Kopernikus Magazin: Warum engagiert ihr euch politisch gegen das, was gerade in Polen passiert?
Artur Sierawski: Weil wir nicht damit eiverstanden sind, was unsere Regierung gerade macht: dass unsere Rechte eingeschränkt werden, unsere Freiheit, dass unsere Verfassung gebrochen wird. Deswegen gehen wir auf die Straße und organisieren Aktionen wie heute. Wir wollen denen zeigen, dass wir dem nicht zustimmen.
Zu euch kamen ein paar Dutzend, vielleicht hundert junge Menschen. Bei den Wahlen stimmten aber hunderttausende junger Polen für konservative und rechte Parteien wie PiS, Kukiz'15 oder KORWiN. Warum mobilisieren die so viele junge Polen?Artur Sierawski: Diese Parteien haben eine sehr radikale Rhetorik genutzt, die bei vielen verfangen hat. Das waren viele Erstwähler, die sich gar nicht mehr daran erinnern, was die PiS in ihrer letzten Amtszeit zwischen 2005 und 2007 gemacht hat. Sie wollten eine politische Veränderung, weil sie genug von dem hatten, was die vorherige Regierung gemacht hat. Die PiS hat diese Veränderungen lautstark versprochen. Aber ich hoffe, das viele junge Polen nun merken, wie gefährlich diese neue Regierung ist und sich uns anschließen.
Weronika Cejner: Die haben einfach keinen Bock auf so etwas. Es ist ja auch viel einfacher, im Internet ein paar unfreundliche Kommentare zu schreiben, als auf die Straße zu gehen. Wobei: das Internet ist natürlich auch eine Form der Öffentlichkeit. Und das ist dann ihre Form des Protests. Das Internet ist ihre Straße.
Mateusz Markowski: Also ich studiere an der polytechnischen Hochschule Warschau und meine Kommilitonen interessieren sich überhaupt nicht für Politik und das, was gerade in Polen passiert. Viele wissen zum Beispiel gar nicht, was das KOD ist. Ich versuche ihnen das dann natürlich zu erklären. Und auch, welche Gesetze die Regierung gerade verabschiedet und welchen Einfluss das auf unser Leben hat.
Mateusz Markowski: Die PiS sorgt dafür, dass die Menschen so tief gespalten sind. Sie unterscheidet Polen Bürger in bessere und schlechtere Sorten und redet von Verrätern und ihren Verräter-Genen. Das vertieft die Spaltung der Gesellschaft.
Monika Nowak-Ruchała: Bei mir ist das so! In der Tat haben wir in der Familie sehr unterschiedliche Ansichten dazu, was in diesem Land passiert. Meine Mutter hat für die PiS gestimmt und sieht gar keine Gefahr für die Demokratie. Ich betrachte da natürlich etwas andere Aspekte. Deswegen bemühen wir uns, nicht über Politik zu sprechen, wenn wir an einem Tisch sitzen. Wenn das Thema aber doch aufkommt, versuche ich ihr zu erklären, was die Regierung tut; dass sie gegen unsere Verfassung verstößt und diese ihnen vollkommen egal ist. Ich habe ich die Hoffnung, dass meine Mutter dadurch ihre Meinung ändert.
(Alle nicken heftig) Monika Nowak-Ruchała: Auf jeden Fall! Wenn man auf die Wirtschaft guckt, geht es unserem Land schon schlechter. Schon nächstes Jahr wird das neue Kindergeld nicht mehr finanzierbar sein. Dann werden die Polen sich sicher aufregen. Und wenn auch noch die Inflation und die Arbeitslosigkeit steigen, gehen sie ganz sicher auf die Straße.
Das wird noch eine Weile dauern. Glaubt ihr, die Situation wird sich in nächster Zeit entspannen oder wird es noch schlimmer?Weronika Cejner: Leider glaube ich, es muss erst schlimmer werden, bevor die Leute dagegen auf die Straße gehen, ganz besonders die jungen Menschen. Aber man darf da eben nicht pessimistisch sein.
Mateusz Markowski: Auf jeden Fall liegt noch viel schwere Arbeit vor uns, bis es wieder besser wird.
Mateusz Markowski: Die ganze Situation wird vor allem in Westeuropa sehr kritisch betrachtet. Das hat einen negativen Einfluss auf das Bild von unserer Gesellschaft als Ganzes. Und auch politisch verschlechtert sich unsere Position in Europa. Verbessert haben wir es jedenfalls nicht besonders.
Mateusz Markowski: Trotz allem sind wir ein Mitglied der Europäischen Union. Deshalb müssen sich andere Ländern natürlich dafür interessieren, was hier passiert. Das hat immerhin auch Einfluss auf sie und die EU als Ganzes. Es ist auf keinen Fall so, dass das nur uns etwas angeht.
Artur Sierawski: Es ist sehr beunruhigend, dass dieser Nationalismus wieder so stark erwacht. Das ist eine Kehrtwende in der Geschichte. Es gibt da Parallelen zur Vorkriegszeit. Auch damals gab es immer mehr nationalistische Regierungen in Europa. Wir sollten uns nur mal daran erinnern, dass selbst Adolf Hitler demokratisch an die Macht gelangt ist, auch wenn er nichts für die Demokratie übrig hatte. Soweit ist es heute natürlich nicht. Aber dieser wiedererwachte Nationalismus, der in vielen Ländern um sich greift, ist sehr gefährlich für uns alle.
Artur Sierawski: Ja gut, aber wir zeigen eine positive Form des Patriotismus. Wir sind keine Nationalisten, die brüllen: „Polen den Polen". Das möchte ich genau trennen. Wir sind junge freundliche Menschen, die sich für ihr Land einsetzen. Wir sind uns der polnischen Geschichte und Traditionen bewusst, brüllen aber nicht irgendwelche rechten Parolen oder wollen uns von der Außenwelt abschotten. Und das ist toll an diesen jungen Menschen hier.
Artur Sierawski: Es wäre natürlich großartig, wenn so etwas entstehen könnte. Aber das braucht Zeit. Die Gesellschaft muss verstehen, was ihr diese Offenheit bringt. Vor allem die jungen Menschen müssen sich bewusst werden, welche Werte ihnen wirklich wichtig sind: „Polen nur für Polen" zu brüllen und alle anderen zu hassen oder eine bessere Heimat für alle zu schaffen.
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