Veröffentlicht bei mephisto 97.6 am 14.01.2015 (Audiolink). Nominiert für den CIVIS Medienpreis, ausgezeichnet mit dem Bürgermedienpreis der Arbeitsgemeinschaft der mitteldeutschen Landesmedienanstalt.
Im Waldstraßenviertel ist es wieder ruhig. Zehntausende gingen am zweiten Januarmontag auf die Straße, um zu demonstrieren: Die einen gegen eine angebliche Islamisierung. Die anderen für ein weltoffenes Leipzig. Bis auf wenige Ausnahmen blieb es friedlich. Und doch war an diesem Abend zu spüren, wie tief der Hass bei einigen sitzt. Die Feindbilder aufseiten der LEGIDA sind vielfältig: gegen den Islam, die Ausländer, die Regierung, das System. Der Übergang von enttäuschten Bürgern zu Rechtsextremen ist fließend.
Die Demonstrationen sind vorbei. Was bleibt sind viele Fragen: was treibt die LEGIDA-Anhänger auf die Straße? Woher kommt die Angst vor dem Islam?
In einem Feature gibt mephisto 97.6-Reporter Alexander Moritz einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt der LEGIDA-Anhänger:
LEGIDA - vom Untergang des Abendlandes. Ein Feature von Alexander Moritz.
LEGIDA-Demonstranten: „Wir sind das Volk. Wir sind das Volk. Wir sind das Volk. ..."
Immo Fritsche: „Mir scheint es im Moment darum zu gehen, wer wir eigentlich sind."
Gegendemonstranten: „Haut ab! Haut ab! Haut ab! Haut ab! ..."
LEGIDA-Demonstrant: „Ich hab's satt hier mit den Islamisten die Straße zu kreuzen. Da sind zu viele Ausländer hier. Es muss irgendwo mal ne Bremse gezogen werden."
Johannes Kiess: „Wir wissen aus unseren Studien, die wir seit 2012 durchführen, dass islamfeindliche, ausländerfeindliche, auch gegen Asylbewerber konkret gerichtete Vorurteile sehr weit verbreitet sind in der Gesellschaft. Also es ist nicht so, dass die etwas Neues erfinden würden, sondern die greifen ein Potential auf."
Gegendemonstrant: „Ich bin sehr skeptisch gegenüber dieser ganzen Bewegung, weil bis jetzt, ich hab immer noch nicht so richtig verstanden, was der Inhalt sein soll, ob sie überhaupt einen haben. Und wenn ja, was sie außer Thesen oder Überschriften eigentlich bringen wollen oder können."
LEGIDA - vom Untergang des Abendlandes. Ein Feature von Alexander Moritz.
Waldstraßenviertel. Vor wenigen Stunden waren hier noch 40.000 Menschen auf der Straße. LEGIDA - NoLEGIDA. Ein Riss, der durch die Gesellschaft geht. Jetzt ist alles wieder alles ruhig. Die Unruhe im Kopf bleibt. Wogegen demonstrieren diese Menschen? Und warum tun sie das? Woher kommt die Angst vor dem Islam?
Montag, der 12. Januar 2015. 18 Uhr 30. Parkplatz vor dem Stadion. LEGIDA-Versammlung. „Ganz kurz zu meiner Person: mein Name ist Silvio Rösler und ich bin heute für den Ablauf der heutigen Veranstaltung zuständig. Ich begrüße euch alle ganz herzlich im Namen der Patrioten Europas gegen die Islamisierung des Abendlandes. Wir als Allianzpartner von Dresden als die LEGIDA."
„Wir sind das Volk. Wir sind das Volk. Wir sind das Volk. ..."
„Ich hege gegen Ausländer generell überhaupt keine Abneigungen. Es ist nur so, dass das was in Westdeutschland sich aufgebaut hat im Laufe der Jahre, das ist nicht gesund und das wollen wir hier in Ostdeutschland nicht haben. Also ich selbst habe mit dem Islam kein Problem. Ich sehe nur, dass die Konflikte aus deren Herkunftsländern in unser Land getragen werden, nach Europa getragen werden und das halte ich nicht für gut."
„In meinem Land will ich mich sicher fühlen. Ich kann mich nicht sicher fühlen. Ich wurde hier bedroht, selbst hier vor Ort, bloß weil ich das hier vertreten will, selbst von Passanten angegriffen. Einem älteren Mann wurde die Fahne aus der Hand gerissen und und und. Das sind Sachen, das funktioniert nicht. Ich habe in meinem eigenen Land Angst. Und das kann's nicht sein."
