In Los Angeles scheint die Sonne, und das jeden Tag. Orangenwetter, permanente Pazifikbrise, nichts ist so immerblau wie der Himmel über dem roten Ziegelgebäude einer Kleiderfabrik. Der Schriftzug „Made in Downtown LA" prangt an der Seite des Gebäudes.
Das ist American-Apparel-Country in den Nullerjahren. König Dov Charney regiert das 150 Mio. Dollar-Unternehmen gut gelaunt mit immerhartem Zepter. Sein Volk liebt ihn, denn er ist gut zu ihm. Bei Praktikantinnen und anderen weiblichen Angestellten pocht er zwar auf das ius primae noctis. Aber er zahlt fast das Doppelte vom Mindestlohn, spendiert Massagen in der Produktionshalle und ist hands-on. Er taucht unangekündigt in Filialen weltweit auf, um dort mit dem Maßband die Abstände der Bügel voneinander zu kontrollieren oder um zu checken, ob die Angestellten der Anforderung an Schönheit genügen. „Er wollte, dass ich die weniger Attraktiven nach hinten zum Sortieren ins Lager stecke", berichtet eine Storemanagerin auf Gawker, ohne sich zu empören. Man nimmt es hin. So ist er nun mal, der Dov Charney. Und ohne ihn, weiß man, würde es das alles nicht geben: eine Firma mit tollen Arbeitsbedingungen. Nähfabrik ja, Sweatshop nein. Besonders mexikanische Immigranten finden bei AA etwas, das ihnen anderswo verwehrt ist: Aufstiegschancen, kostenlose Bildungsangebote nach Feierabend, als volle Arbeitskraft und nicht als Einwanderer wahrgenommen zu werden. Charney selber macht sich gegen Abschiebungen stark. Die Shirts, Unterhosen und Cardigans haben kein Logo. Nichts weist auf die Herkunft der schlichten Kleidungsstücke her.
AA ist Familie und gutes Karma. Anleger, die nach mehr suchen als bloß nach einem In-ves-titions-vehi-kel, greifen gern zur American-Apparel-Aktie. Die Marke und ihr charismatischer Gründer sind eine doppelläufige Flinte aus purem Sex. Weiße Wäsche, Dirty Boy.
Doch die seltsamen Geschichten mehren sich. Nach dem Besuch eines Geschäfts in Montreal müssen die Angestellten nach Feierabend mit Charney essen gehen. Im Restaurant herrscht bedrückte Stimmung. Charney setzt alle an einen Tisch in der Ecke im großen Saal, um dann eine Trauerrede zu halten. „Das war der Leichenschmaus eines Onkels oder so von ihm", sagt ein Angestellter von damals. „Er hat uns einfach mit dazugeholt. Wir saßen da den Rest des Abends, völlig verwirrt, wussten nicht, was wir tun sollten." Hinzu kommen Gepflogenheiten, die mehr als nur etwas sonderbar sind. Seine Assistentin Iris Alonzo, die ihn permanent begleitet - „I'm kind of his bitch" -, ist nicht nur angehalten, sich die Augen zuzuhalten, wenn sie ihn morgens aus seinem Apartment abholt und die Mädels der Vornacht an ihr vorbeidefilieren. Zu ihren Aufgaben gehört irgendwann auch, nach Charneys Stuhlgang die Toilettenspülung zu betätigen. Er selbst will das nicht mehr.
Eine Journalistin begleitet Charney eine Weile. Im Magazin „Jane" beschreibt Claudine Ko, wie er mit einer Angestellten für sie in einem Hotelzimmereine nicht näher definierte „Show" abzieht. Eine Woche später holt er bei einem Interview in seiner Wohnung den Penis aus der Hose. Ob er dürfe? Er darf.Entspannt masturbierend spricht er über Geschäftsmodelle. Was Ko nicht davon abhält, ihn ein Jahr später wieder zu interviewen.
Das alles ist wohl oder übel Teil von Dov Charney und damit von AA. Der Laden läuft immerhin. Und tatsächlich wird Charneys Mailbox geflutet mit Bewerbungen von Frauen, die genau wissen, was sie bei AA erwartet - und in vorauseilendem Gehorsam Gewicht und Körbchengröße angeben. Der Vorstand und die Anleger beginnen, sich zu sorgen, als die Klagen wegen Belästigung gegen den Gründer zunehmen. Es soll außerdem Abfindungen gegeben haben, Zahlungen an ehemalige weibliche Angestellte. Zahlungen aus der Firmenkasse.
SMS und E-Mails werden öffentlich gemacht. Viele kratzen sich beim Lesen des digitalen Schriftverkehrs zwischen Charney und weiblichen Angestellten am Kopf und fragen sich, ob der Mann noch ganz gesund ist. Als Nächstes kommt heraus, dass Charney auf dem Firmenserver gigabyteweise Pornos abgelegt hat - in der männlichen Hauptrolle stets Charney selber, in den wechselnden weiblichen Hauptrollen: Praktikantinnen, Assistentinnen, Angestellte aus dem mittleren Management. Peinlich. Mehr als peinlich: Die meisten von ihnen haben bald darauf Beförderungen erhalten.
Der Vorstand zweifelt mehr und mehr an der Geschäftstüchtigkeit des Gründers. Ist Charney für ein börsennotiertes Unternehmen tragbar?
2014 berät man immer hektischer und fahriger: Ja, er hat dann und wann den Penis bei Interviews rausgeholt - aber der Mann ist kompetent. Ohne ihn hätte es das alles hier erst gar nicht gegeben, erinnert man sich mantramäßig. Charney ist ein Symbol, er ist das Logo eines Unternehmens, das sich damit schmückt, ohne richtiges Logo auszukommen. Dov Charney ist mit jeder Faser jedes Sweaters verwoben. Ohne ihn kein AA - oder doch? Kann jemand anderes die Marke so führen wie er? Vielleicht sogar besser? Immerhin ist es doch nur ein Bekleidungsbetrieb mit ein paar zu teuren Extraregeln, und was kann daran so schwierig sein?