Es gibt etwas zu feiern in Jöhstadt im Erzgebirge, 50 Kilometer südlich von Chemnitz. Deswegen wird André Zinn, 48, CDU, der Bürgermeister dieses kleinen Ortes, gleich zum Schnaps greifen. Es ist ein Donnerstag im Januar, nachmittags um kurz vor halb drei, helllichter Tag. Zinn steht auf einem schneebedeckten Feld, gemeinsam mit Thomas Hachmann, 60, einem befreundeten Unternehmer. Der gießt jetzt Rum in zwei dampfende Plastikbecher, gefüllt mit Tee. "Prost", sagt Zinn. "Prost", sagt Hachmann. Sie grinsen. Den beiden ist in Jöhstadt etwas gelungen, was im vergangenen Jahr an keinem anderen Ort in gelang: Sie haben ein Windrad bauen lassen.
Eigentlich soll Deutschland den "Turbo" in der Energiewende einlegen. So hat es Robert Habeck verkündet, der Bundeswirtschaftsminister der Grünen. Seine Partei verspricht, vieles besser zu machen - nun, da sie an der Regierung ist. In Sachsens Landesregierung stellen die Grünen schon seit 2019 den Umweltminister. Und auch hier hat man einiges versprochen, den Bau von rund 200 neuen Windkraftanlagen bis 2024 zum Beispiel, so steht es im Koalitionsvertrag der schwarz-rot-grünen Regierung. Geschafft hat man bislang gerade einmal: vier. Und es wurden sogar mehr abgebaut. Allein 2021 waren es elf.
Nur das kleine Saarland und die drei Stadtstaaten produzieren weniger Windenergie als Sachsen. In den anderen Ostländern sieht es etwas besser aus, in Brandenburg etwa wurden im Vorjahr 104 Windräder aufgestellt. In Sachsen hingegen, wie gesagt, ein einziges.
Warum scheitert das "Turbo"-Vorhaben hier? Und was ist in Jöhstadt anders - wie hat dort geklappt, was andernorts nicht funktioniert?
Mit dieser Frage muss man zu André Zinn gehen, dem Bürgermeister, der mit Rum anstieß. Zinn, ein zurückhaltender Typ, sitzt jetzt in seinem Amtszimmer. 23 Jahre lang, erzählt er, sei es sein Job gewesen, auf Windräder zu klettern und sie zu reparieren. 2020 wurde er vom Monteur zum Bürgermeister. Ist das der simple Grund für Jöhstadts Windrad-Wunder? Haben wir es hier mit einem Besessenen zu tun?
Aber nein, wenn man Zinn reden hört, merkt man: Ein bedingungsloser Windkraftbefürworter ist nicht einmal er. "Ich bin für einen Energiemix", sagt er. Windräder finde er reizvoll, "solange es etwas Gutes für die Gemeinde hat" und die Kommunen darüber mitbestimmen dürften.
Sechs Jahre habe es gedauert, bis alle Gutachten, Genehmigungen und Unterschriften für den Bau der neuen Anlage aufgetrieben werden konnten. Und das, obwohl sie nur "repowered" ist, sie also nicht neu hinzukam, sondern ein älteres, leistungsärmeres Windrad ersetzte. Und obwohl der Betreiber der Anlage kein unerfahrener Anfänger ist: Thomas Hachmann aus Olsberg im Sauerland war schon an der Entstehung des ersten Windparks hier im Jahr 1994 beteiligt.
Es gibt ein Foto, das im Amtszimmer des Bürgermeisters hängt, gerahmt in Gold. Darauf zu sehen ist eine Panorama-Aufnahme des Ortes. Man erkennt, auf einer Anhöhe, 14 Windräder. Elf mehr als heute. Das Foto dokumentiert, dass es um die Windenergie in Jöhstadt schon einmal besser bestellt war. Die älteren, baufälligen Anlagen, sagt Zinn, hätten sich nicht mehr rentiert für die Besitzer in dem Moment, in dem vor einem Jahr die Förderung aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz auslief.
Deswegen kann nicht einmal André Zinn eine Aufbruchsgeschichte erzählen. Er redet weniger von dem einen Windrad, das hier gebaut werden konnte, als von den anderen, die er gern hätte bauen lassen. Eigentlich sollten in Jöhstadt vier Anlagen entstehen. Eine scheiterte, erzählt Zinn, weil die Erben eines benachbarten Grundstücks nicht aufgetrieben werden konnten. Eine zweite scheiterte an einer Anwohnerin, die sich aufgrund des Schalls um ihre Gesundheit sorgte. Eine dritte scheiterte an strengen Auflagen - eine Fledermausart und der Schattenschlag sorgten dafür, dass die Anlage nur zu bestimmten Uhrzeiten hätte laufen dürfen, der Betreiber zog seine Pläne zurück.
Das sei alles "ein bisschen unglücklich gelaufen", sagt Bürgermeister Zinn. Seiner Gemeinde entgehen dadurch Einnahmen. Gehört ihr ein Windrad, kann sie damit bis zu 40.000 Euro pro Jahr verdienen. Sind die Besitzer Privatleute, nimmt die Kommune immerhin Gewerbesteuer ein.
Woran also liegt es, dass in Sachsen solche Vorhaben besonders kompliziert zu sein scheinen? Natürlich: Schwierig ist es nicht nur hier, sondern auch andernorts. Und die Gründe, aus denen heraus sogar genehmigte Anlagen noch scheitern können, sind zahlreich und überall ähnlich. Sowohl Bürgerinitiativen als auch widerwillige Kommunen oder Naturschützer wehren sich bisweilen gegen den Bau der Anlagen. Mal geht es um Gesetzesverstöße gegen den Artenschutz, mal um den Immissionsschutz (darunter fallen etwa Lärmbelastung oder Wasserverschmutzung), mal um baurechtliche Bedenken.
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