„Heute wird die PEGIDA schlechtgemacht: das sind alles Neonazis. Und ich würde mir das verbieten, mich Neonazi zu beschimpfen. Ich war in meinem Leben in keiner Partei. Aber ich finde das nicht gerecht. Und ich finde auch, dass die Ausländerfrage geregelt werden muss, dass nicht so viele hierherkommen. Die S-Bahn ist ne Frage, wie das bezahlt werden soll. Dort fehlt das Geld. Schulen, Schwimmbäder, Straßen, was weiß ich - überall fehlt das Geld und hier werden Tausende und Abertausende rausgeschmissen."
Gegendemonstranten: „Nazis raus! Nazis raus! Nazis raus! ..."
Jörg Hoyer: „Multikulti: wenn wir aussagen, wir wollen das nicht mehr, richtet sich nicht gegen Menschen. Menschen können weiterhin hierherkommen. Fachkräfte, Asylanten, die in ihrem Land verfolgt werden, und Ähnliche."
Jörg Hoyer, Pressesprecher und Verfasser des LEGIDA-Positionspapiers.
Hoyer: „Das Problem ist, dass die Menschheit seit mindestens 200 Jahren versucht, Kulturen zu vermischen. Das hat nie funktioniert und wird auch diesmal nicht funktionieren. Wir haben nichts gegen Menschen, aber wenn Menschen hierherkommen, dann muss bitteschön ihre Kultur in ihren eigenen Räumen gelebt werden, denn wir leben hier unsere Kultur. Und wenn man etwas vermischen will, dann soll man bitte dem Zeit geben und nicht versuchen, das innerhalb von zwei Generationen durchzupeitschen. Das geht schief."
Johannes Kiess: „Rassismus wird heute meistens kulturalistischer geäußert."
Johannes Kiess, Politikwissenschaftler. Schwerpunkt: Rechtsextremismus.
Kiess: „Das unterscheidet sich von dem klassischen, biologistischen Rassismus insofern, als das man nicht die Hautfarbe oder Gene oder so etwas als Begründung für das Anderssein, das nicht-kompatibel-Sein heranzieht, sondern eben Kultur. Also Dinge, die tendenziell eigentlich veränderbar wären. Allerdings, in diesen Argumentationszusammenhängen wird immer mitgedacht, dass diese Kultur aber nicht veränderbar ist. Also vom türkischen Einwanderer, der muslimischen Glaubens ist, zum Deutschen zu werden, also die Kultur abzulegen, das funktioniert dann doch nicht. Auch nicht in der zweiten oder dritten Generation. Daran zeigt sich eigentlich die Gleichheit dieses modernen Rassismus mit seinem alten Vorbild oder mit seinem Vorgänger."
Hoyer: „Wir sind hier, weil unserer Demokratie in einem jämmerlichen Zustand ist, die Regierung uns nicht mehr versteht, die Abgeordneten lieber auf Golfplätze gehen oder in Gourmetrestaurants, statt sich mal unters Volk zu mischen, viele Menschen Sorgen und Nöte haben, Menschen diffamiert werden, ihre Meinungsfreiheit beschnitten wird. Das sieht man bei dieser Gegendemo. Die stehen halb unter Zwang teilweise da."
Gegendemonstranten: „Say it loud, say it clear: refugees are welcome here! Say it loud, say it clear: refugees are welcome here!"
Hoyer: "Es hat einen Grund, wieso die LEGIDA anders als die PEGIDA behandelt wird, dass ihre Forderungen als rechtsextrem bezeichnet werden. Wir haben dieses Positionspapier in deutscher Sprache geschrieben. Das heißt ohne Verwendung von Anglizismen, Fremdwörtern und Modewörtern. Wir haben ganz einfach so geschrieben, wie auch Goethe geschrieben hat.
Jörg Hoyer, Gutachter für Militärgegenstände. Handelt mit NS-Reliquien, darunter Schuhe eines KZ-Häftlings.
Hoyer: „Wir haben ganz einfach so geschrieben, wie auch Goethe geschrieben hat. Das hat aber nichts mit rechts zu tun. Das hat ganz einfach damit zu tun, dass der Verfasser die deutsche Sprache sehr liebt und auch weiß, was man mit der deutschen Sprache alles machen kann. Das Problem bei uns ist, dass wir eine oder zwei Forderungen darunter haben, vor der die Regierung, das ganze Parteiensystem eine unwahrscheinliche Angst hat. Die Keule des Rechtsextremismus ist das einzige Mittel, die sie noch in der Hand haben. Dazu noch ihre Presse, die im Auftrag schreibt. Und wir wissen mittlerweile, dass es Reporter gibt, die ganz anders schreiben würden, aber nicht dürfen."
