Plötzlich ging alles ganz schnell: Aufgrund der weltweiten Black- Lives-Matter-Proteste nach dem Mord an George Floyd zogen Run The Jewels die Veröffentlichung ihres weithin erwarteten vierten Albums ein paar Tage vor. Und lieferten damit den Sound zu diesem unglaublichen historischen Moment.
Wer sonst könnte so präzise, so passend, so wahrhaftig für die Wut und die Diskurse dieser Tage stehen wie Killer Mike und El-P? Zwei Indie- Rapper, die im Dämmerlicht ihrer Karriere mit Ende dreißig plötzlich doch noch auf die ganz große Bühne rollten? Aber ihre Underground-Attitüde mit immer auch politisch gefärbten Lyrics und glitchy Produktion irgendwo zwischen Crate-Digger-Passion und Oldschool-Treue kein bisschen abschwächen ließen?
Aus der Chemie zwischen den beiden so ungleichen Rappern ist eine Einheit gewordenNein, es ist wohl einer dieser Winke des Schicksals, dass dieses schon seit 2018 angekündigte Album genau jetzt veröffentlicht werden sollte, die letzten Samples genehmigt wurden. Wie schon ihre vorherigen Alben verschenkten sie es online - mit der Bitte, doch beim Download einer Vereinigung zu spenden, die politischen Aktivist*innen Anwälte und rechtliche Beihilfe zur Seite stellt.
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Es ist aber auch kein Zufall, dass genau dieses Album ihr Meisterwerk geworden ist: aus der Chemie zwischen den beiden so ungleichen Rappern ist mittlerweile eine Einheit geworden. Die predigerhafte Delivery von Killer Mike und die überdrehte Verschwörerpersona von El-P sind aufeinander abgestimmt, wechseln sich ab, können so lässig eine überzeichnete Komödie zweier Gangster erzählen wie auch schmerzhafte Themen beackern.
Eine Hommage an das goldene Zeitalter des HipHopUnd all das eingerahmt von allen Samples, die sie sich je hätten wünschen können - und sich endlich leisten können, wie zum Beispiel „DWYCK" von Gang Starr oder „Ether" von Gang of Four. Daraus hat El-P mit den Co-Produzenten Little Shalimar und Wilder Zoby einen zeitlosen Sound gebaut, der wenig mit aktuellen Strömungen zu tun hat. Eher ist es eine Hommage an das goldene Zeitalter des HipHop, ohne aber dabei je in peinliche Nostalgie zu verfallen.
Aber so gut die Produktion auch ist, es sind dann doch die Lyrics, die bei Run The Jewels im Vordergrund stehen. Und hier spiegeln sie immer wieder geradezu unheilvoll die letzten Wochen: „The same moment in history came back to haunt us", rappt El-P auf „Pulling The Pin". Eine Line, die auf so vielen Ebenen passt, wo doch Killer Mike einige Songs zuvor auf „Walking In The Snow" dem Hörer wütend entgegenwirft: „You watch the cops choke out a man like me until my voice goes from a shriek to whisper, ‚I can't breathe'". Es ist nicht zu fassen, dass diese letzten Worte Eric Garners, der 2014 durch Polizeigewalt zu Tode kam, wieder durch den Mord an George Floyd brandaktuell klingen, als hätte Killer Mike bei den Aufnahmen des Tracks 2019 in die Zukunft geblickt.
Die Verzweiflung ist einem Kampfeswillen gewichenEs ist diese Wut, es ist dieser unbedingte Wille, Gerechtigkeit zu erlangen, die Run The Jewels auf Albumlänge destilliert haben und das macht den Unterschied zu den Vorgängeralben aus. RTJ3 schwankte immer an der Kippe, nah dran, sich in der Hoffnungslosigkeit der Zustände zu verlieren. Auf RTJ4 ist die Message klarer, die Verzweiflung einem Kampfeswillen gewichen. Das hier ist Empowerment in Reinstform.
Da wäre zum Beispiel das Stück „Ju$t": „Look at all these slave masters posin' on yo' dollars", rappt ausgerechnet Mainstream-Darling Pharrell Williams. Als sie ihn anfragten, hatten sie eher poppige Zeilen von ihm erwartet, erzählte Killer Mike in Interviews, und keinen Chorus, der die Verstrickung zwischen Kapitalismus und Rassismus analysiert. Aber Run The Jewels schaffen einen Raum, der es erlaubt, den aufgestauten Frust rauszulassen. Auch einem Pharrell.
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Wem es schwerfällt, die Bilder aus den USA und die Wut schwarzer Communities auch in Deutschland zu verstehen, dem sei insbesondere das letzte Stück „A Few Words To The Firing Squad (Radiation)" ans Herz gelegt. Nirgendwo zeigen sich Killer Mike und El-P musikalisch ambitionierter und destillieren ihre Mischung aus Persönlichem und Gesellschaftlichem, Pop und Politik besser heraus. Und am Ende ist genau das doch das große Versprechen von HipHop, wie es Chuck D einst formulierte: „black man's CNN". Es täte uns allen gut, diese Geschichtsstunde ernst zu nehmen.
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