Adrian Arab

Journalist (Wirtschaft, Mobilität, Technologie), Berlin

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Wettbewerb: Bei der Kanzlerwahl fühlen sich Bewerber hintergangen - WELT

Deutschland

Die Jungen Unternehmer Bei der Kanzlerwahl fühlen sich Bewerber hintergangen

Die Jungen Unternehmer haben junge Leute zu einem Wettbewerb für eine höhere Wahlbeteiligung aufgerufen. Doch ein erfolgreicher Kandidat ist Mitarbeiter eines Jurymitglieds. Ein Vorwurf steht im Raum.

Rio Reiser wollte auch schon mal Bundeskanzler werden - zumindest textete der inzwischen verstorbene Sänger das in seinem 1986 erschienenen Song „König von Deutschland", denn „was der Kohl da kann, das kann ich auch". 21 Jahre später muss man nicht mehr singen, um diesen Wunsch zu verkünden. Wer heute „Germany's Next Bundeskanzler/in" (GNBK) werden will, muss zwischen 18 und 25 Jahre alt sein, Interesse an Politik mitbringen und Videos schneiden können - oder jemanden kennen, der das kann.

Dann kann er sich dem gleichnamigen Wettbewerb stellen, den die Jungen Unternehmer, ein Interessensverband für Selbstständige im Alter bis 40 Jahre, rund vier Monate vor der Bundestagswahl ausgerufen haben. Die Jungen Unternehmer befürchten, dass die Wünsche junger Menschen von der Politik nicht ausreichend berücksichtigt werden, und es geht darum, eine niedrige Wahlbeteiligung junger Bürger zu verhindern - zumal die Generation unter 30 lediglich 15,4 Prozent der Stimmen stellt.

Verwiesen wird auf die schlechten Erfahrungen beim Brexit-Referendum in Großbritannien, nach dem viele Junge bereuen, nicht zur Wahl gegangen zu sein. Zudem auch die Abstimmung über die Verfassungsänderung in der Türkei und die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. In Deutschland kritisieren die Jungen Unternehmer die Kosten der Rente ab 63 und das geringe Interesse älterer Menschen am technischem Fortschritt . „Ältere schützen den Status quo", meint der Vorsitzende Hubertus Porschen. Durch den Kanzlerwettbewerb soll letztlich symbolisch ein junger Mensch gewählt werden, der die „Stimme der jungen Generation" ist. So steht es in der Beschreibung.

Normalerweise setzt sich der 1500 Mitglieder starke Verband der Jungen Unternehmer ein für soziale Marktwirtschaft, Freiheit, Eigentum, Verantwortung - und Wettbewerb. Nun kritisieren aber einige Teilnehmer, dass dem Wettbewerb die Fairness abhandengekommen sei. Vetternwirtschaft lautet der Vorwurf - sie befürchten, ein Kandidat könne erhebliche Vorteile haben, weil er bestens mit dem Hauptjuror vernetzt sei.

Um dies beurteilen zu können, muss man zunächst Bedingungen und Ablauf kennen. Der GNBK-Gewinner soll 10.000 Euro als eine Art Stipendium erhalten. Geld für Ausbildung, Studium oder Weiterbildung. Die Summe stammt aus dem Verbandsbudget und Spenden. Alle Bewerber qualifizieren sich mit einer Kurzbeschreibung und jeweils drei kurzen Videos, in denen sie ihre erste Amtshandlung als Kanzler beschreiben, drei Herzensanliegen für ihre politische Laufbahn benennen und zuletzt einen Politiker ihrer Wahl interviewen.

Über das Weiterkommen entscheidet die Onlinecommunity. Jeder, der einen Internetzugang hat, kann seinem Favoriten seine Stimme geben. Die fünf bestplatzierten Kandidaten werden dann zum Finale nach Berlin eingeladen. Dort werden sie laut Webseite „rhetorisch und medial fit für die Politik gemacht" und treffen auf eine vierköpfige Jury. Die entscheidet schließlich über Platz eins.

