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Von Hitzeinseln zu Stadtoasen

Mobile Bäume, Fiakerduschen und Sprühnebel. Was witzig klingt, sind verzweifelte Versuche, die städtische Sommerhitze zu lindern. Auf Dauer muss sich in der modernen Stadt aber mehr tun, um die Lebensqualität und unser Überleben zu sichern


Das Herz schlägt schneller, die Verdauung verlangsamt sich, das Denken fällt schwer. Wenn der Blutdruck sinkt, die Gefäße sich weiten und sich die Poren öffnen, fließt Schweiß geradezu in Strömen. Wer jetzt nicht mit genügend Flüssigkeit versorgt ist, dem droht ein Hitzschlag. Dann steigt die Körpertemperatur auf 40 Grad Celsius, der Körper dehydriert, das Gehirn bekommt weniger Sauerstoff. "Schließlich versagen die wichtigsten Organe. Das Herz, die Lunge, die Nieren", sagt Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der medizinischen Universität Wien. Hauptsächlich alte Menschen und Kleinkinder sterben an Überhitzung. "Es ist ein leiser Tod von leisen Menschen."

Schon gewusst? So wird das Wetter im Jahr 2050

766 Todesopfer hat die Hitze laut der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) vergangenes Jahr in Österreich gefordert. Bei der Zahl handelt es sich um ein statistisches Modell, das die Korrelation zwischen Todesfällen und Hitze-Extremereignissen misst. Das Ergebnis sollte laut Hutter alarmieren. Und er sieht einen weiteren, besorgniserregenden Zusammenhang: "Hinsichtlich der Hitze ist der urbane Lebensraum in unseren Breiten definitiv tödlicher als der ländliche."


Tödliches Stadtklima

Während die Stadt als Lebensraum immer beliebter wird, wird ihr Klima immer unerträglicher. "Wir gehen schon seit 20 Jahren davon aus, dass sich der Klimawandel am stärksten in der Temperaturänderung manifestieren wird, das heißt im Anstieg der globalen Mitteltemperatur", sagt Michael Hofstätter, Leiter der Fachabteilung Klimasystem und -folgen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG)."Das ist eines der Dinge, die am meisten abgesichert sind in der Klimawandeldebatte, und da sind die Auswirkungen relativ klar: die Temperatur wird in allen Jahreszeiten weiter ansteigen, und vor allem im Sommer ist die Abkühlung in der Nacht geringer." Auch Jürgen Schneider vom Ministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus sagt: "Es ist schlicht und ergreifend so, dass Hitzetage und Tropennächte deutlich zunehmen, und da sind die Städte durch den sogenannten Wärmeinseleffekt deutlich stärker betroffen als ländliche Gegenden. Das hat damit zu tun, dass in Städten besonders viel Fläche versiegelt ist, die sich stark aufheizt." Andererseits sind Städte mit ihrem erhöhten Verkehrsaufkommen, dem Pro-Kopf-Energieverbrauch, dem Konsumverhalten und der Bodenversiegelung selbst hauptverantwortlich für die menschengemachte Klimakrise -ein Teufelskreis, der sich auch beim Wetter zeigt: "Ein weiteres Phänomen des Klimawandels ist, dass wir länger andauernde, sich selbst verstärkende Wetterlagen haben werden, die immer mehr lokal bestimmt sind", sagt Michael Hofstätter von der ZAMG. Überspitzt ausgedrückt: Das Klima in der Stadt von heute bestimmt das Klima in der Stadt von morgen.

Was muss die Stadt der Zukunft also leisten, um den steigenden Temperaturen zu trotzen? Was, um dem fortschreitenden Klimawandel entgegenzuwirken? Wie muss sie aussehen, diese klimafreundliche Stadt?


Internationale Vorbilder

"Idealerweise so wie Singapur", sagt Zukunftsforscher Andreas Reiter. "Diese vertikalen Gärten, die aussehen wie Bäume, sind nur ein Beispiel dafür, was möglich ist, um Kühlung und Beschattung zu schaffen." Um die tropische Stadt weiter herunterzukühlen, sind Windkorridore geplant, die die Seebrise ins Stadtinnere leiten. Die Dächer sollen einen reflektierenden Anstrich bekommen, und Fassadenbegrünungen erreichen in Singapur schon jetzt neue Dimensionen. Aber nicht nur an der Oberfläche zeigt sich die Stadt futuristisch, sondern gerade darunter: "Die Verantwortlichen haben dort eine ganz klare Idee, wie die Zukunft aussehen soll, und verstanden, dass man kluge Strategien finden muss, um die Stadt für die Menschen erträglicher zu machen." In der Planung sind ökologische mit Green-Technologyund Digitalisierungskonzepten vernetzt. Etwas, das auch in Wien möglich wäre: "Wien hat hervorragende Qualitäten, ist eine lebenswerte Stadt und hätte als Smart City die besten Voraussetzungen", sagt Zukunftsforscher Reiter. "Man muss halt aufspringen auf diesen Zug. Ich glaube nämlich nicht, dass so schnell mehr Leute wieder aufs Land ziehen."