Kiess: „PEGIDA haben natürlich das Recht zu demonstrieren, zu sagen, wofür und wogegen sie sind. Aber ihnen muss klar sein, dass die anderen auch das Recht haben. Dass ich das Recht habe, dass Sie das Recht haben, dass jeder Zuhörer das Recht hat. Diese Vorstellung, die die PEGIDA-Demonstranten ganz offensichtlich haben, nämlich, dass sie den Mehrheitswillen ausdrücken und eigentlich das ganze deutsche Volk so denkt wie sie, das ist das eigentlich gefährliche. Dass sie ihre eigene Meinung als eine Mehrheitsmeinung verkaufen wollen, die die anderen halt nur noch nicht ganz verstanden haben."
Gegendemonstrant: „Ich bin gegen Rassismus, ich bin gegen Anti-Islamismus, ich bin gegen Fremdenfeindlichkeit, ich bin gegen jede Form von Vorurteilen. Ich bin einfach gegen Menschen, die nicht gebildet genug sind, um zu merken, dass Menschen, die aus anderen Ländern kommen unserer Kultur bereichern." (Atmo: Straßenkappelle spielt)
Seitenwechsel: Montag, der 12. Januar 2015. 19 Uhr. Waldplatz. Gegendemonstration. Aufgerufen haben Gewerkschaften, Kirchen, Parteien und viele prominente Leipziger.
„... mit über 35.000 Teilnehmern." (Jubel) „Ich denke, dass wir weltoffen und gastfreundschaftlich sein sollten und dass wir viel mehr Flüchtlinge in Leipzig aufnehmen sollten, weil das glaube ich, meiner Meinung nach das Stadtbild wesentlich bunter und angenehmer und schöner für alle macht. Deswegen denke ich, dass es sehr sinnvoll ist, Menschen, die Schutz suchen und vor schrecklichen Dingen, wie Krieg und Verfolgung flüchten bei uns aufzunehmen, weil wir uns das auch auf jeden Fall leisten können."
„Jeder hat ein Recht auf seine Meinung, aber trotzdem sollte man in einer gewissen Art und Weise aufgeklärt sein. Deutschland hat zwar Grenzen, aber die Welt endet dort nicht. Und jeder Mensch ist Ausländer, fast in jedem Land."
„Ja, es sind bei den LEGIDA-Demonstrationen ja viele Leute dabei glaube ich, die sich gar nicht sich so richtig die Positionen anschauen, von dem, was LEGIDA fordert. Die einfach irgendwie ihrer Wut Ausdruck geben wollen. Und denen muss aber ein Zeichen gesetzt werden, mit wem sie da eigentlich mitlaufen. Dass es menschenverachtende Thesen sind, die da aufgestellt werden."
Montag, der 12. Januar 2015. 19 Uhr 45. LEGIDA-Demonstrationszug.
LEGIDA-Demonstrant: „Ich bin nicht ausländerfeindlich, ich bin keine Nazi, aber mich kotzen verschiedene Entwicklungen hier an, die praktisch das Volk ausklammern. Sprich: der Wohlstand driftet immer mehr auseinander, ich bin Rentner, ich merke das ganz deutlich. Meine Tochter arbeitet prekär bei BMW in einem Zulieferbetrieb. Die muss noch als Aufstocker gehen auf's Arbeitsamt, das finde ich eine Schande. Und vor allem: es gibt vieles, was im Programm der Regierung steht, was aber gar nicht angegangen wird. Da wird nur durmrum gelabert. Und ich sag immer: wenn man mal die Zeitungen der letzten zehn Jahre nimmt und würde die mal abarbeiten - das ist immer dasselbe, was da erzählt wird. Und irgendwie stinkt mir das. Und nicht nur mir, in meinem ganzen Umfeld."
Kiess: „Wir haben in den Mitte-Studien schon ein ausgeprägtes Potential von rechtsextremen, also das heißt immer rassistischen und antidemokratischen Einstellungen, bei einer bestimmten Kohorte von Ostdeutschen."
Johannes Kiess, forscht zu rechtsextremen Einstellungen. Mitautor der Mitte-Studie.
Kiess: „Das sind vor allem eher männliche, diejenigen, die in den 70er- und 80er-Jahren geboren sind, die also die Wende selber vielleicht noch nicht ganz aktiv mitbekommen haben, aber durchaus eben die Nachwendezeit, die Versprechungen und Hoffnungen, die da gemacht wurden miterlebt haben und eben auch die Enttäuschungen. Da finden wir vor allem rechtsextreme Einstellungen. Genauso wie wir das in Gesamtdeutschland, vor allem in Westdeutschland, bei den sehr Alten finden, also bei den Kriegsgenerationen. Und das ist schon auffällig."