Die guten Kontakte des Erstplatzierten

Von der Politikverdrossenheit junger Menschen ist bei GNBK in der Tat keine Spur. Zumindest mangelt es nicht an Vorschlägen, was sich in der Politik ändern müsse. Während ein Teilnehmer am liebsten alle Minister entlassen würde, nimmt der 23-jährige Kandidat Julius Freund die Sache ernster. Mit rund 1000 Stimmen führt er aktuell. Er nennt sich selbst „FREUNDlich, Energetisch, Effektiv". Seine Vorbilder seien Al Gore und Leonardo DiCaprio, seine Vision „nachhaltige Investitionen in erneuerbare Energien".

Allerdings hat Freund seine Selbstbeschreibung so kurz gehalten, dass sie ein wichtiges Merkmal seiner Kandidatur verschweigt. In seinem Wahlaufruf bezeichnet er sich als Student. Wer aber seinen Namen im Internet sucht, stößt unter anderem bei YouTube auf ein Mitarbeitervideo der Firma App Arena - dort arbeitet der Kölner als Account Manager.

Auch auf seinem LinkedIn-Profil gibt er diese Stelle an. Dass er da nicht gerade wie ein bedürftiger Student wirkt, ist aber nur ein Teil des Problems. Das andere: Geschäftsführer der Firma, für die Freund arbeitet, ist just Junge-Unternehmer-Chef Hubertus Porschen, einer von vier Jurymitgliedern in der letzten Runde. Soll also Porschen am Ende entscheiden, ob sein Mitarbeiter ein Weiterbildungsstipendium erhält?

Schwer vorstellbar, dass die Bewertung komplett objektiv wäre. Immerhin zeigen sich auf der App-Arena-Facebook-Seite Porschen und Freund beim Yoga. Bis Mitte voriger Woche gab es keinen Anhaltspunkt dafür, dass Porschen diese Verbindung anrüchig findet. Erst auf Nachfrage der WELT ließ er ausrichten, dass er seinen Juryplatz abgeben würde, sofern sein Mitarbeiter ins Finale einziehen sollte. Auf der Website des Wettbewerbs steht davon noch nichts.

Einige Teilnehmer sind auch betrübt, weil es immer wieder Manipulationen von Mitbewerbern gegeben haben soll. Der WELT liegen zwei Rundmails vor, in denen GNBK eingesteht, dass es zu Ausschlüssen gekommen ist. Zudem soll einer der Schummler als Praktikant vor einigen Jahren in der Geschäftsstelle des Verbands gearbeitet haben.

Konsequenzen sollen immer erst dann gezogen worden sein, wenn sich Kandidaten über zweistellige Stimmenzuwächse eines Konkurrenten quasi über Nacht wunderten und mit Nachdruck auf Überprüfung bestanden. Es habe dann Tage gedauert, bis Konsequenzen gezogen wurden. „Wenn ein Teilnehmer, der offenbar schummelt, auf den vorderen Rängen liegt, ist das frustrierend, und man hat eigentlich gar keine Lust mehr, für eigene Stimmen zu werben", beschreibt ein Teilnehmer das Problem. Der Wettbewerb habe den Namen nicht verdient.

„Vorhaben nicht genauer geprüft"

Zahlreiche Politiker von Grünen bis CDU haben das zweifelsfrei wichtige Anliegen der Jungen Unternehmer unterstützt, darunter Jens Spahn (CDU), Christian Lindner (FDP) und Andrea Nahles (SPD). In Form von kurzen Videobeiträgen rufen sie dazu auf, zur Wahlurne zu gehen, und sie beschreiben, wie sie sich bei ihrer ersten Wahl gefühlt haben. Die Beiträge finden sich auf der Seite des Wettbewerbs und geben ihm Seriosität.

Auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat einen solchen Aufruf beigesteuert. Der WELT sagte eine Sprecherin von Hendricks, dass man das Vorhaben nicht genauer geprüft habe. Man habe lediglich eingewilligt, ein allgemeines Video-Testimonial zu machen - bei einem Verband wie den Jungen Unternehmern gehe man von einer „rechtssicheren Durchführung" aus. Die ist durch die fragwürdige Verbindung des derzeit Erstplatzierten und seines Chefs und Jurors zwar nicht unbedingt obsolet. Aber kann ein Wettbewerb mit solchen Macken tatsächlich der Politikverdrossenheit junger Menschen entgegenwirken?

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