Von Agatha Mazur
Eurovision Song Contest, Europaspiele in Baku: Rückt Aserbaidschan seit diesen Veranstaltungen näher an Europa?
Nein, es ist sicherlich nicht näher an Europa gerückt, sondern es ist eher das Gegenteil eingetreten. Nach dem Eurovision Song Contest ist es zu einer deutlichen Verhärtung des politischen Systems gekommen - mit Schauprozessen gegen Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und zivilgesellschaftliche Organisationen.
Warum richtet Aserbaidschan diese Großveranstaltungen überhaupt aus?Aserbaidschan tritt seit einigen Jahren hervor mit einer enormen „Public diplomacy". Public diplomacy bedeutet hier, dass Aserbaidschan versucht, sich mithilfe solcher Großveranstaltungen wie dem Eurovisionsspektakel wie auch den europäischen Sommerspielen in die Weltpresse zu bringen. Aserbaidschan ist sehr daran gelegen, sich nach außen darzustellen als Land, das Modernisierungsprozesse durchläuft und das sich nach außen hin öffnet. Nur eines wird dabei von der Regierung in Baku nicht bedacht: Nämlich dass solche Versuche immer auch von kritischen Tönen begleitet werden und die Frage provozieren: Was steckt hinter der Fassade? Es kommt immer wieder zu denselben Mechanismen: Aserbaidschan bringt solche Veranstaltungen ins Spiel, von der westlichen Presse wird kritisch berichtet und „hinter die Fassaden" geschaut. daraufhin wehrt sich Aserbaidschan gegen diese „Verleumdungen", die immer dargelegt werden als „gesteuert von Feinden" wie den Armeniern oder islamophoben Kräften. In Aserbaidschan sind die Medien weitgehend staatsgeleitet. Man sieht dort offenbar nicht, dass das in der westlichen Welt anders ist, dass man dort die Berichterstattung nicht steuern kann.
Was denken die Bürger: Würden sie gern näher an Europa sein?Aserbaidschan positioniert sich zwischen Russland und Europa. Es legt Wert darauf, einen unabhängigen Kurs zu fahren und neutral zu bleiben - anders als Georgien, das sich sehr stark nach Westen ausrichtet, oder Armenien, das sich der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft unter Führung Russlands angeschlossen hat. Dieser Kurs wird von der Mehrheit der Bevölkerung auch getragen, ist meine Einschätzung.
Wie ist das aktuelle Verhältnis zwischen Aserbaidschan und der Europäischen Union?Im Moment eher angespannt. Weil aus Europa nun doch auch endlich mal Kritik an den politischen Verhältnissen in Aserbaidschan kommt! Lange hat man Europa den Vorwurf gemacht, mit zweierlei Maß zu messen: sich gegenüber Weißrussland - als gewissermaßen der letzten Diktatur in Europa - ziemlich klar zu positionieren, was Kritik an den politischen Verhältnissen betrifft, sich bei Aserbaidschan aber zurückzuhalten, weil man das Land klar als strategischen Energiepartner sieht. In letzter Zeit sind aber auch aus Europa und den USA viel kritischere Töne gekommen. Es hat zuletzt sogar eine Überlegung im Europäischen Parlament gegeben, ob man nicht doch Sanktionen gegen einzelne Akteure in Aserbaidschan verhängen sollte, die für diese Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Daraufhin hat es wieder eine äußerst beleidigte Reaktion aus Baku gegeben. Im Moment gibt es da einen Austausch, der nicht für Annäherung spricht.
Aserbaidschan ist Mitglied im EU-Projekt „Östliche Partnerschaft", bei dem man mit den Ländern am östlichen Rand der EU politisch, aber vor allem wirtschaftlich verstärkt interagieren möchte. Was hat die östliche Partnerschaft erreicht?Was eben nicht erreicht worden ist, ist eine Verbesserung des politischen Klimas, denn das hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Insofern ist Aserbaidschan mittlerweile im Partnerschaftsraum der EU zum Sorgenkind Nummer 1 geworden - noch vor Weißrussland! Natürlich ist Aserbaidschan immer noch Mitglied in diesem europäischen Partnerschaftsraum, aber es gehört zu den Ländern, die eindeutig klar machen, dass sie nicht die Mitgliedschaft in der EU anstreben.