LEGIDA-Demonstrantin: „Egal woher die kommen. Das hat mit dem Islam überhaupt nichts zu. Oder Muslime oder was weiß ich auch immer das ist. Das betrifft alle. Die sollen sich unseren Gepflogenheiten anpassen. Die sollen genauso arbeiten gehen, genauso Steuern bezahlen, wie ich. Und dann passt das, habe ich kein Problem mit. Aber nicht so! Wo's den eigenen Deutschen fehlt und es gibt selbst Deutsche, die in Armut leben. Kinder, die in Armut groß werden. Hab ich kein Verständnis für."
Fritsche: „Tatsächlich kann man das auch empirisch zeigen, dass wenn Menschen an Bedrohungen denken, dann die Neigung zum ethnozentrischen Denken ansteigt."
Immo Fritsche, Sozialpsychologe an der Universität Leipzig
Fritsche: „Gruppenzugehörigkeit, in der Gruppe zu handeln, erhöht auch das Gefühl von eigener Handlungsfähigkeit, eigener Macht, eigenem Einfluss. Es klingt möglicherweise zuerst nach einer küchenpsychologischen Erklärung, weil das ja auch eine sehr prominente Erklärung ist: schon das Erstarken des Nationalsozialismus wurde darüber erklärt, dass es eine große Wirtschaftskrise gab, es Abstiegsängste gab. Aber das heißt natürlich nicht, dass diese Erklärung falsch ist. Also wir können das empirisch wirklich zeigen, dass es diesen Zusammenhang gibt zwischen Bedrohungsgefühlen und ethnozentrischen Reaktionen."
LEGIDA-Demonstrantin: „Ich weiß jetzt nicht, wie viele Islamgläubige wir hier haben, aber davon sind 400.000 - haben sie gestern gesagt - Islamisten. Die stellen ihren Koran, die religiösen Gesetze über die deutschen Gesetze, über die Gesetze unseres Staates. Da sind 400.000 von denen allerhand ausgehen kann. Das ist doch unmöglich!"
Fritsche: „Das eigene, kollektive „Wir" wird natürlich dann am deutlichsten, wenn es sich abgrenzen kann gegenüber einem „Die", einer Fremdgruppe. Hier wird im Prinzip eine Fremdgruppe geschaffen, die es ja, sagen wir mal physikalisch in vielen Teilen Deutschlands ja gar nicht so gibt, wie hier angenommen wird. Also die „Islamisierung des Abendlandes" findet ja nicht statt. Sie wissen: es gibt unter 1% Muslime in Sachsen. Gleichzeitig ist es ein lang bekannter Befund, dass dort, wo der Kontakt zu Minderheiten ganz gering ist, die Vorurteile am größten sind. Und andersherum auch mehr Kontakt die Vorurteile zu reduzieren hilft. Hier wird im Prinzip eine Fremdgruppe aufgebaut und man könnte vermuten, dass ein Ziel sicherlich ist, dass das „Wir", das eigene, stärker definiert werden soll."
(LEGIDA-Demonstranten singen die deutsche Nationalhymne.)
Montag, der 12. Januar 2015. 20 Uhr 35. Parkplatz vor dem Stadion. Die LEGIDA-Versammlung löst sich auf.
(LEGIDA-Demonstranten singen die deutsche Nationalhymne. Applaus. „Wir sind das Volk".)
Rufe zwischen LEGIDA-Demonstranten und Gegendemonstranten: „Mäh, ihr Schafe, mäh!" (Hundegebell) „Nazischweine! Nazischweine! Nazischweine!"... (zersplitterndes Glas, Pfiffe) (Ode an die Freude)
Montag, der 12. Januar 2015. 21 Uhr. Waldstraße, Hausnummer 18. Aus dem ersten Stock des Gründerzeitbaus kommt Musik: Ode an die Freude. Auf dem Gehweg: eine Reihe Polizisten eskortiert die Reste der LEGIDA-Demonstration zum Hauptbahnhof. Schweigen.
(Ode an die Freude. Menschen gehen vorbei.)
Und jetzt? Wo geht es hin? Wie kann die Gesellschaft mit LEGIDA und all den anderen GIDAS umgehen? Es wird Nacht.
LEGIDA - vom Untergang des Abendlandes. Ein Feature von Alexander Moritz. Es sprachen: Lisa Hofmann und der Autor selbst. Mit Musik von Fatima al Qadiri. Mephisto 97.6 im Januar 2015.
Veröffentlicht bei mephisto 97.6 am 14.01.2015.
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