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Missbrauch: Viele Täter, kaum Verurteilte

Mit 2.334 Fällen von kirchlichem Missbrauch hat sich die Opferschutzanwaltschaft seit 2010 beschäftigt, 1.974 Betroffene erhielten Entschädigungen. Von Verurteilungen ist aber wenig bekannt. Das soll sich jetzt ändern


Sexueller Missbrauch durch Priester oder andere kirchliche Vertrauenspersonen, Machtmissbrauch, Anwendung körperlicher Gewalt, gnadenloses Ausnützen sozial schwacher oder beeinträchtigter Menschen -abscheuliche und traurige Ereignisse, die die katholische Kirche seit vielen Jahren beschäftigen. Und im Moment mehr als je zuvor. Das hat nicht nur mit zahlreichen Fällen rund um den Globus zu tun, bei denen Geistliche involviert sind und die Papst Franziskus zum Handeln genötigt haben.

Sondern auch mit Österreich, wo die Regierung gerade eine Strafverschärfung für derartige Delikte plant und Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn die Debatte durch seine jüngsten Aussagen um das Thema angeheizt hat. Schönborn sprach mit der ehemaligen, in Vorarlberg nach eigenen Aussagen wiederholt durch einen Priester vergewaltigten Ordensfrau Doris Wagner in einem aufsehenerregenden TV-Beitrag über das "Missbrauchssystem in der Kirche" - und er gestand das enorme Ausmaß der Missstände und die Notwendigkeit der Auseinandersetzung damit erstmals persönlich und öffentlich ein.


27,3 Millionen Euro Entschädigung

Dabei ist die Problematik seit Langem unübersehbar: Seit 2010 hat sich die von Kardinal Schönborn initiierte und von der steirischen Ex-Landeshauptfrau Waltraud Klasnic geleitete unabhängige Opferschutzkommission mit 2.334 Fällen von kirchlichem Missbrauch auseinandergesetzt. 1.974 Fälle wurden zugunsten von Betroffenen entschieden. 194 Fälle sind noch in Bearbeitung, 166 Fälle wurden nicht anerkannt. In Summe erhielten die Opfer von der Kirche bislang 27,3 Millionen Euro, davon 21,7 Millionen als Finanzhilfen und 5,5 Millionen Euro für Therapien. Bei 32 Prozent aller Vorfälle handelte es sich um sexuellen Missbrauch. Bei den anderen ging es um Formen von körperlicher bzw. psychischer Gewalt.

"Die Zahl der verurteilten Täter ist im Verhältnis zu den Betroffenen sehr gering"

Auffallend bei dieser Bilanz ist, dass es zwar viele Täter, aber so gut wie keine gerichtlichen Verurteilungen gibt. Diesbezüglich sind nur Einzelfälle bekannt, etwa in Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen im Stift Kremsmünster. Da wurde der ehemalige Konviktsdirektor 2013 zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Das Missverhältnis wird auch kirchenintern zugegeben: "Die Zahl der verurteilten Täter ist im Verhältnis zu den Betroffenen sehr gering", sagt Paul Wuthe,Sprecher der-Bischofskonferenz.Auch wie viele Geistliche tatsächlich vor Gerichten zur Rechenschaft gezogen wurden, ist nicht bekannt. "Weil die Verantwortung für Beschuldigte bei der zuständigen Diözese bzw. Ordensgemeinschaft liegt, gibt es dazu noch kein Gesamtbild", so Wuthe. "Eine derartige Zusammenschau" sei aber in Arbeit und erste Ergebnisse sollten bald vorliegen.