Klimanotstand

Allmählich sickert dieses Verständnis auch hierzulande durch. Vergangene Woche ist Innsbruck der niederösterreichischen Stadt Traiskirchen gefolgt und hat per Beschluss den Klimanotstand ausgerufen - eine Kampfansage gegen altbewährte Bauordnungen, Flächenwidmungen und Verkehrskonzepte. "An sich ist dieser Antrag das Zeichen eines politischen Notstands. Wir reagieren politisch zu langsam auf das, was gerade passiert. Dabei lägen Konzepte vor. Der Antrag dient als Selbstverpflichtung", sagt der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi. Er weist darauf hin, dass wir gerade im innerstädtischen Bereich mehr tun müssen, um uns dem Klimawandel anzupassen, um unseren Lebensraum fit für diese Veränderung zu machen und um eine weitere Verschärfung abzuwenden.

Konkret brauche es dafür strengere Vorschriften, um Häuser klimafit zu machen: "Wir müssen aus unseren Häusern entweder Kraftwerke machen, die Photovoltaikstrom produzieren, oder sie begrünen, damit sie kühlen." Derzeit sei Innsbruck zumindest im Bereich des städtischen Wohnbaus Vorreiter: Wohnanlagen werden nur mehr im Passivhausstandard errichtet. "Das ist schon eine Leistung, aber es ist immer noch zu wenig", sagt Willi. Das Verbot von Ölheizungen, wie in Niederösterreich Praxis, wäre genauso anzustreben wie mehr innerstädtisches Grün. "Wir haben viel zu viel versiegelten Raum und den zu entsiegeln, ist eine der Herkulesaufgaben der Stadt. Ich möchte einfach nicht mehr diskutieren müssen, wer Vorrang hat, wenn es um die Verteilung von öffentlichen Flächen geht. Das ist ganz klar der öffentliche Verkehr, der Rad-und Fußverkehr, nicht das Auto."

Doch all das braucht seine Zeit und natürlich auch Geld. "Ich bin ein Freund von Fassadenbegrünungen. Nur: Das ist eine relativ neue Disziplin, die heute viel Geld kostet." Außerdem verlangt sie -insbesondere bei Dachbegrünungen -eine besondere Statik. "Das ist eine nicht ganz schnelle Veränderung. Wo ich das höchste Tempo der Veränderung sehe, ist bei der Mobilität." Der Verkehr ist tatsächlich eines der wichtigsten Themen, die die Stadt der Zukunft in den Griff bekommen muss. Nicht nur, um eine Verstärkung des Klimawandels abzuwenden, sondern auch, um die bereits spürbaren Auswirkungen einzudämmen. "Jedes Auto, das weniger fährt, verursacht weniger Luftverunreinigung, verursacht weniger Ausstoß von klimaschädlichen Gasen, verursacht weniger Stau, verursacht weniger Flächenverbrauch, weil die Fläche nicht versiegelt sein muss, und verursacht damit eben auch wieder weniger Hitze", sagt Jürgen Schneider vom Ministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus.


Ein Blick in andere Städte

Eine Umstellung auf umweltfreundliche Fortbewegung ist laut Schneider unbedingt nötig. "Da ist man in Wien eigentlich schon sehr gut aufgestellt. Man könnte sich aber Konzepte wie in Estland oder Luxemburg überlegen, in denen das ganz gratis angeboten wird", sagt Futurologe Andreas Reiter. "Was den Fahrradverkehr betrifft, hat sich in Wien zwar auch einiges getan, aber da gibt es noch Luft nach oben, man denke an Städte wie Kopenhagen", sagt wiederum Jürgen Schneider. "Und wenn man sich anschaut, dass in Norwegen Inlandsflüge bald auf Elektromotoren umzustellen haben, kann man sich auch was abschauen", sagt Reiter.

