der 21-Jährige sein Abitur nach, um nach der Ausbildung studieren zu können. „Auch wenn wir bald vielleicht 150 Euro mehr verdienen sollten – das reicht nicht. Aus finanzieller Sicht lohnt sich die Ausbildung nicht“, resümiert der angehende Erzieher. Das Einstiegsgehalt liegt bei rund 2500 Euro brutto. Kalitowski hofft auf das Verständnis der Eltern für den eintägigen Warnstreik: „Wir wollen nicht hier sein – aber wir müssen.“
Die Probleme der pädagogischen Fachkräfte hätten sich durch die Corona-Krise verschlimmert – sie wären dadurch aber auch mehr zum Vorschein gekommen. Diese Meinung vertritt Katalin Elsner, Sprecherin für den Gesamtelternbeirat der städtischen Kindertagesstätten Stuttgart. Die Elternvertretung habe Verständnis für den Streik, die gescheiterten Verhandlungen dürften aber nicht dazu führen, dass Kinder darunter leiden. „Durch die ewig lange Zwangspause sind die Eltern überstrapaziert. Ihnen wurde in den letzten Monaten schon viel abverlangt“, so Elsner. Viele Eltern hätten keine Urlaubstage mehr, um die Betreuung ihrer Kinder selbst zu übernehmen. Außerdem sei aufgrund von Hygiene-Auflagen oft keine Notbetreuung in den Kitas möglich. Die Sprecherin der Elternschaft hofft auf eine schnelle Einigung, rechnet allerdings mit weiteren Streiktagen.
Zwei gescheiterte Verhandlungsrunden
„Wir wollen 4,8 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 150 Euro und 100 Euro für die Azubis“, fasst Cuno Brune-Hägele von Verdi Stuttgart die Forderungen zusammen. Bisher gab es mit den kommunalen Arbeitgeberverbänden zwei gescheiterte Verhandlungsrunden. Brune-Hägele sagt: „Die Kompromissbereitschaft liegt im Moment bei null. Es gibt kein Angebot, nur Vorstellungen hin zu einer Verschlechterung.“
„Wir halten die Arbeitskampfmaßnahmen der Gewerkschaften für völlig überzogen“, sagt hingegen Ulrich Mägde, Präsident der kommunalen Arbeitgeber. Man hätte sich darauf verständigt, bis zur nächsten Verhandlungsrunde ein Angebot zu unterbreiten – daran werde man sich auch halten.
Der Gewerkschafter Brune-Hägele möchte keinen genauen Einblick in die Strategie bis zur dritten Verhandlungsrunde geben: „Wir werden sukzessive vorgehen. Wir haben bis zum 21. Oktober verschiedene Aktionen geplant.“ Vom 22. bis zum 24. Oktober geht die Gewerkschaft Verdi erneut mit den kommunalen Arbeitgeberverbänden in Tarifverhandlungen.
(28.09.2020)
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