Von Aileen Tiedemann
Las Vegas ist eine Glitzerwelt, surreal und voller Überraschungen. Pomp und Luxus - und der Geruch des schnellen Geldes. Die Stadt in Nevada lockt jedes Jahr Touristen aus aller Welt, einige zum Staunen, andere verspielen ihr ganzes Vermögen bei Roulette & Co.
Die Gardinen des Hotelzimmers öffnen sich per Knopfdruck vom Bett aus. Es ist, als würde sich der Theatervorhang zu einer surrealen Show erheben. Vom 61. Stock des Encore-Hotels sieht man, wie sich Autos lautlos einen schleifenförmigen Highway entlangschieben, in der Ferne Flugzeuge im Minutentakt landen und starten und sich auf einem Golfplatz ein Wasserfall in die Tiefe stürzt. Dahinter erstreckt sich bis zum Horizont nichts als die Wüste. Während langsam die Sonne untergeht, verwandelt sich Las Vegas in einen funkelnden Teppich aus bunten Lichtern. Im Fahrstuhl auf dem Weg nach unten knackt es in den Ohren wie beim Landeanflug in einem Flugzeug. Im Foyer angekommen empfängt einen das Gedudel des Kasinos, draußen der aufgeheizte Asphalt des Las Vegas Boulevards.
Bis Venedig sind es zehn Minuten zu Fuß. Auf dem Strip drängeln sich Stretchlimousinen im Stau, auf dem Fußweg trinken Touristen Cocktails aus Bechern in Form von Eiffeltürmen. Über den nachgebauten Markusplatz im Hotel "The Venetian" erreicht man das Restaurant "Lavo", das einem alten römischen Bad nachempfunden ist. Hier gibt es eine der wenigen Terrassen, die sich wirklich draußen befinden und einen spektakulären Blick auf den Strip bieten. Der Kellner serviert Pasta und zum Nachtisch frittierte Oreo-Kekse.
Gegenüber dem Hotel "Treasure Island" geht alle 30 Minuten ein Piratenschiff in Flammen auf. Öffnet sich die Tür zum Restaurant, zieht es kalt nach draußen in die Hitze der Nacht. Man könnte sagen,Las Vegas sei so fake wie das gestraffte Gesicht des Hotelmoguls Steve Wynn. Oder man genießt den Moment und lässt sich ein auf den funkelnden Wahnsinn um einen herum. Das ist die bessere Entscheidung. Vegas ist eine Stadt, die kein Maß und keine Grenzen kennt, wo Ideen einfach umgesetzt werden - egal wie größenwahnsinnig und verrückt sie sind.
Wie im Hotel "Mandalay Bay". Dort kann man mitten in der Wüste im Meer baden und sich von künstlichen Wellen an den Strand treiben lassen. Rechts ragt die Goldfassade des Hotels in den Himmel, links glitzert das südseeblaue und gechlorte Meer. Wer Fische sehen will, muss sich allerdings wieder ins Innere des Hotels begeben. Dort kann man im Kettenanzug im Shark Reef Aquarium abtauchen. Ein faszinierendes Erlebnis: Umgeben von Haien, Rochen und Meeresschildkröten vergisst man endgültig, dass man in der Wüste ist.
Im Bare Club des "Mirage Hotels" fühlt man sich wie in einem Rapvideo. Busenwunder mit Sonnenbrillen lassen sich durch den Pool treiben - umgeben von Männern mit Bierdosen in der Hand. Zum Schwimmen kommt offensichtlich niemand hierher, dafür wäre das Wasser in dem kleinen Pool auch viel zu flach. Stattdessen ist "European Bathing" erlaubt, was so viel wie Oben-ohne-Baden bedeutet.
Eine Attraktion, die den Besuchern einen Mindestverzehr von 500 Dollar pro Person wert ist. Während hinter dem Zaun im "Dolphin Habitat" Delfine durch die Luft springen und sich die weißen Tiger von Siegfried und Roy in ihrem Gehege räkeln, wummern hier laute HipHop-Beats und aalen sich junge Bodybuildertypen in der Wüstensonne. Abkühlung bringt der kalte Dampf, der aus den Düsen oberhalb der Sonnenliegen dringt.
Im Inneren des "Mirage" ist es wiederum so kalt, dass man eine Jacke tragen muss, damit der aufgeheizte Körper nicht schockgefroren wird. Ob draußen Tag oder Nacht ist, merkt man hier drinnen nicht. Die Lichtstimmung und Temperatur in den Kasinos ist immer gleich, damit niemandem die Lust aufs Spielen vergeht und niemand zu müde wird, um weiterzuspielen. 556 Dollar verspielt ein Tourist durchschnittlich in dreieinhalb Tagen. Zusammengerechnet macht das mehr als sechs Milliarden Dollar Spieleinnahmen pro Jahr für die Stadt, die ständig unter Druck steht, sich mit neuen Superlativen zu übertrumpfen, damit der Touristenstrom nicht abreißt. Themenhotels kommen langsam aus der Mode, Luxus ist im Kommen. Neuestes Projekt ist das "City Center", mit elf Milliarden Dollar das teuerste private Bauvorhaben der USA. Mitte Dezember wird die "Stadt in der Stadt" im Zentrum von Las Vegas eröffnet. In den sieben glitzernden Wolkenkratzern, die aussehen wie ein Mini-Manhattan, werden sich dann 7000 Hotelzimmer, Luxusapartments und Kasinos befinden.