Der Blick in andere Städte, um Ideen zum Umgang mit veränderten Lebensbedingungen zu sammeln, ist zwar gut und wichtig, meint Andreas Trisko von der Magistratsabteilung 18 (MA18) - Stadtentwicklung und Stadtplanung, aber sie auch angemessen in Österreich umzusetzen, nicht immer leicht. Die Straßen weiß zu malen - wie in Athen und anderen Mittelmeerstädten bereits Praxis - werde in Wien wahrscheinlich nicht sofort umgesetzt werden, meint er, "aber die Pflasterungen von neuen öffentlichen Plätzen werden immer heller. Längerfristig wird man auch über die Dachlandschaft Wiens nachdenken müssen, ob da wirklich noch dunkle Farben möglich sein werden."


Fassadengrün und Fernkälte

Das wichtigste Konzept, nach dem die Stadtplanung in Wien arbeitet, ist die sogenannte "polyzentrische Stadt", das heißt: "Wir bauen keinen reinen Business District, sondern wir bauen Stadtteile, wo man zugleich wohnen, arbeiten und sich erholen kann. Das ist zum einen sozial gerecht, weil alle rasch und günstig wo hinkommen können, das ist aber auch ökologisch gescheit, weil eben viele Wege einfach in der Aktivmobilität zurückgelegt werden können, also zu Fuß oder mit dem Rad", sagt Trisko.

Gerade im Bausektor gibt es bereits viele innovative Bestrebungen, wie man urbane Lebensräume klimafit gestalten kann. Doch: "Die Errichtungskosten sind bei besonders ökologischen Bauweisen immer ein Totschlagargument. Dabei wissen wir heute, dass die Mehrkosten von Niedrigenergie-oder Passivhäusern schon sehr gering sind und sich innerhalb weniger Jahre amortisieren", sagt Jürgen Schneider vom Nachhaltigkeitsministerium. "Es ist daher wichtig, den Klimawandel in stadtplanerische Notwendigkeiten zu fixieren -und zwar auch in die Ausbildung von Planern, Architekten und Bautechnikern."

Doch selbst dann wird es ohne die künstliche Kühlung von Gebäuden in der modernen Stadt nicht gehen. Derzeit geschieht das in Städten hauptsächlich noch über energieintensive Klimageräte: "Noch nie wurde im Sommer so viel Energie verbraucht wie am Donnerstag, dem 27. Juni 2019", sagt Lisa Grohs, Sprecherin von Wien Energie. "An einem Tag wurde so viel Strom verbraucht wie 14.500 Wiener Haushalte ein ganzes Jahr lang benötigen." Pro Hitzetag werde in Wien mit etwa sechs Prozent mehr Stromverbrauch gerechnet.

Schneider schlägt neben Beschattungsmaßnahmen durch mehr Grünflächen oder an Fassaden vor, Konzepte wie Fernkälte zu forcieren. Wien Energie baut diese Technik derzeit massiv aus. Das Krankenhaus Nord ist bereits an diese Technologie angeschlossen, die sich die bei der Müllverbrennung freiwerdende Energie zu Nutze macht. "Wann immer ich Kühlbedarf habe, sollte zumindest sichergestellt sein, dass der Strom dafür aus erneuerbaren Energien kommt. Da wäre Photovoltaik wunderbar, weil sie im Hochsommer bei viel Sonne natürlich die höchste Ausbeute hat. Da hinkt Wien anderen Städten aber noch deutlich hinterher", sagt Schneider.


Langfristige Planung nötig

Klar ist: Um die Stadt in Zukunft attraktiv zu gestalten, "muss sich erstens die Umgebung Stadt was einfallen lassen", sagt Umweltmediziner Hutter. Cooling Center, wie es das Rote Kreuz zum Beispiel im Shoppingcenter Wien Nord anbietet, eine Wanderbaumallee, wie sie derzeit in der Zieglergasse im 7. Wiener Gemeindebezirk steht, und Sprühnebelanlagen mögen kurzfristig Abhilfe schaffen. "Solche punktuellen Dinge sind natürlich gut, man muss ja irgendwo anfangen. Aber daneben muss man wirklich langfristig planen", sagt Zukunftsforscher Reiter.

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Bis dahin müssen wir schlicht unsere Verhaltensweisen anpassen: "Die Leute verhalten sich häufig noch hitzedämlich. Wir müssen die Gefahr der Hitze ernst nehmen und einfach einmal runterkommen. Wir müssen unsere Tätigkeit anpassen und in bestimmen Berufen über Siestas nachdenken", sagt Hutter. Doch auch dieses Thema verlangt noch ein Umdenken in Politik und Wirtschaft.


Der Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (27/2019) erschienen


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