Adolf Stock

Journalist, Autor und Medienberatung, Berlin

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Artikel

Kermit Berg Nuclear Family/ Wohlstandstraum

Kermit Berg - Wohlstandstraum

Kermit Berg wurde eingeladen, am "Europäischen Monat der Fotografie" teilzunehmen, der vom 16. Oktober bis zu 16. November 2014 in Berlin stattfindet. Dann ist Kermit Bergs Installation und Foto-Essay "Wohlstandstraum / Nuclear Family" im Märkischen Museum zu sehen, ein Werk, das die Stiftung Stadtmuseum für ihre Sammlung erworben hat. Adolf Stock gibt Einblicke in eine vielschichtige Arbeit, die aus 55 gedruckten Fotos besteht.


Kermit Bergs Bilder können eine Geschichte erzählen. Sie spielt in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Schauplatz ist Deutschland und Amerika. Seine Eltern gaben ihm Briefe, und er nutzt sie, um an die unmittelbare Nachkriegszeit zu erinnern.

1953 schrieb eine Familie aus Berlin-Neukölln meinen Eltern, dass Tag für Tag 2000 Ostdeutsche in den Westen kämen und es nicht genug zu essen gäbe.

Aber Berg wird nicht zum historischen Chronist, sondern arbeitet als Künstler. Er bringt seine Bilder in Beziehung zu kleinen Texten, die kurz und knapp ein Schlaglicht auf die Vergangenheit werfen. Es sind ästhetische Miniaturen, die erst im Kontext der Familiengeschichte ihren Erzählcharakter offenbaren.

1952 begann mein Vater eine Familie in Berlin finanziell zu unterstützen. Meine Mutter stimmte nur zögernd zu, denn sie hatte vier Kinder zu versorgen. 1957 präsentierte Knoll einen von Eero Saarinen entworfenen Tisch. Der aerodynamische Stil wurde mit dem Weltraumzeitalter sofort assoziiert. Die Amerikaner nannten den Stil ‚Space-Age'.

Bergs Fotografien zeigen das Design jener Jahre. Dinge, die damals den Alltag begleitet haben: Ein Stück Stoff aus den 50er Jahren, eine Glaskanne von Wilhelm Wagenfeld oder Möbel von Alvar Aalto.

Im Kontext der Familiengeschichte sind die Fotografien auch ein Hinweis auf das „Seelendesign" jener Zeit: Amerika richtete sich im Wohlstand ein (mit solidem Produktdesign aus den USA und Europa), während die West-Berliner nach dem verlorenen Krieg und der Teilung der Stadt Halt bei den Amerikanern suchten und sich am „American Way of Life" neu orientierten. Erste Gehversuche in eine bessere Welt, die schon bald im Wirtschaftswunder mündet.

Im Mai 1957 wurde in West-Berlin das Kino Zoo Palast eröffnet. 1967 fiel ich von einem dreibeinigen Stuhl, ein Designerstück von Alvar Aalto. Ich knallte gegen den Schreibtisch meines Vaters und verletzte mich dabei heftig am Kopf. Die Lampe auf dem Schreibtisch, ein Entwurf von Gerald Thurston, zerschellte auf dem Fußboden. Uns beiden jagte der Vorfall einen bleibenden Schrecken ein.

Bergs Bilder können Teil einer Geschichte sein, müssen es aber nicht. Sie sind autonom, weil sie einen eigenen ästhetischen Raum besetzen, der keine Leerstellen kennt, die mit zusätzlichen Erklärungen gefüllt werden müssten. Und so wird das Projekt „Wohlstandstraum / Nuclear Family" zum ästhetischen Setzbaukasten, der dem Betrachter viel Platz gewährt. Dabei evozieren Bergs Bilder und Texte eine sanfte Melancholie, die aber durch den kräftigen und selbstbewussten Auftritt der Fotografien schnell überlagert wird. Bergs Bilder werden zur Metapher für einen ganz allgemeinen Wohlstandstraum, der im guten Design (im International Style) seine Heimat sucht.

Es sind Bilder der Gegenwart, auch wenn sie ein Stück Vergangenheit reflektieren. Das wird so lange funktionieren, bis auch sie historisch werden. Aber auch dann werden Kermit Bergs Bilder bleiben. 



Kermit Berg's prints could narrate a history. It plays out in the Nineteen-Fifties and -Sixties of the 20th Century. Locations are Germany and the U.S.A. He was given letters by his parents and uses them to evoke a very specific memory of the post World War Period.

In 1953 a family in the Neukölln neighborhood of Berlin wrote my parents that 2000 East Germans were crossing into the West a day and there was not enough bread.

But Berg does not become a historical chronicler. Instead he functions as Artist. He contrasts his Fotos with short texts, that with crisp immediacy shine a penetrating spotlight on history. They are esthetic miniatures, which only reveal their narrative character in the context of the family history.

In 1952 my father began to send aid to a family in Berlin. After protesting that she had four children of her own to care for, my mother relented". In 1957 Knoll introduced a line of tables by Eero Saarinen with sleek styling and form that were immediately recognized as 'Space-Age'.

Berg's Photographs reveal the design of those years. Objects, that were part of every-day life: A fragment of patterned curtain fabric, a glass teapot designed by Wilhelm Wagenfeld, or furniture by Alvar Aalto.

In the context of the family history, the photographs also diptict the spirit of the era: America was becoming affluent with respected industrial design from the USA and Europe, while the West-Berliners after the lost War and the division of the city, looked to the Americans and the „American Way of Life" to get a new footing. The first Steps toward a better life, that shortly would become the remarkable recovery known as the Wirtschaftswunder.

In 1957 the Zoo Palast cinema opened on Berlin's Ku'damm. In 1967 I fell off a three-legged stool designed by Alvar Aalto, into my dad's desk, and badly cut open my head. The new lamp on his desk, designed by Gerald Thurston for Lightolier crashed to the floor. We both remain scarred by the incident.

Berg's pictures can be part of a history, but it is not necessary that they be so. They stand alone, independent because they inhabit their own densely filled aesthetic place with no gaps requiring further explanation.

And therefore the Project „Nuclear Family / Wohlstandstraum" becomes an aesthetic set, of visual components that gives the viewer broad intellectual options. Berg's prints and texts evoke a mild melancholy, which is quickly replaced by virtue of the strong and self-assured presentation of the photographs. Berg's prints serve as a metaphor for a universal dream of well-being and affluence that finds its voice and hope in good design, deeply influenced by the earlier International Style.

These are contemporary images, even as they reflect a piece of history. And they will remain so until they themselves become historic. But even then Kermit Berg's images will endure.


Adolf Stock, Arts & Culture Journalist, Berlin 




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