Zum dauerhaften Leben eignet sich die Luxusoase aber nicht. Einen Supermarkt sucht man hier vergebens, dafür hat man direkten Zugang zur Shoppingmall, Luxusrestaurants, Kunstgalerien und der neuen "Cirque de Soleil"- Show über das Leben von Elvis Presley. Las Vegas weicht das Gefühl für die Realität auf. Beim "Dinner In The Sky" sitzt man an einem Tisch,der in 50 Metern Höhe an einem Kran hängt.
Der Wüstenhimmel färbt sich rosa, während Doug, ein Animateur mit schwarz gefärbtem Haar, dafür sorgt, dass sich hier oben alle gut verstehen. Er klatscht in die Hände und ruft: "You guys are awesome!", während die Gäste einfach nur dasitzen und ihre Füße in der Luft baumeln lassen. Jack und Linda aus Wisconsin haben gerade geheiratet. "Applaus bitte!", fordert Doug. Matt aus Boston feiert seinen 21. Geburtstag. "Ein Ständchen!" Hier oben hat jeder ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Weil alle so meilenweit vom Alltag entfernt sind. Das Essen wird zur Nebensache, wenn man spürt, wie sich der Tisch langsam im Wind dreht und das nächtliche Las Vegas unter einem erwacht.
Elvis-Imitatoren posieren mit Touristen für FotosIn der Fremont Street in Downtown Las Vegas erhellt Neonreklame längst vergangener Zeiten die Nacht. Der zwinkernde Marlboro-Cowboy und das funkelnde Hacienda Horse des gleichnamigen Hotels erinnern an die alten Tage von Las Vegas, als Frank Sinatra im "Golden Nugget" Poker spielte und Kasinos nur in Abendgarderobe betreten werden durften.
Hier wirkt Las Vegas so lebendig wie sonst nirgendwo. Elvis-Imitatoren posieren mit Touristen für Fotos, und Bands treten unter freiem Himmel an der Fußgängerpromenade auf. Eine echte Seltenheit für Vegas, wo sich das Leben hauptsächlich in den künstlichen Welten der klimatisierten Megahotels abspielt. Ein weiteres Wahrzeichen des alten Las Vegas ist das Ortschild am Eingang der Stadt. "Welcome to Fabulous Las Vegas" steht auf dem blinkenden Schild, das in in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag feiert. Eine lange Zeit für eine Stadt, die selbst gerade erst 104 Jahre alt ist.
Um ein Uhr morgens drängeln sich Mädchen in ultrakurzen Kleidern auf stelzenartigen Schuhen vor dem Nightclub XS im "Encore"-Hotel. Türsteher sprechen in das Mikro in ihrem Revers und heben die Kordel, um stoßweise Gäste einzulassen. Im Inneren des XS bleibt einem erst mal der Mund offen stehen. In dem 100 Millionen Dollar teuren Club lassen Tänzerinnen in goldenen Paillettenkleider ihre Hüften kreisen, die Tanzfläche reicht bis zum kreisrunden Außenpool, dahinter glänzt die bronzefarbene Fassade des "Encore"-Hotels. Nicky Hilton schiebt sich durch die Menge.
Auf dem Frauenklo wird man angeleitet wie in einem FlugzeugSie sieht aus wie alle anderen hier: Ihr Haar ist geglättet, sie trägt ein trägerloses Stretchkleid und High Heels. Auch die Männer machen beim Körperkult mit: Statt aufgepumpter Brüste wölben sich unter ihren engen T-Shirts stählerne Oberarme. Auf dem Frauenklo wird man angeleitet wie in einem Flugzeug. Eine Dame weist einem eine Toilettenkabine zu, die nächste reicht Seife und Handtücher.
Vor einer riesigen Spiegelfront zupfen sich beschwipste Mädels ihre Kleider zurecht. Fast alle hier haben etwas zu feiern. Egal ob Collegeabschluss, Junggesellenabschied oder Hochzeit. Geld spielt deshalb keine Rolle. Wodka kostet 400 Euro pro Flasche, Kellner verdienen bis zu 100.000 Euro im Jahr. Auf der Tanzfläche wirft tatsächlich jemand mit Geldscheinen um sich. Wie in Zeitlupe flattern die Dollarnoten durch die Luft, und man fragt sich, ob das alles noch real ist.
Ein Gefühl, das sich auf dem Rückweg zum Hotelzimmer durchs Kasino fortsetzt. Um fünf Uhr morgens erlebt man hier einen Rausch aus Farben, Lichtern und Tönen. Die Muster der Teppiche machen einen schwindelig, Brautpaare und Elvis-Double torkeln vorbei, Männer im Hawaiihemd sitzen vor einarmigen Banditen, man hört Jubelschreie, blickt gleichzeitig in fassungslose Gesichter, sieht, wie sich die Rouletteteller unaufhörlich drehen. Zurück im Hotelzimmer ist es eigenartig still. Ein letzter Blick durchs Fenstera aufs Glitzerpanorama, dann fallen einem die Augen zu.
Am nächsten Tag im Flugzeug auf dem Heimweg blickt eine junge Frau müde aus dem Fenster.Sie sei für einen Tag und eine Nacht nach Las Vegas gekommen, um zu spielen. Keine Sekunde habe sie geschlafen. Jetzt sitzt sie da und sagt leise: "Ich habe alles verloren, alles." Unter ihr verschwindet langsam Las Vegas. Dann sieht man nichts mehr als die endlose Wüste.