Und das Verhältnis zwischen Russland und Aserbaidschan?In letzter Zeit hat es eine Reihe von Staatsbesuchen von Russland in Aserbaidschan gegeben. Man spekuliert darüber, dass es einen Annäherungsprozess gibt. In dem Maße, wie Aserbaidschan bei seinen westlichen Partnern auf (berechtigte!) Kritik stößt, könnte es sich Russland zuwenden. Denn Russland präsentiert sich als eine Anlehnungsmacht für postsowjetische Regierungen, die sich von westlicher Kritik an ihrer Menschenrechtspolitik in irgendeiner Weise bedrängt sehen. Russland spricht sich kategorisch gegen jedwede Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten aus - eben auch gegen Kritik an repressiven Maßnahmen staatlicher Akteure. Und genau diesen Standpunkt vertritt auch Aserbaidschan. In Russland versucht man sogar, Aserbaidschan für einen Beitritt zur Eurasischen Wirtschaftsunion zu gewinnen. Da hält sich das Land bislang aber noch zurück. Der Außenminister hat dem Vorschlag zwar keine kategorische Absage erteilt, allerdings sehe ich hier nicht, dass Aserbaidschan diesen Weg gehen wird.
Am 1. November finden Parlamentswahlen statt: Versprechen Sie sich davon eine Veränderung? Die OSZE ist ja nicht vor Ort, da Aserbaidschan die Bedingungen nicht akzeptieren wollte.Nein, man geht davon aus, dass diese Wahlen wie gewöhnlich verlaufen, nämlich nicht als freie und faire Wahlen. Sondern als Wahlen, bei denen der Ausgang klar ist: Nämlich die Kontinuität der amtierenden Machtelite zu sichern.
Reporter ohne Grenzen listet derzeit einen getöteten und acht inhaftierte Journalisten auf. Erst kürzlich wurde die Journalistin Khadija Ismayilova zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Wie sehen Sie die Entwicklung der Pressefreiheit? Müssen Reporter immer mehr Angst haben?In den letzten zwei Jahren ist der Prozess eindeutig in diese Richtung gegangen. Es gibt eine klare Verschlechterung bei der Pressefreiheit. Doch man muss dazu sagen: Auch wenn die wesentlichen Medien staatsgelenkt sind, gibt es das Internet, das von mehr als 60 Prozent der Bürger genutzt wird - und dort gibt es „Ecken der Meinungsfreiheit", die der Staat nicht komplett unter Kontrolle hat.
Im Internet und in den sozialen Medien fing ja auch der „arabische Frühling" an. Wie hoch stehen denn die Chancen auf einen „politischen Frühling" in Aserbaidschan?Der arabische Frühling ist aus der Sicht der aserbaidschanischen Bevölkerung eher abschreckend, wenn man sieht, was aus der Bewegung geworden ist. Und es ist ja eins der Hauptargumente des Regimes, dass es Stabilität wahrt. Ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung nimmt diese Botschaft auch auf und folgt dieser paternalistischen Auffassung, wonach das Regime für die Gesellschaft wie Eltern für ihre Kinder sorgt und verantwortlich für wirtschaftliche und politische Stabilität ist. Und ähnlich wie Putin konnte auch die Aliyev-Dynastie von dem Wirtschaftswachstum profitieren, das sich in den letzten Jahren entfaltet hat. Die Botschaft, die an die Bevölkerung geht, lautet: Lieber keine demokratischen Experimente! Und bei einem Teil der Bevölkerung verfängt diese Botschaft auch. Doch umso mehr stellt sich die Frage: Warum agiert das Regime so repressiv, wenn in freien Wahlen nicht unbedingt befürchten müsste, abgewählt zu werden? Das Regime hat immerhin durch die wirtschaftliche Entwicklung doch eine gewisse Outputlegitimität. Kann es sich nicht etwas liberalere Verhältnisse leisten?
Aserbaidschan wirbt zurzeit verstärkt um Touristen. Was steckt dahinter?Aserbaidschan ist zu recht darum bemüht, sich bekannt zu machen. Immerhin ist es die erste säkulare Republik in der islamischen Welt gewesen, hat also schon sehr früh einen Modernisierungsprozess durchgemacht. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war Baku eine multikulturelle Stadt. Da ist es absolut berechtigt, sich als Tourismusziel anzubieten. Generell kommen ja mittlerweile mehr Touristen in den kaukasischen Raum, auch nach Georgien. Aber es kommt noch ein wichtiger Gesichtspunkt hinzu: Für Aserbaidschan ist es absolut ausschlaggebend, von der hohen Abhängigkeit im Energieexport wegzukommen und die Wirtschaft auf eine breitere Grundlage zu stellen! Und da ist der Tourismus natürlich ein wichtiger Sektor.