Meiste Vorfälle "rechtlich verjährt"

Warum-das so ist, hat laut Bischofskonferenz und Opferschutzanwaltschaft mehrere Gründe: Die meisten Vorfälle seien "rechtlich verjährt" und hätten sich hauptsächlich in den 1960er Jahren (37,4 Prozent) und 1970er Jahren (31,3 Prozent) ereignet. In den 1980er- und in den 1990er-Jahren haben sich dagegen nur 8,8 bzw. 3,1 Prozent und seit 2000 o,8 Prozent der Fälle ereignet. Sowohl von der Klasnic-Kommission als auch von der Kirche seien der Staatsanwaltschaft Fälle aus der Vergangenheit gemeldet, aber dort wegen Verjährung nicht weiterverfolgt worden. Zudem seien "nicht wenige Beschuldigte nicht eindeutig zu identifizieren oder bereits verstorben".

Die mit renommierten Experten wie der Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs, Brigitte Bierlein, der Präsidentin des Straflandesgerichts Graz, Caroline List, oder Universitätsprofessor Reinhard Haller besetzte Opferschutzanwaltschaft soll dafür sorgen, dass Opfer auch dann entschädigt werden, wenn Straf- und Zivilrecht aufgrund von Verjährungsfristen nicht mehr greifen. Das ändert freilich nichts daran, dass viele Täter mehr oder weniger ungestraft davonkommen von nicht näher definierten kircheninternen Maßnahmen abgesehen. Manchmal wird ihnen der Kontakt zu Schutzbefohlenen oder Minderjährigen untersagt, manchmal sind sie anderswo als Aushilfspfarrer eingesetzt.

Ungestrafte Täter

Auch wenn die Täter nicht mehr in ihrer Position seien, bräuchten sie doch eine Aufgabe, so die in Kirchenkreisen oft verbreitete Einstellung. "Mit der Priesterweihe oder dem Ordensgelübde übernimmt der Abt oder der Bischof lebenslang die Verantwortung für diese Menschen und dafür, dass sie sozusagen Arbeit, Essen und einen Platz zum Schlafen haben", sagt ein Kenner der Materie. Selbst Kardinal Schönborn sagte noch 2010, eine generelle Pflicht, mutmaßliche Missbrauchstäter anzuzeigen, solle es nicht geben außer es sei Gefahr in Verzug.


"In der Vergangenheit wurde zu oft vertuscht"

Dass es deshalb in der Öffentlichkeit immer wieder den Eindruck gibt, die schütze die Täter mehr als die Opfer, kann man auch seitens der Klasnic-Kommission nachvollziehen: "Bis 2010, als vor allem in Deutschland und Österreich die Mauer des Schweigens durch alarmierende Berichte über gravierende Missbrauchsfälle durchbrochen wurde, herrschte weithin eine Unkultur des Wegschauens, Vertuschens und Verharmlosens", sagt Herwig Hösele, Sprecher der Opferschutzanwaltschaft. Ähnlich auch Bischofskonferenzsprecher Wuthe: "In der Vergangenheit wurde zu oft vertuscht, und man meinte, mit der Versetzung des Täter seine angemessene Sanktion zu setzen. Aus heutiger Sicht ist klar, wie fatal sich das für die Betroffenen, aber auch für die Kirche selbst ausgewirkt hat." Seit 2010 habe in Österreich aber "ein Kulturwandel vom Täter zum Opferschutz" eingesetzt, sind beide überzeugt. Spätestens seitdem gelte, dass jedem Verdacht nachgegangen werden müsse mit allen nötigen Konsequenzen im Hinblick auf staatliches Recht und zusätzliche kirchenrechtliche Sanktionen.


Kritiker: Gesinnungswandel geht zu wenig weit

Auch wenn der Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka, heute betont, die Kirche stehe "auf der Seite der Opfer", so geht der Gesinnungswandel Kritikern dennoch zu wenig weit. Etwa was einen möglichen Verjährungsverzicht betrifft. Rechtsanwältin Katharina Braun, die für News den Missbrauchsfall Jack B. analysierte (siehe Kasten), meint zum immer wieder geäußerten Vorwurf, die Kirchewürde Verfahren auch verschleppen, ein solcher wäre "wie bei der Restitution von NS Raubgut" möglich: "Es wäre schon zu diskutieren, dass Verhandlungen mit der Klasnic Kommission eine Verjährungshemmung mit sich bringen."


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