Leidet Aserbaidschan denn unter dem niedrigen Ölpreis?Die Regierung hat immer behauptet, dass es nicht davon betroffen sei, aber es sieht natürlich anders aus. Es hat eine drastische Abwertung der Währung gegeben. An einem einzigen Tag wurde der Manat von der aserbaidschanischen Zentralbank abgewertet, und zwar um 33,5 Prozent! Das hat in der Gesellschaft natürlich auch entsprechende Schockwirkung gezeigt, weil viele Wirtschaftsaktivitäten gewissermaßen „dollarisiert" sind, etwa der Erwerb von Immobilien. So rosig sieht es mit der Wirtschaftssituation nicht aus, auch wenn die Regierung immer wieder behauptet, man habe ja keine Probleme. Wirtschaftsexperten sprechen von einer Wende: die Zeit der gigantischen Wirtschaftsraten, die zwischen 2006 und 2008 ja bei 20 Prozent lagen, ist vorbei.
Gibt es etwas, was Sie in Aserbaidschan besonders fasziniert hat?Was mich bei meinen Reisen beeindruckt hat, ist die multikulturelle und multireligiöse Landschaft. Ich habe eine jüdische Gemeinde in Quba besucht, die mir deutlich zu verstehen gegeben hat, dass sie sich hier zu Hause fühlt. Aserbaidschan sticht auch deshalb hervor, weil hier Sunniten und Schiiten weitgehend friedlich zusammenleben, teilweise dieselbe Moschee benutzen und auch manchmal sogar nicht wissen, wo genau denn der Unterschied besteht zwischen den beiden Strömungen - während es in anderen Regionen ja blutige Konflikte zwischen den beiden islamischen Varianten gibt. Umso bedauerlicher, dass dieses Bild von Toleranz und Pluralität sich nicht in der gegenwärtigen politischen Kultur des Landes widerspiegelt.
Wie kam es denn zu dieser Toleranz, was andere Kulturen und Religionen betrifft? Was hat Aserbaidschan anders gemacht als andere Länder?Es gab in den vergangenen Jahrhunderten durchaus auch in Aserbaidschan religiöse Auseinandersetzungen. Aber nachdem das Land im 19. Jahrhundert ins russische Zarenreich eingegliedert wurde, gehörte es zu den muslimischen Teilen des Zarenreiches, die sich am frühesten modernisiert haben.
Meine letzte Frage, Herr Halbach. Europa? Euroasien? Welchem geografischen Raum ordnen Sie Aserbaidschan zu?Aserbaidschan sieht sich selbst als eine Nahtstelle zwischen Europa und dem vorderen Orient, zwischen Kaukasus und dem weiteren kaspischen Raum, sprich Zentralasien. Es hat sich immer wieder als eine solche Nahtstelle dargestellt und ich würde das auch so unterstreichen.
Im September war ich eine Woche auf einer Pressereise in Aserbaidschan. Ein spannendes Land, mit dem ich mich intensiver beschäftigen wollte. Herausgekommen ist die Serie:Teil 1 Teil 2 - Die Bloggerin: Arzu Geybulla ist Freelancerin. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und wurde wegen ihrer kritischen Berichterstattung bedroht und angefeindet. Mittlerweile lebt sie in der Türkei. Was denkt sie über Aserbaidschans Beziehung zu Europa und was wünscht sich die junge Journalistin für ihr Heimatland?Teil 3 - Lifestyle: Essen & Trinken in Aserbaidschan, welche Anfängerfehler man am Tisch nicht begehen sollte und was meine touristischen Highlights in Baku warenTeil 4 - Streitfrage: Darf man in Länder reisen, die Menschenrechte verletzen?- Analyse: Interview mit Kaukasus-Experte Uwe Halbach über die politischen Entwicklungen in Aserbaidschan. Wo will das Land hin: Europa? Russland? Oder möchte es sein eigenes Ding machen? Zum Original